Keine Hoffnung, kein Fest

Die norwegische Autorin Kjersti Rorgemoen lässt in „Hoffnung und Fest“ ihre namenlose Ich-Erzählerin in kunstvoller Sprache mehr verbergen als offenbaren

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch wenn man die in 18 Abschnitte unterteilten, nur lose zusammenhängenden Erinnerungen und Betrachtungen einer namenlosen Ich-Erzählerin mehrfach gelesen hat, erschließt sich der Titel Hoffnung und Fest nicht. Vielleicht wurde er so willkürlich gewählt wie manche Teilüberschriften dieses „mahlenden Selbstgesprächs“. Ein besonders krasses Beispiel ist Singapur; da geht es keineswegs um den asiatischen Stadtstaat, sondern um die Ankündigung einer Mieterhöhung durch den Hausbesitzer. Der hatte bei einer früheren Begegnung die strenge Umweltpolitik Singapurs gelobt.

Dem Mann gehört ein altes Wohngebäude im norwegischen Bergen, der zweitgrößten Stadt des Landes. Er vermietet Zimmer an Studierende und ausnahmsweise auch noch an die Protagonistin, die ihr Studium schon vor Jahren abgebrochen hat. Sie bezeichnet das Haus als „Studentenwohnsarg“, in dem der Atem der Geschichte an das Röcheln eines lungenkranken Alten erinnert. Sprachliche Souveränität ist ein wesentliches Merkmal des Buchs. Dank der Übersetzerin Sabine Gisin geht davon in der deutschen Fassung nichts verloren. Eine Wortfindung wie „winddurchzogen“ beeindruckt ebenso wie der virtuose Gebrauch seltener und fast ausgestorbener Wörter wie „brünzlig“ und „vor sich hin pfurren“.

Details über den Studienabbruch der jungen Frau aus einer Jägerfamilie erfährt man nicht. Nach langer Arbeitslosigkeit wurde sie als Abteilungsleiterin im Shredderdienst von „Fretex“ eingestellt, einer Firma der norwegischen Heilsarmee mit Second-Hand-Läden und geschützten Werkstätten. Als Chefin ist sie konfliktscheu und an der Resozialisierung ihrer „randständigen“, teils vorbestraften, Mitarbeiter nicht interessiert. Sie hält die norwegische Gesellschaft für ein „vertracktes Gebilde“, in dem die Leute von ihren Bedürfnissen gesteuert durchs Leben rasen. Das wöchentliche Abteilungsmeeting nutzt sie nicht, um das Gruppengefühl zu stärken; allenfalls warnt sie vor der Gefahr, aus den Konfettischnipseln der Shredder könnten Geheimnisse abgelesen werden. Sprachlichen Höhenflug gibt es auch hier, wenn mit dem Abtransport von Papiertonnen aus einem Büro den dortigen Mitarbeitern ein „Schluck aus der Lethe“, dem Fluss des Vergessens, serviert wird.

Die Erzählerin ist einsam, hat weder einen Geliebten noch einen Freund, äußert sich über ihr Alleinsein nur andeutungsweise, verschweigt mehr als sie offenbart. Man kommt als Leser nicht umhin, immer wieder „Selber schuld!“ zu denken. Denn zwar äußert sie sich scharfsinnig über die Verwässerung des Begriffs „Freundschaft“ durch die inflationäre Verwendung im Internet, empfindet aber die Schwangerschaft einer Freundin als „Sargnagel“ für die Beziehung zwischen ihnen. Ihre eigenen Sorgen behält sie für sich, und die „natürliche Gabe, auszusehen wie eine nachdenkliche Zuhörerin“ muss man als Kunst der Verstellung betrachten. Ihre zwischenmenschlichen Kontakte bleiben bedenklich lasch. Da gibt es einen gewissen Ingolf, mit dem sie lediglich die Vorliebe für Grammatik teilt und der gelehrt plappert, „während ich wahrscheinlich neben ihm ging und ihm voll zustimmte.“ Wenn die Protagonistin am 17. Mai, dem als Nationalfeiertag begangenen Verfassungstag, die Innenstadt mit den vielen Leuten in Volkstrachten meidet, dann wird aus dem Angeln am Strand mit einem Kumpel rasch ein Saufgelage, ausgeschmückt mit skurrilen Details aus der Arbeit eines Notschlachters.

Auch mit ihren Verwandten kommt die junge Frau nicht zurecht. Den Weihnachtsbesuch bei den Eltern bricht sie ab, die zufällige Begegnung mit einem entfernten Verwandten führt zu Unbehagen auf beiden Seiten, und ein alter Onkel bereut rasch, sich ihr anvertraut zu haben.

Die Erzählerin ist überzeugt, dass sich täglich Millionen von Menschen unmerklich und passiv in ihr Inneres zurückziehen. Nichts anderes tut sie in ihrem Zimmer, wird dabei aber mal vom Zwiebeldunst im Haus, dann wieder von allerlei Geräuschen gestört.

Die Betrachtungen über Fruchtfliegen und Das Gesichtsporträt sind so arm an Inhalt und Aussage, dass man sich über ihre Aufnahme ins Buch wundert.

Anderswo finden sich originelle Einfälle. Von einem depressiven Mitarbeiter ist die Chefin „beeindruckt, ich hatte gedacht, für Depressionen sei er zu dumm.“

Ein Abschnitt prägt sich nachhaltig ein – und das nicht nur, weil der Titel zum Inhalt passt. Der Revisor hat ein kleines Büro und bestellt einmal im Jahr „sichere Aktenvernichtung“. Da sind keine dickleibigen Rapporte zu schreddern, sondern nur handbeschriebene Zettel. Zunächst macht die Rechnung dafür der Erzählerin ein schlechtes Gewissen. Dann aber betrachtet sie ihr Handeln als Lebenshilfe für den Revisor, der sich noch als aktive Person fühlen kann, solange er kostenpflichtige Aufträge erteilt. Solche Anteilnahme könnte die junge Frau eines Tages aus der Isolation führen, damit es doch noch Hoffnung auf ein Fest gibt.

Titelbild

Kjersti Rorgemoen: Hoffnung und Fest.
Aus dem Norwegischen von Sabine Gisin.
verlag die brotsuppe, Biel/Bienne 2021.
128 Seiten , 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783038670605

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