Neues ganz sachlich

Michael Töteberg erzählt in „Falladas letzte Liebe“ Hans Falladas letzte Jahre im Berlin des Aufbaus

Von Nicole KarczmarzykRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Karczmarzyk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angesicht zahlreicher Biographien, Dokumentationen und Werkbesprechungen könnte man meinen, dass über den Schriftsteller Hans Fallada, eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen, alles gesagt sei. Mit Falladas letzte Liebe legt Michael Töteberg aber einen Roman vor, der eines Besseren belehrt. Denn in seiner dokumentarischen Erzählung zeichnet der Autor nicht nur die letzten Jahre Falladas im Berlin der Nachkriegszeit nach, sondern zieht nebenbei ein Panorama des damaligen Literaturbetriebs und der bedrückenden Atmosphäre der Aufbaujahre auf.

Dabei beginnt die Erzählung in einer ganz anderen Zeit. Die junge Christa Wolf, hier Studentin an der Universität in Leipzig, später selbst bekannte Autorin und Georg-Büchner-Preisträgerin, recherchiert im Rahmen ihrer Diplomarbeit zu den autobiographischen Zügen in Hans Falladas Werk. Sie schreibt dazu 1953 an den Dichter und Präsidenten des Kulturbundes der DDR, Johannes Becher, der Fallada persönlich gekannt und erlebt hat. Dessen Antwort fällt – dafür, dass er Fallada 1945 dabei unterstützt hatte, als Künstler wieder Fuß zu fassen und jahrelangen Kontakt mit ihm pflegte – erstaunlich knapp aus. „Welches Geheimnis umgab Fallada, was verschwieg Becher?“, fragt sich daraufhin die Studentin und setzt damit die Präambel für Falladas letzte Liebe.

Hans Fallada, der sich 1944 von seiner ersten Frau hat scheiden lassen, kommt mit seiner neuen Angetrauten, Ulla Losch, ein Jahr später im zerbombten Berlin an. Zuvor hat Fallada auf dem Land auf der mecklenburgischen Seenplatte gelebt, und sieht sich gezwungen, nach einem Klinikaufenthalt zurück in die Hauptstadt zu gehen. Das Paar zieht in Ullas Wohnung, wo die beiden unter prekären Verhältnissen leben. Ohne Aufenthaltsgenehmigung und Essenmarken, gesundheitlich schwer angeschlagen sind die beiden auf den Schwarzmarkt und das Wohlwollen anderer angewiesen. Fallada wie auch Losch sind zu diesem Zeitpunkt bereits schwer morphiumabhängig und sagen auch zu anderen Rauschmitteln nicht gleich ‚nein’. Literarisch hat Fallada sich in den Jahren zuvor vornehmlich mit Kindergeschichten über Wasser gehalten. Er hofft einen „echten Fallada“, wie er selbst sagt, in Berlin schreiben zu können und damit die für ihn schriftstellerisch schwierige NS-Zeit hinter sich zu lassen. Doch die ersten Monate in Berlin sind von Amtsgängen und der Suche nach Morphium verschreibungswilligen Ärzten geprägt. Und auch Falladas unentschiedene Haltung zum Nationalsozialismus lässt sich nicht einfach überschreiben. Dennoch arbeitet der Schriftsteller, der mit seinem Roman Kleiner Mann was nun? einem ganzen Volk aus dem Herzen sprach, an seinem letzten großen Wurf. Dieser gelingt ihm schließlich mit Jeder stirbt für sich allein. Falladas letzte Liebe zeigt, welchen Preis er dafür zahlt. 

Damit fängt Tötebergs Erzählung einen ähnlichen Zeitraum wie Hans Falladas teilweise autobiographischer Roman Der Alpdruck ein. Falladas letzte Liebe geht aber weit darüber hinaus. Denn neben den historischen Einblicken in die Alltagsrealität der Nachkriegszeit sowie das Auferstehen der Literaturbranche zeigt Töteberg auch biographische Stationen, die Fallada in seinen eigenen Werken lieber vergessen hat, wie zum Beispiel den Grund, warum er sich in seiner vorherigen Wahlheimat Feldberg nie wieder blicken lassen konnte oder wie er an die Gerichtsakten, die Jeder stirbt für sich allein zugrunde liegen, gekommen war. Das macht den Roman zu einer gelungenen dokumentarischen Erzählung, die eine Fülle von historischen Fakten über den Autor Fallada und seine Zeit zusammenführt und gleichzeitig durchweg spannend bleibt. Dabei hält sich Töteberg streng an überlieferte Zitate und Dokumente, lässt Roman aber Roman sein und fügt einiges auch so zusammen, dass es in die Handlung passt.

Das Geheimnis um Fallada, welches Christa Wolf in der Rahmenerzählung umtreibt, wird daher auch nicht in einer fulminanten Geste gelüftet. Stattdessen verbindet Töteberg illusionslos unterschiedliche biographische Stationen und Situationen Falladas, setzt sie in Beziehung zur damaligen Zeit, dem Literaturbetrieb, zu seinen Zeitgenossen. So lässt er das komplexe Bild eines Schriftstellers entstehen, der neben der Schriftstellerei vor allem ein Mensch war, der sich wie alle seine Zeitgenossen in der Welt zurechtfinden musste. Dabei ist Fallada nicht immer auf der rechten Seite der Moral, denn obwohl der Autor hier zwar liebevoll mit seinem Fallada umgeht, macht er aus ihm keinesfalls ein Opfer seines Umfeldes. Die Frage nach Falladas ambivalentem Verhältnis zur NS-Diktatur beantwortet der Autor ebenso nüchtern, aber keineswegs entschuldigend: Politik stand auf Falladas Prioritätenliste einfach weit unten, vorher kamen Schriftstellerei, Sucht, Liebe und Hoffnung auf Harmonie. 

Und das ist vielleicht auch die Kehrseite der biographischen Erzählung, wenn auch nur eine geringe: Dadurch, dass der Roman sich so eng an seine Hauptfigur Fallada heftet, erfährt der Leser wenig über die Nebenfiguren in Falladas Leben. Denn während die Biographie Falladas vielen Lesern in Teilen oder in groben Zügen bekannt sein dürfte, hätte es hier die Möglichkeit gegeben, den Figuren Raum zu geben, die in unmittelbarer Nähe zu Rudolf Ditzen lebten und auf deren Schicksal er unweigerlich Einfluss genommen hat und umgekehrt. Was wurde zum Beispiel aus Ullas Tochter, Jutta Losch, später Jutta Kulessa? Das letzte, was die Leser von ihr erfahren, ist, dass Fallada sie an Weihnachten in ein Kinderheim „wegorganisiert“, während seine eigenen Kinder zu ihrer Mutter aufs Land fahren. Ein Schicksal, das Fallada bereits in seiner autobiographischen Erzählung Der Alpdruck unterschlagen hat. Und wie mag Ulli Ditzen, der als 15-jähriger bereits alleine den Haushalt im Berliner Heim in Pankow leiten musste, da die Erwachsenen sich vorwiegend im Morphium-Koma oder auf der Suche danach abwesend zeigten, sich wohl gefühlt haben? Hier wäre die Chance gewesen, zu zeigen, wie das Leben mit einem Menschen wie Fallada gewesen war und vielleicht wie sehr ein Familienmensch an ihm verloren gegangen ist.

Um die Gelegenheit ist es etwas schade. Dennoch bietet die Erzählung Unvergleichliches, denn sie nähert sich dem Literaturbetrieb während der Nachkriegszeit ohne Beschönigungen an. Hier werden feine Netzwerke, politische Einflussnahmen und Proporz ebenso dargestellt wie Aufbruchsstimmung in der Branche, die getrübt wird von Papiermangel und den Entscheidungen der Besatzer in ihren Sektoren. Töteberg arbeitet dabei minutiös heraus wie Fallada selbst versucht, in einem Netz aus Gönnern und Kritikern zu funktionieren und dabei mal wie Deutschlands literarische Hoffnung und mal wie ein politischer Speichellecker behandelt wird. 

Ein zusätzliches Quellenverzeichnis fehlt leider, hätte aber durchaus dazu eingeladen weiter zu recherchieren und Originaldokumente zu lesen. Was dem Verfasser aber ganz besonders hoch anzurechnen ist, ist der objektiv-nüchterne Stil, der den Milieustudien Falladas ähnelt. Dabei kommt er ohne größere Psychologisierungen aus und imitiert damit augenzwinkernd die Neue Sachlichkeit, als deren Vertreter Hans Fallada in jedem Deutschbuch der Oberstufe genannt wird. Michael Töteberg ist hier ein echter Fallada über Fallada gelungen. Als Vorsitzender der Hans-Fallada-Gesellschaft hat er seine Expertise mit dieser Erzählung, die sich durch ihren sachlichen, aber detailorientieren Stil durchweg spannend liest, mehr als bewiesen. Falladas letzte Liebe lädt die Leser in die typische Fallada’sche Welt ein, was es beinahe unmöglich macht, das Buch wegzulegen, und gleichzeitig dazu nötigt, einige Fallada-Romane gleich hinterher zu lesen. 

Titelbild

Michael Töteberg: Falladas letzte Liebe.
Aufbau Verlag, Berlin 2021.
336 Seiten, 22,- EUR.
ISBN-13: 9783351038946

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