Einer Schriftstellerin über die Schulter geschaut

Terézià Mora erklärt in „Fleckenverlauf“ das Schreiben für das Sinnvollste und Nützlichste und beweist zugleich das Gegenteil

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schreiben ist Arbeit, lässt uns Terézià Mora unmissverständlich wissen. Auch das Schreiben über Geschriebenes ist es, aber die Frage, ob das sinnvoll oder nützlich ist, lass ich lieber unbeantwortet. Dann gibt es da noch die heikle Frage einer gerechten Entlohnung. Kopf- oder Handarbeit ernährt im günstigsten Fall den Menschen, sichert seine Existenz und macht ihn gelegentlich auch wohlhabend. Und schon sind wir bei der schwer zu beantwortenden Frage des Erfolgs und wie er zustande kommt. Ich jedenfalls schreibe sozusagen aus purem Luxus. Meine Arbeit hier ist brotlos, Moras hingegen darf es nicht sein. Doch eine Art Luxus kennzeichnet auch ihre Arbeit als etwas Verschwenderisches in einem zumindest ideellen Sinne.

Wenn ich ihr gelegentliches Kopfrechnen in Sachen Honorar- und Haushaltskasse richtig gedeutet habe, scheint sie vom Schreiben leben zu können, indem sie Romane und Erzählungen verfasst, Vorträge und Lesungen hält. Aber einfach ist das nicht, denn es bleibt ein ewiger Spagat zwischen der eigentlichen Kreativität des Schreibens, die meistens viel Zeit beansprucht, und der Präsenzpflicht im Kulturbetrieb mit all seiner mitunter nervtötenden Begleitmusik. Und weil auch noch schnöder Alltag mit Kind, Mann und Haushalt zu bewältigen ist und sie außerdem ständig gesundheitliche Probleme quälen, gerät das Zeitmanagement immer wieder in eine Schieflage. Und schließlich ist da noch diese zweifelnde Selbstwahrnehmung: „Eine unattraktive, nicht genug labelbare 50-Jährige. Lächerlich.“

Sie nennt ihr im letzten Jahr erschienenes Buch im Untertitel Ein Tage- und Arbeitsbuch und gewährt uns Leser*innen einen Blick in die Werkstatt der Schriftstellerin, wie das gerne heißt, denn Schreiben hat auch etwas Handwerkliches. Wir dürfen ihr sozusagen über die Schulter schauen – freilich nur dann, wenn sie das will. Das ist die unausgesprochene Verabredung bei allen Tagebüchern, wovon zumindest einige wohl für Mitleser*innen geschrieben wurden und werden und ihres auf jeden Fall.

Doch eins sei schon mal vorweggenommen: Wer erwartet, am Ende zu wissen, wie Literatur entsteht, der wird enttäuscht sein. Mora verrät es keineswegs, allenfalls ein paar Details – die berühmten Trouvaillen: hier eine Figur, ein Gesicht oder eine Geste gefunden, dort eine Szene, einen Hintergrund, einen Raum. Ortsbesichtigungen liefern literarische Bühnenbilder. In den Text eingefügt sind immer wieder fotografische Momentaufnahmen wie eine Art Belegsammlung. Von Marcel Proust wissen wir, dass er von allen Menschen, die in seiner Suche nach der verlorenen Zeit eine Rolle spielen, Fotos als Inspirationsquelle brauchte. Was wir jedoch lernen: Text ist stets manövrierfähiges Material. Aus einem Roman werden plötzlich zwei, um sich wieder in einen zurück zu verwandeln.

Aber Moras Zurückhaltung ist kein Grund, das Buch nicht zu lesen. Im Gegenteil, denn wie uns einst der große Theodor W. Adorno verriet, besteht die Anziehungskraft von Kunstwerken – und dazu sind die literarischen auf jeden Fall zu zählen – in ihrem Rätselcharakter. Außerdem hätten sonst Literaturwissenschaft und Philologie nichts mehr zu tun, wenn die Autor*innen uns auch noch ihre Erzähl- und Sprachkunst fachgerecht dekonstruierten, um hier ein schon etwas verblasstes Modewort zu gebrauchen. Kurzum, wir dürfen über die Literatur weiter rätseln und forschen. Aber Mora verrät dann doch einiges, vor allem dann, wenn sie mal wieder frustriert ist und leidet, weil beispielsweise der Lektor einen Text aus dem Erzählband heraushaben wollte, und sie sich deshalb nicht richtig verstanden fühlt. „Ihr habt mein Leben in Kauf genommen, was soll’s, ein Autor leidet doch sowieso immer, nicht wahr?“

Der erste Eintrag stammt vom 3. Dezember 2014 und gut fünf Jahre später, nämlich am 14. April 2020 ist Schluss mit dem Protokollieren. Es sollte nämlich auf keinen Fall noch ein Pandemie-Tagebuch werden, wofür ich herzlich danke. Mir wäre es am liebsten, ich könnte die zwei verlorenen Jahre mit all ihren menschlichen Seltsamkeiten darin wie einen absurden Traum vergessen. Ich beginne mal mit dem Schluss des Buches und der enthält ein Gespräch zwischen der Autorin und Klaus Siblewski. Darin findet sich der schöne und wahre Satz: „Die Welt braucht Kunst, aber sie hält dafür nicht etwa einen Platz frei. Man muss sich ewig dazwischendrängen.“ Auch hier ist der Frust nicht zu überhören, den vorzugsweise jene verursachen, die sich zwar hin und wieder mit Kunst schmücken, sich aber ansonsten als geborene Ignorant*innen gerieren – unterwegs zwischen Schickeria und Bioladen, zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg, wo eben all die gutverdienende Selbstbezüglichkeit wohnt.

„Dass es mir etwas ausmacht, wenn mein konsumorientiertes und kulturfernes Umfeld (alles studierte Leute, übrigens) nicht nur einfach desinteressiert demgegenüber ist, was sinnstiftend für mein Leben [nämlich die Literatur, Anm. N.E.], sondern teilweise offen feindselig.“ – „Ja, ich weiß, Literatur ist, wenn man trotzdem schreibt […].“

Da oft viel Zeit zwischen den Einträgen vergangen ist, hakt Siblewski nach und fragt, ob sich Mora denn schlecht gefühlt habe, wenn sie nichts notierte. „Nein. Ich fühlte mich schlecht, wenn ich nicht an meinem Buch gearbeitet habe. Aber beim Tagebuch ging es ja ‚um nichts‘.“ Was ist daraus abzuleiten? Falsch, es geht keineswegs um nichts, eigentlich geht es um alles, nämlich zu erzählen, wie ein Roman gegen alle Widerstände und Selbstzweifel wächst. Denn selbstredend bildet der als Trilogie konzipierte Roman mit einem Helden namens Darius Kopp das Zentrum ihres Denkens. „Ich bekomme Herzklopfen, wenn ich schreibe, dass die Figur Herzklopfen hat.“ „Ich bin genauso tüdelig wie mein sogenannter Held.“ Oder dies:

Vor zwei Wochen habe ich Darius Kopp schon einmal getötet, gleich nach dem Prolog, um den dritten Teil seiner Trilogie ohne ihn zu erzählen. Weil ich den Schock in der Literatur liebe. Oder sagen wir: die unerwartete Wendung. Im Moment lebt er wieder. Es tat mir leid um ihn.

[…]

Und angeblich ‚warten alle‘ auf Kopp, während es in Wahrheit allen egal ist. Für sie ist es nur ein Zeitvertreib, etwas, das sie für 5 Minuten interessiert, wenn überhaupt. Aber mir muss es GELINGEN.

Terézià Mora ist in Ungarn geboren und lebt schon lange in Berlin. Hin und wieder reist sie nach Ungarn, aber es ist nie eine Heimkehr, sondern immer mit dem Bewusstsein verbunden, „dass Ungarn die Quelle meiner Angst ist, dass die Angst mein Erbe ist. Was du nicht verlieren kannst: die Herkunft.“ An anderer Stelle, als sie sich gerade in Rákos aufhält, dieselbe Empfindung: „Der Mensch will sich in Sicherheit fühlen und anerkannt sein. Ich fühle mich hier nicht in Sicherheit. Hier ist die Geburtsstätte meiner Angst.“ Aber auch das scheint am Ende das Schreiben anzutreiben. Die politischen Verhältnisse unter Viktor Orbán lassen sie zudem auf der ständigen Hut sein, jeglicher Nähe zum Regime aus dem Weg zu gehen. Dass es in dem Tage- und Arbeitsbuch um nichts gehe, ist jedenfalls eine maßlose Untertreibung, denn es verrät viel vom Glanz und Elend des Schreibens. Bliebe nur die Frage, warum wir schreiben.

Titelbild

Terézia Mora: Fleckenverlauf. Ein Tage- und Arbeitsbuch.
Luchterhand Literaturverlag, München 2021.
284 Seiten , 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783630876696

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