Wie das Private politisch wurde
Ursula I. Meyer stellt „Frauenrechtlerinnen“ und ihr Wirken aus Vergangenheit und Gegenwart vor
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon lange macht sich Ursula I. Meyer um zu Unrecht vergessene Frauen verdient. Zumeist handelt es sich um Philosophinnen, die sie in einem einschlägigen Lexikon und in Monographien vorstellt oder deren Werke sie neu herausgibt. Ihr jüngstes Buch aber widmet sich Frauenrechtlerinnen, unter denen sich nebenbei bemerkt natürlich auch einige Philosophinnen befinden. Schon die bedeutendsten Frauenrechtlerinnen sind so zahlreich, dass es in einem Band wie dem vorliegenden „unmöglich [ist,] allen gerecht zu werden“. So bleibt etwa die Gründerin des Bundes für Mutterschutz und Sexualreform Helene Stöcker unerwähnt. Zu kurz kommen auch der vor 1900 tobende Kampf gegen die Aufnahme des frauenfeindlichen Eherechts in das Bürgerliche Gesetzbuch, derjenige gegen die Prostitution und der für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Kaiserreich und der Weimarer Republik.
Meyer hat dennoch ihr Möglichstes getan und informiert über das Wirken einer erstaunlich großen Anzahl feministischer Frauen von „gestern und heute“. Dazu hat sie in den Fließtext etliche kleine Kästchen eingefügt, in denen sie jeweils eine Frauenrechtlerin kurz vorstellt, beginnend mit der im 16. Jahrhundert lebenden Französin Marie le Jars de Gournay, die schon damals in ihrem Grief des Dames „die Gleichheit aller Menschen [forderte], da alle gleichwertig sind“, bis hin zu der heute 33-jährigen saudischen Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul.
Im eigentlichen Text werden etliche von ihnen näher vorgestellt und ihr Leben und Wirken nicht nur mit den jeweils zeitgenössischen frauenrechtlerischen Kämpfen, sondern auch mit den Zeitumständen verhältnismäßig ausführlich kontextualisiert.
Wie Meyer zeigt, einte schon die „frühen Frauenrechtlerinnen […] die Erkenntnis, dass nicht nur die unterdrückenden Männer, sondern auch die sich unterordnenden Frauen ein Gutteil der Schuld an der ungerechten Situation trifft“. Die im 20. Jahrhundert aufkommende These der Mittäterinnenschaft war also gar nicht so innovativ. Und noch etwas hatten die Feministinnen über die Jahrhunderte hinweg gemein. Ihnen allen war bewusst, dass Bildung eine wichtige Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen ist. So setzten sich nicht erst die Aktivistinnen der Frauenbewegung um 1900 für Frauenbildung und -studium ein, schon im 17. Jahrhundert trat Mary Astell mit ihrer Schrift A Serious Proposal to the Ladys „für eine bessere Bildung“ von Mädchen und Frauen ein. Auch für Mary Wollstonecraft war Ende des 18. Jahrhunderts „[v]or allem das Thema Bildung […] entscheidend“. Doch forderten die Frauenrechtlerinnen nicht nur, ihren Geschlechtsgenossinnen Bildung zu ermöglichen, sie selbst eröffneten ihnen diese Möglichkeit, etwa indem deutsche Feministinnen der Ersten Welle etliche Frauenbildungsvereine ins Leben riefen, deren erster bereits 1865 in Leipzig gegründet wurde. Nicht weniger wichtig als Bildung war und ist natürlich die Fertigkeit, sich des „eigenen Verstandes zu bedienen“, wie Immanuel Kant forderte, und ganz ähnlich Wollstonecraft formulierte, wenn sie den Frauen riet, die „eigene Vernunft anzustrengen“. Dazu gehört natürlich auch, politische Vorgänge zu verstehen. So „gründeten englische Frauenrechtlerinnen im Juli 1819 die erste Gruppierung, die den Frauen politisches Denken nahebringen wollte, die Manchester Female Reform Society“, während die „herausragende[.]“ Amalia Holst in Deutschland nicht nur Über die Bestimmung des Weibes zur höhern Geistesbildung publizierte, sondern sich auch gegen Jean Jaques Rousseau und andere „konservative Denker“ wandte. Ob sie allerdings tatsächlich von „Partner*innen in der Ehe“ sprach, wie Meyer, sie paraphrasierend, formuliert, darf bezweifelt werden.
Fest steht hingegen, dass Olympe de Gouges die erste war, „die den Anspruch der Frauen auf Bürgerechte in einem eigenen Forderungskatalog festgehalten hat“ und von den Herren der Französischen Revolution dafür hingerichtet wurde.
Einige Jahrzehnte später wurde erstmals ganz konkret das Frauenstimmrecht gefordert, und zwar 1825 von Anna Doyle Wheeler und William Thompson in ihrer „epochemachenden“ Schrift Appeal of One Half the Human Race. Barbara Bodichon und Emily Davidson initiierten dann gut vierzig Jahre später die „erste Petition zum Frauenwahlrecht“. Sie wurde 1866 dem englischen Parlament vorgelegt. In den folgenden Dezennien sollten auf der Insel die Suffragetten um Emmeline Pankhurst und ihre beiden Töchter Christabel und Sylvia zu den wichtigsten Verfechterinnen des Frauenwahlrechts zählen, die ihre Forderungen zunächst mittels Umzügen, Massendemonstrationen und Petitionen durchsetzen wollte und, als diese nicht fruchteten, zu militanten Mitteln griffen, indem sie etwa Fensterscheiben einwarfen oder Briefkästen zur Explosion brachten. Dass sich die Schwestern „überwarf[en]“, weil Sylvia „nicht nur Frauen aus der Mittelschicht, sondern auch Arbeiterinnen mobilisieren wollte“, ist allerdings unscharf, wenn nicht unzutreffend. Die Kontroverse betraf Sylvia Pankhursts zunehmend kommunistische Vorstellungen und Aktivitäten. In Deutschland wiederum wurde das „erste öffentliche Plädoyer für das Frauenwahlrecht […] auf dem dritten Frauentag des ADF 1869“ gehalten.
Angemessen ausführlich informiert die Autorin über Luise Otto und ihre frauenrechtlerische Publikationstätigkeit seit der Mitte des 19. Jahrhundert sowie über das Wirken deutscher Frauenvereine zur Zeit der ersten Frauenbewegung.
Die Essayistin und Literatin Hedwig Dohm gilt Meyer zufolge als „erste Feministin, weil sie die Unterschiede zwischen Mann und Frau nicht auf das Wesen, sondern auf kulturelle Prägung zurückführt“. Dass sie „die Grundlagen für die Positionen des radikalen Flügels von Minna Cauer, Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg [legte]“ und später mit ihnen politisch zusammenarbeitete, ist zweifellos zutreffend. Dass sie aber eine „umstrittene Persönlichkeit in der Frauenbewegung“ gewesen sei, hat einen negativen Zungenschlag, wird das Adjektiv „umstritten“ doch immer nur dann benutzt, wenn angedeutet werden soll, etwas oder jemand sei zu Recht fragwürdig. Denn tatsächlich ist ja überhaupt jede politische Äußerung und Position im Wortsinne umstritten, denn keine wird ausnahmslos von allen geteilt. So bestritten die von Dohm kritisierten Herrenrechtler natürlich auch die Berechtigung von Dohms Kritik an ihnen. Sollte Meyer aber gemeint haben, sie sei innerhalb der Frauenbewegung umstritten gewesen, wäre ein Beleg schön gewesen. Davon abgesehen gab es auch in der damaligen Frauenbewegung manchen Streit, der öfter heftig und nicht immer nur auf der Sachebene ausgetragen wurde.
Positiv hervorzuheben ist, dass Meyer in den Abschnitten zur US-amerikanischen Frauenbewegung zeigt, wie falsch der von antirassistischer Seite gegen diese gelegentlich erhobene Rassismusvorwurf ist. Das haben zwar schon andere vor ihr getan, es muss aber offensichtlich immer wieder gesagt werden. So weist die Autorin darauf hin, dass sich viele der weißen Frauenrechtlerinnen in den USA des 19. Jahrhunderts zu „Anfang in der Anti-Sklaverei-Bewegung [engagierten]“ und überhaupt erst über dieses Engagement frauenrechtlerische Forderungen entwickelten, wie in den 1830er Jahren etwa die Schwestern Sarah und Angeline Grimke, die in ihren Publikationen Epistle to the Clergymen of the South und Appeal to the Cristian Women of the South erste Vergleiche zwischen der Unterdrückung der Frauen und versklavten Menschen herstellten. Die beiden führenden Protagonistinnen der US-amerikanischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts Lucretia Mott und Elizabeth Cady Stanton wiederum lernten sich auf der World-Anti-Slavery-Convention in London kennen. „[N]irgendwo“, konstatiert Meyer, „lagen Sklavenbefreiung und Frauenbewegung […] so dicht beisammen wie in den USA“, wenngleich es, wie sie einräumt, auch in den „Reihen der Frauenrechtlerinnen“ rassistische Vertreterinnen gab.
Nicht weniger verdienstvoll als Meyers Ausführungen zur US-amerikanischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts sind ihre Darlegungen zum Kampf um Frauenrechte in der frühen Bundesrepublik, ist über diesen doch kaum etwas bekannt. Vielleicht gerade einmal, dass der im Grundgesetz festgeschrieben Gleichheitsgrundsatz Elisabeth Selber zu verdanken ist, die zwar „keine Feministin [war], aber […] sich für Frauenrechte ein[setzte]“. Wer aber weiß schon um den Deutschen Frauenkongress für den Frieden, der 1947 in Berlin abgehalten wurde, oder hat vom Demokratischen Frauenbund Berlin gehört, der 1951 gegründet wurde, und zwar nicht zufällig am 8. März, dem Weltfrauentag, wiederum ein Jahr später wurde die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung ins Leben gerufen.
Zumindest in interessierten Kreisen weit bekannter sind Helke Sander und ihre 1968 auf einem SDS-Delegiertenkongress gehaltene Rede. Dass es Sigrid Rüger war, die, nachdem Sanders Rede ungehört verhallt war, die berühmten Tomaten aufs Podium und an den Kopf des Meisterdenkers Hans-Jürgen Krahl schleuderte, wissen hingegen schon wieder nur die wenigsten. Dabei „gilt“ Rügers Tomatenwurf „als Startsignal für die zweite Welle der Frauenbewegung in Westdeutschland“, wie Meyer konstatiert. Wenige Seiten später muss er sich diese Ehre jedoch mit der „spektakulärsten Protestaktion der frühen 1970er Jahre in Deutschland“ teilen. Denn nun erklärt die Autorin: „Der Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen und der Tomatenwurf waren die Initialzündungen für die moderne Frauenbewegung in Deutschland“. Zweifelsfrei waren beides Meilensteine der frühen Entwicklung der Neuen Frauenbewegung.
In den letzten Kapiteln setzt Meyer thematische Schwerpunkte zu gegenwärtigen feministischen Bestrebungen. Sie befassen sich etwa mit dem Thema „Feminismus und Wissenschaft“, gelten der „dritte[n] Welle“ und werfen einen „Blick über die Grenzen“ Westeuropas und der USA, namentlich in islamisch geprägte Länder wie Ägypten, Saudi Arabien und den „für den islamischen Feminismus [beispielhaften]“ Iran.
Ursula I. Meyer hat eine recht umfassende Einführung zum Leben und Wirken zahlreicher Frauenrechtlerinnen vergangener Jahrhunderte und der Gegenwart vorgelegt, die zudem manche nur wenig bekannte Informationen bietet. Eigentlich aber müssten solche Bücher in großen Publikumsverlagen erscheinen und nicht in kleinen feministischen.
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