Morden mit Stil

John Lanchester über eine unentdeckte Kunstform

Von Jan WesterhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Westerhoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch bereitet Klassifizierungsschwierigkeiten. Zwar nennt Lanchester es "a novel", doch ist ein durchgehender Handlungsfaden erst auf den zweiten Blick auszumachen. Eher handelt es sich um einen langen Essay, um eine Sammlung geistreicher Reflexionen über zwei Themen: das Kochen und das Morden. Dies ist weniger bizarr, als es auf den ersten Blick erscheinen mag, geht es doch letztlich nur um eins: die Schönheit, die Lust - und eben ihren Preis. Die Ästhetik des Kochens (und des Essens) dürfte weniger kontrovers sein, und sie findet beim Restaurantkritiker Lanchester einen virtuosen, wenn auch stets ein wenig ironisch gebrochenen Ausdruck. Die Ästhetik des Mordens jedoch erhält hier eine Apologie, wie sie seit De Quinceys "On Murder, Considered as one of the Fine Arts" niemand mehr vorgelegt hat. Denn was ist der Mord mehr als die Kunst des Weglassens, bezogen auf Personen?

Der Mörder als Künstler, er findet in Lanchesters anspielungsreich "Tarquin Winot" genanntem Ich-Erzähler seine vollendete Verkörperung. Anders als der Vulgärkünstler -personifiziert in seinem Bruder Barry - produziert Winot nicht durch Hervorbringung von Artefakten, sondern durch Weglassen, genauer gesagt, er sorgt dafür, daß bestimmte Personen plötzlich nicht mehr da sind. Das jedoch tut er mit Stil. Natürlich ist er wahnsinnig, dabei aber gebildet, kultiviert, exzentrisch, ein guter Beobachter und hervorragender Koch, ein aufmerksamer Gastgeber - im ganzen ein erstaunlich sympathischer Mensch. Leider jedoch, wie die meisten seiner Freunde feststellen müssen, ist er eine tödliche Bekanntschaft.

Die Berichte von seinem künstlerischen Schaffen (und somit: die Erzählung seines Lebens) sind durchbrochen von brillanten Exkursen kulinarischer und kulturgeschichtlicher Art, von geschliffenen Sentenzen und glasklaren Situationsbeschreibungen. Unter anderem geht es da um das Essen in englischen public schools, die britische Institution des Marmite, Michelangelos Schneemann und HP Sauce, um Omelette, Duchamp und die Bestandteile von Full Irish Breakfast, um Käse als "Leichnam der Milch", um Rattengift, um John Donne, um die Geschichte des Pfirsichs, um Champagner und die Gefahren von Gasheizungen, um Hausangestellte und Kaviar, und, nicht zuletzt, um die Frage nach dem wichtigsten Teil im Werk eines jeden Künstlers.

Sprachlich allein ist das Werk ein Vergnügen, wenn es dem Übersetzer auch nicht gelingt, alles von dieser geschliffenen Prosa ins Deutsche hinüberzuretten. Das wahrhaft erschreckende (und mit anderen Worten: das wahrhaft meisterhafte) an diesem Buch jedoch ist die Art und Weise, in der Winot als Mörder und Zyniker durch und durch sympathisch erscheint: ein besserer Künstler als sein Bruder, ein besserer Koch als seine alkoholisierten Hausangestellten, geistreicheren Konversationspartner als alle seine Bekannten, stets bereit für einen ästhetisch anspruchsvollen Mord. Einen intelligenteren Bösewicht hat die Literaturgeschichte seit dem Vicomte de Valmont nicht gesehen. Und gerade deshalb: ein zutiefst moralisches, sehr modernes und vor allem höchst amüsantes Buch. Appetitlich wie ein Kugelfisch und wirksam wie das Gift in ihm.

Titelbild

John Lanchester: Die Lust und ihr Preis. Aufzeichnungen eines reisenden Gentleman. Übers. von Melanie Walz.
dtv Verlag, 1998.
256 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3423125039

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch