Geld regiert die Literatur

In der Anthologie „Brotjobs & Literatur“ dreht sich alles um Geld, Miete und Literatur

Von Erkan OsmanovićRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erkan Osmanović

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wir schreiben Nachrichten per Whatsapp, E-Mails und manchmal sogar noch Briefe. Schreiben ist Teil unseres Alltags. Doch für einige von uns ist es mehr als nur das – es ist eine Berufung. Die Rede ist von professionellen Schreibenden: Schriftstellerinnen und Schriftstellern.

Egal ob sie Gedichte, Erzählungen oder Romane schreiben – Iuditha Balint, Julia Dathe, Kathrin Schadt und Christoph Wetzel haben all diese Stimmen in ihrer Anthologie Brotjobs & Literatur versammelt. Die neunzehn Schreibenden sprechen über ihr Leben mit, ohne und durch die Literatur. Aber auch davon, wie man von Literatur leben kann: Miete, Stromrechnungen und Lebensmittelwollen bezahlt werden.

Von Luft und Liebe

Die Anthologie hat einen spannenden Weg gefunden, um mit diesem Tabuthema des Literaturbetriebs umzugehen. Die Herausgeberinnen und Herausgeber lassen die Schreibenden selbst sprechen. Dabei hat jeder der Autorinnen und Autoren seine eigene Art über sich, die Literatur und das Geld zu sprechen.

Während etwa der Lyriker und Verleger Dinçer Güçyeter beschreibt, wie er als Gabelstapler seine Familie und seinen 2011 gegründeten ELIF-Verlag ernährt, spürt die Schriftstellerin Sabine Scho der Frage nach, wie sie die letzten zwanzig Jahre im Literaturbetrieb überleben konnte. Was viele Berichte eint, ist eine Erkenntnis: Mit Literatur lässt sich Geld machen – doch es ist nicht die Regel und was dabei rauskommt, ist meist mäßig.

Für den Schriftsteller Ulrich Koch spielt das keine Rolle. Der 55 Jahre alte Dichter arbeitet nicht nur selbst für sein Brot, er lässt auch Angestellte in seinem Unternehmen arbeiten: Er ist Geschäftsführer einer Hamburger Zeitarbeitsfirma. Während andere Stimmen im Band die Mechanismen der nicht-literarischen Welt als Einschränkung für das eigene Schreiben sehen, ist das bei Koch anders – durch seine Position ist er nicht nur finanziell, sondern auch literarisch abgesichert:

denn, das, was unbezahlbar ist und bleibt und mir inzwischen lieb und teuer geworden ist […]: meine Freiheit und die Unabhängigkeit. Vom Markt, von Fördertöpfen, von Netzwerken, vom Zufall.

Kann der Brotberuf auch Stoff für das eigene Schreiben liefern? Für Michael Schweßinger ist das der Fall. Denn der gelernte Bäcker konnte durch seine Profession nicht nur die halbe Welt bereisen, sondern auch mit Menschen aus allen Ecken zusammenarbeiten – und ihre Geschichten aufnehmen. Erfahrungen aus dem Brotberuf als Fundgrube für die Literatur? Warum nicht? Und allen, die sehen möchten, was dabei rauskommen kann, sei Schweßingers Erzählband In Buxtehude ist noch Platz wärmstens ans Herz gelegt.

Auch die eigene psychische Resilienz und Persönlichkeit entscheiden im literarischen Feld, wer eine Förderung bekommt oder wem das Stipendium zuerkannt wird. Und wenn man es mal geschafft hat und von Literatur tatsächlich leben kann – und Rechnungen ohne Mahnung bezahlt – dann sind da noch die anderen Menschen, die nicht verstehen, wie man vom Schreiben leben kann. Und die Frage aller Fragen stellen: Kannst du davon leben?

Diese Frage lässt Philologin und Autorin Isabelle Lehn verloren zurück:

Als Schriftstellerin leben zu wollen, scheint ein unverschämter Wunsch zu sein. Ich fühle mich schamlos, wenn ich mich zu meinem Beruf äußere und erst einmal erklären muss, wie viel ich verdiene, um mich so nennen zu dürfen.

Literaturbetrieb – bitte keine Armut

Durch die freie Textwahl der Autorinnen und Autoren gelingt der Anthologie ein Glücksfall: Man erfährt, wie Literatur und finanzielles Überleben zusammengehen oder eben nicht – und wird dabei unterhalten. Einige Texte wirken wie Artikel einer Informationsbroschüre, andere Beiträge sind weniger an der Sache als an der Literatur dran. Und andere sind eine Anklage an die Herausgeberinnen und -geber.

Die Schreibenden sprechen es selbst immer wieder an und nach der Lektüre ist es evident: Es ist nicht nur schwierig mit Literatur Geld zu verdienen, aber auch ohne eine wohlhabende Familie in den Literaturbetrieb zu kommen. Geld regiert die Welt – wohl auch die der Literatur. Denn auch wenn die Welt der Literatur keine finanziellen Grenzen kennt, so kennt sie doch der Literaturbetrieb.

Titelbild

Iuditha Balint (Hg.) / Julia Dathe / Kathrin Schadt / Christoph Wenzel: Brotjobs & Literatur.
Verbrecher Verlag, Berlin 2021.
200 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783957324986

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