Krieg der Worte

Tobias Boes beleuchtet in „Thomas Manns Krieg“ den Kampf des Schriftstellers gegen Hitler aus amerikanischer Perspektive

Von Veronika SchuchterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Schuchter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer glaubt, über Thomas Mann, seinen Kampf gegen Nazi-Deutschland und sein Verhältnis zu den USA sei schon alles gesagt, den belehrt Tobias Boes eindrucksvoll und umfassend eines Besseren. Thomas Mann’s War, 2019 bei der Connell University Press publiziert, erschien jetzt in deutscher Übersetzung im Wallstein Verlag. Das ist umso erfreulicher, da es nicht nur wissenschaftliche Übersetzungen häufig schwer haben, auch die Auslandsgermanistik und ihre wesentlichen Beiträge finden im deutschsprachigen Raum oftmals zu wenig Beachtung. Dabei, das zeigt Boes, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der University of Notre Dame in Indiana, ergeben sich gerade von außen oft neue Perspektiven auf das scheinbar schon Altbekannte. Boes konzentriert sich auf die Art und Weise, wie Mann sich politisch engagierte und was er damit in den USA tatsächlich erreichen konnte. Dazu holt Boes weit aus und versucht, Manns Selbstverständnis als Autor und seine sich entwickelnde literarische Identität zu skizzieren. Das macht Sinn, denn Manns Konzept des Schriftstellers im Gegensatz zum genieästhetisch geprägten Dichter ermöglicht erst seine literarische Politisierung. 

Thomas Manns Krieg ist einerseits eine politische Biographie, es ist aber auch ein Buch über die USA und ihren intellektuell geführten Krieg gegen Deutschland, für den der Literaturnobelpreisträger von 1929 schon früh als Gallionsfigur auserkoren wurde. Boes zeigt, wie Manns von journalistischer Seite, aber auch universitär vorangetriebene Stilisierung als „Erster Bürger der Internationalen Republik der Literatur“, wie er vom Hobart College angesichts der Verleihung der Ehrendoktorwürde (eine von fünf in den USA, die Mann erhielt) bezeichnet wurde, in ein patriotisches Selbstlob der amerikanischen Demokratie umgemünzt wurde. Die amerikanische Sicht auf Mann und die Versuche, ihn zu instrumentalisieren, zeichnet Boes akribisch nach. So steht im Zentrum nicht der reale Thomas Mann, sondern die Vorstellung von Mann als repräsentativem deutschen Schriftsteller, der gute Deutsche sozusagen, der in der Hochburg der Demokratie Zuflucht findet und mit den USA gegen Hitler kämpft. Daraus ließ sich Profit schlagen, in sozialer wie auch ökonomischer Hinsicht. „Wo ich bin, ist Deutschland“, Manns berühmt gewordener, vielzitierter Satz steht paradigmatisch für seine Einstellung zur Emigration. In den USA sah man das freilich etwas anders. Nicht immer, das wird deutlich, hatte das in den Medien und auch in den intellektuellen Kreisen vorherrschende Bild tatsächlich etwas mit Manns eigenen Intentionen zu tun und auch die Rezeption seiner Werke wurde von dieser Erwartungshaltung beeinflusst. Doch Manns Einstellung den USA gegenüber veränderte sich mit der Zeit deutlich, wie Boes an vielen Beispielen und Entwicklungen zeigt.

Boes beschränkt sich in seiner Analyse nicht nur auf die politischen Äußerungen Manns in seinen Essays, Interviews und Reden. In fünf Intermezzi geht Boes auch auf literarische Werke, publiziert zwischen 1938 und 1948, und ihre amerikanische Rezeption ein. Erhellend ist etwa das Kapitel über Manns 1940 veröffentlichten Roman Lotte in Weimar, der, wenig verwunderlich, in den USA ob der sehr deutschen Thematik kein Publikum fand. Versuche amerikanischer Kritiker und Förderer Manns, den Roman politisch zu deuten, waren wenig überzeugend. Dabei, das zeigt Boes in seiner Interpretation, lässt sich Lotte in Weimar sehr wohl politisch lesen, nämlich als „Blaupause […], wie ein zeitgenössischer Künstler sich gegenüber der politischen Macht an einem noch dunkleren Punkt der Geschichte positionieren könnte.“ Das amerikanische Publikum interessierte diese Selbstreflexion nicht. Unter politischer Literatur verstand es etwas Anderes und es verfügte auch nicht über das erforderliche Wissen über Goethe, um den Text überhaupt schätzen zu können, weshalb Manns Entscheidung für dieses Thema, wo er doch schon allein aus ökonomischen Gründen ein amerikanisches Publikum im Auge haben sollte, auf Unverständnis stieß. Insofern war Lotte in Weimar aber eher eine Ausnahme, setzte Mann doch mit seiner Joseph-Tetralogie auf „Geschichten aus dem Alten Testament und somit von Stoffen, die auch für solche amerikanischen Leser auf Anhieb wiedererkennbar waren, die sich mit deutscher Kultur nicht auskannten.“

Besonders lesenswert ist das Schlusskapitel, in dem Boes versucht zu zeigen, was Thomas Mann bis heute beispielhaft und anschlussfähig macht und dabei auch auf aktuelle Entwicklungen der internationalen Literatur und des Buchmarktes eingeht. 

Es gibt wenig zu kritisieren an Boes umfangreicher Monografie. Allein, dass ein Thema so ausführlich und von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, ist eine Wohltat. An wenigen Stellen scheint die sonst durchwegs stringente und überzeugende Argumentationsführung sich etwas zu stark vom eigenen Narrativ leiten zu lassen. Wenn Boes feststellt, dass Thomas Mann einen „bürgerlichen Lebensstil kultivierte“, um sich von der Esoterik des Georgekreises, dessen Inszenierung Mann zuwider war, abzugrenzen, so ist das nicht nur etwas spekulativ, es verkennt wohl auch, dass Thomas Manns bürgerlicher Habitus zu diesem Zeitpunkt schon sehr ausgeprägt war und wohl eher umgekehrt dazu führte, dass Mann mit dem Kult um George nichts anzufangen wusste. 

Ein weiterer, kleiner Kritikpunkt ist, dass Boes sehr stark auf Thomas Mann fokussiert und dabei die restliche emigrantische Gemeinde in den USA, die ebenfalls nicht untätig war, aus den Augenwinkeln verliert. Thomas Mann kämpfte nicht allein gegen Nazi-Deutschland, da gab es, im Kontext des Untertitels Literatur und Politik im amerikanischen Exil noch andere Intimfeinde Hitlers, die man, zur besseren Einordnung, zumindest erwähnen hätte können. 

Insgesamt ist Boes Monographie eine Bereicherung für die Thomas-Mann- und die Exilforschung und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er den privaten Thomas Mann und seine Familie erfreulicherweise völlig beiseitelässt, (was nicht vielen gelingt, angesichts der schillernden Familiengeschichte und der Tatsache, dass die Manns in den letzten Jahren fast wie eine Soapopera inszeniert und ausgeschlachtet wurden).

Titelbild

Tobias Boes: Thomas Manns Krieg. Literatur und Politik im amerikanischen Exil.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021.
444 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783835339736

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