Töchter und Väter

Zwei Bücher von Susann Sitzler und von Bettina Flitner beschäftigen sich mit Vater-Tochter-Beziehungen und ihrer besonderen Bedeutung

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist noch gar nicht so lange her, da wäre es für einen Mann schlichtweg peinlich gewesen, einen Kinderwagen durch die Öffentlichkeit zu schieben. Seit rund zwei Generationen findet nun in westlichen Gesellschaften ein tiefgreifender Wandel statt, wie Männer ihre Rolle als Väter interpretieren und leben. „Neue Väter“ wollen eine Rolle spielen in der Erziehung ihrer Kinder, wollen Beziehungen zu ihnen gestalten und sehen sich in Bezug auf Rechte, Pflichten und Verantwortungen zunehmend gleichberechtigt neben ihren Frauen. Alleiniger Ernährer zu sein, ist ihnen eher suspekt. Sie streben caring masculinity statt toxic masculinity an.

Susann Sitzler, Autorin von Väter und Töchter – ein Beziehungsbuch, hat dagegen einen Vater des alten Typus gehabt, zudem einen, der die Familie verließ, als sie neun Jahre alt war. Unter „Vaterentbehrung“ subsumiert sie die weit verbreiteten Erfahrungen, mit einem Vater aufzuwachsen, der – aufgrund von Arbeit, Ehescheidung oder emotionaler Nichtverfügbarkeit – weitestgehend abwesend war. Sie stellt diese eigene Vaterbeziehung ins Zentrum ihres Buches und untersucht von dort aus die Dynamiken, die sich in unterschiedlichen Vater-Tochter-Konstellationen entfalten können.

Dabei erkennt sie, dass der Versorgervater der patriarchalen Familie, an dem sich die Familie ausrichtet und dem sie sich unterordnet, nicht nur durch seine offenkundige Macht, sondern gerade indem er emotional und beziehungsmäßig eine Leerstelle bleibt, zur Projektionsfläche für allerlei Idealisierungen wird. Nicht selten, so Sitzler, würden die unerfüllten Sehnsüchte ins Erwachsenenleben weitergetragen und prägten Erwartungshaltungen an spätere Partner.

Ausgehend von ihrer sehr persönlichen Geschichte beschreibt Sitzler die prototypischen Funktionen, die ein Vater, sofern anwesend, für seine Tochter ausübt: der Held in der Kindheit, der Sparringspartner in der Jugend und, wenn es gut läuft, ein lebenslanger Unterstützer, der die Tochter ermutigt, in die Welt hinaus zu gehen, sich einen Platz zu erobern und sich zu Glück und Erfolg berechtigt zu fühlen.

Väter wurden von der Forschung lange Zeit, nun ja, stiefmütterlich behandelt. Es schien nicht einzuleuchten, dass Väter für die Entwicklung der Kinder irgendwie wichtig sein könnten. Dies änderte sich erst seit den 1980er Jahren. Eine interessante Erkenntnis, die daraufhin zutage gefördert wurde: Töchter, die in ihrer Entwicklung positiv vom Vater unterstützt werden, profitieren in vielerlei Hinsicht: sie sind laut Datenlage beispielsweise auf Jahre hinaus zufriedener und glücklicher in ihren eigenen Partnerbeziehungen. Insbesondere haben Väter die Chance, das Selbstbewusstsein ihrer Töchter signifikant zu stärken: Der Erfolg von Frauen scheint substantiell mit dem bestärkenden Einfluss des Vaters zu korrelieren. Empirische Studien mit Frauen in Führungspositionen liefern Hinweise, dass diese von ihren Vätern früh Anerkennung für Leistungen erhielten und von ihnen lernten, sich den Anforderungen einer Leistungsgesellschaft selbstbewusst zu stellen.

Dies scheinen die Vater-Tochter-Portraits von Bettina Flitner rundheraus zu bestätigen. Die Fotografin hat Frauen zwischen 18 und 68 Jahren gemeinsam mit ihren Vätern portraitiert (einige davon Prominente wie Martin Walser, Ranga Yogeshwar oder der Schauspieler August Zirner). Während Sitzler auch die vulnerablen Tiefen, das Hadern mit und das Sich-Abarbeiten an Vätern fokussiert, verlegt sich Flitner eher auf die Oberfläche und stellt sehr geglückte Vater-Tochter-Beziehungen vor. Die Töchter haben sich als Persönlichkeiten verwirklicht, sind erfolgreich ihren Weg gegangen. Bei aller individueller Unterschiedlichkeit ist äußerst bemerkenswert, wie einhellig ihr Refrain erklingt: Vom Vater habe ich meinen Mut, meine Unabhängigkeit, meine Hartnäckigkeit und meinen Glauben an mich selbst. Auf selbstverständliche Art an der Kraft und Lebendigkeit des Vaters teilhaben zu dürfen und dabei mit Wertschätzung für die eigene Person genährt zu werden, scheint hier einem gallischem Zaubertrunk gleichzukommen.

Ohne dass dies den Einfluss der Mütter im geringsten schmälern würde, darf man optimistisch zur Kenntnis nehmen, dass hierzulande mittlerweile mehr als zwei Drittel der heutigen Väter sich von Geburt an um ihre Kinder kümmern und so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen wollen. Auch äußern sie die klare Absicht, mehr in Erziehung und Betreuung der Kinder investieren zu wollen, als dies ihre eigenen Väter getan hätten. Dies zeigten Daten, welche die Bundesregierung 2018 im Rahmen ihres „Väterreports“ erheben ließ.

Die beiden Autorinnen sind also fraglos einem relevanten Phänomen auf der Spur. Beide Bücher machen deutlich, wie stark das Vater-Tochter-Thema mit vielfältigen gesellschaftlichen Diskursen rund um Emanzipation, Geschlechtergerechtigkeit, geschlechtliche Identität sowie neue Konzepte von Elternschaft verknüpft ist. Die Lektüren dürften indes vor allem für diejenigen reizvoll sein, die dabei an persönliche Erfahrungen anknüpfen können.

Titelbild

Susann Sitzler: Väter und Töchter. Ein Beziehungsbuch.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2021.
304 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783608982206

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Bettina Flitner: Väter & Töchter. Geschichten einer besonderen Beziehung.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2021.
144 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783945543832

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch