Sozialer Realismus – moderater Impressionismus – naturalistischer Impressionismus
Konrad Mahlfeld präsentiert Studien und ein Werkverzeichnis zum Maler Paul Müller-Kaempff und seiner Zeit
Von Wolfgang Bühling
Es war nicht erst die Wandervogelbewegung, die ab 1896 „aus grauer Städte Mauern“ hinaus drängte. Schon in den Jahren zuvor hatten Künstler einmal mehr die Natur und den ländlichen Raum entdeckt, es entstanden regelrechte Künstlerkolonien, von denen im norddeutschen Raum Worpswede und Ahrenshoop die bedeutendsten sind. Für Ahrenshoop, auf der Landbrücke Fischland zwischen Ostsee und dem Saaler Bodden gelegen, wurde Paul Müller-Kaempff prägend, der 1861 als Sohn eines Oldenburgischen Militärarztes geboren wurde. 1880–1886 war er Student an den Kunstakademien in Düsseldorf, Karlsruhe und Berlin, wobei sich bereits ein Schwerpunkt im Fach Landschaftsmalerei herausbildete. Das Fischland entdeckte Müller-Kaempff im Jahr 1889 zusammen mit einem Berliner Kollegen, der Bau eines Hauses in Ahrenshoop 1892 gilt als Gründung der dortigen Künstlerkolonie. Die Einrichtung der Malschule St. Lucas mit angehängter Pension im Jahre 1894 zeugt von Müller-Kaempffs Geschäftssinn. Die betuchten Eltern der Gäste, vor allem waren es Malschülerinnen, kauften auch seine Bilder.
Konrad Mahlfeld, leitender Klinikarzt in Magdeburg, befasst sich seit fast zwei Jahrzehnten nebenberuflich mit der Forschung zu Müller-Kaempffs Leben und Werk. Bereits 2017 legte er einen umfangreichen Band vor, der das malerische Œuvre von Ehefrau Else Müller-Kaempff ausführlich darstellt. Außerdem enthält dieser Werkkatalog Band I den brieflichen Nachlass von Paul Müller-Kaempff im Wortlaut, soweit dieser erhalten ist. Im 2019 erschienenen Band II werden rund 1000 Arbeiten aus dem zeichnerischen und grafischen Werk beschrieben und abgebildet. Der Kunstfreund findet gerade auch in diesem Band zahlreiche Arbeiten, die sich durch Leichtigkeit und einen eigentümlichen Charme auszeichnen.
Der hier vorzustellende, 2021 erschienene Band III des Werkkatalogs basiert auf einer zeit- und kostenaufwendigen Recherche zu den heute noch existierenden Gemälden von Paul Müller-Kaempff, wozu 200 Privatbesitzer kontaktiert und 20 Museen besucht wurden. Erschwert wurde die Suche dadurch, dass kein historisches Werkverzeichnis zur Verfügung stand; sofern der Künstler selbst ein solches geführt hat, wird es als Kriegsverlust zu verbuchen sein. Fast 1400 Gemälde sind hier gelistet, die meisten davon farbig reproduziert. Die Abbildungen sind sorgfältig kommentiert, Angaben zu Entstehungszeit und -ort, Malträger, Größe etc. werden, wo immer möglich, ergänzt durch Hinweise auf Literatur, Ausstellungen und Auktionen.
Dem Katalog vorangestellt bzw. eingeschoben sind zahlreiche Beiträge des Autors, zu Beginn eine Auseinandersetzung mit den durch die Jahrzehnte wechselnden Signaturen des Künstlers. Ein spezieller Abschnitt befasst sich mit der Geschichte der Malschulen, die Müller-Kaempff in Ahrenshoop und später, zusammen mit seinem Kollegen Friedrich Wachenhusen, in Hamburg initiierte. Seinen Aktivitäten in Gesellschaft und Vereinen, nicht zuletzt im Oldenburger Künstlerbund, ist ein weiterer Beitrag gewidmet. Studienreisen nach Antwerpen, an den Niederrhein und in die Alpenregion, sowie 1913 mit einem Dampfer der OPDR zu den Kanarischen Inseln werden ebenfalls in einem eigenen Abschnitt angesprochen. Korrespondierend zu den drei Schaffensperioden des Künstlers finden sich eingeschobene Tabellen zu Biographie und Itinerar. Hierdurch wird auch der Werkkatalog in drei Abschnitte unterteilt: Studien- und Findungszeit (bis 1891), Hauptschaffensperiode in Ahrenshoop und Hamburg (1892–1911), Alters- und Reifezeit (1912–1941). In der Interpretation des Autors werden die Stilrichtungen sozialer Realismus, moderater Impressionismus und naturalistischer Impressionismus diesen drei Lebensabschnitten zugeordnet.
Die vorliegende Neuerscheinung beeindruckt durch akribische Forschung und facettenreiche textliche Darstellung. Neben der materialdichten kunsthistorischen Information bietet dieser Band – wie die zwei ersten der fast elfhundert Seiten umfassenden Trilogie – aufgrund der hervorragenden bildlichen Ausstattung nicht zuletzt einen künstlerischen Genuss.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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