Spiegelfechtereien

Maurice Leblancs Geschichten um den Gentleman-Gauner „Arsène Lupin“ in neuem Gewand

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arsène Lupin bei Matthes&Seitz? Nach den Tiergeschichten nun noch die Geschichten um den eleganten französischen Doppelgänger und ironischen Widerparts Sherlock Holmes? Matthes&Seitz mag in vielem die Nachfolge des deutlich ernsthafteren Merve-Verlags angetreten sein, in einem aber hat der Berliner Verlag den theoriegeladenen Vorgänger (der immer noch vorneweg bei der Avantgarde mitmarschiert) weit hinter sich gelassen, und das ist die Ironie und der Spaß am Irregulären, der im Programm immer wieder einmal durchschimmert. Es sind ernste Zeiten und da ist ein bisschen bissige Distanz zu dem, was um einen herum geschieht, eben auch erholsam. Warum also nicht Maurice Leblanc? Warum nicht Arsène Lupin?

Das Gentleman-Fach ist seit vielen Jahren von Lupin besetzt, der es sich neben Sherlock Holmes sehr gemütlich gemacht hat und immer wieder sein Spiel mit ihm treibt. Herlock Sholmes – wie ihn Maurice Leblanc (1864–1941) bissig verballhornt hat – kommt halt immer wieder ein wenig zu spät. Seine ganze intellektuelle Potenz nützt ihm nichts, wenn er es mit einem Gegenspieler zu tun hat, der sich ihm einfach immer wieder dadurch entzieht, dass seine Identität nicht wirklich feststeht. Lupin ist eben immer ein anderer, manchmal sogar der Erzähler selbst, aber selbst das steht niemals wirklich fest. Und was soll einem da das ganze logische Getue, die Idee eine festen Abfolge von Kausalitäten, wenn deren Essenz immer wieder zur Disposition steht. Wer ist Arsène Lupin? Und vor allem, wer ist Arsène Lupin, wenn nicht das Gegenstück zu Sherlock Holmes, wie ihn Viggo Larsen in einer Stummfilmserie in den Jahren 1910 und 1911 inszeniert?

Wer aber kann das wissen, wenn es weder der Autor, noch sein Erzähler, noch Lupin selbst weiß? Und was heißt hier überhaupt „Lupin“? Löst sich der Gentleman-Gauner doch in seinen vielen Erscheinungsformen derart auf, dass man seiner nicht mehr habhaft werden kann. Und selbst wenn, dann nur weil es ihm beliebt, wie sein offizieller französischer Gegenspieler, Chefinspektor Ganimard, nur allzu oft erfahren muss. Lupin hat niemand wirklich. Es sei denn, es handelt sich um eine attraktive Frau, die sein Wohlgefallen und seine – vielleicht arg wechselhafte, dennoch leicht entzündbare – Leidenschaft zu wecken vermag. Dann vergisst Lupin sich selbst und alle Vorsicht, und – schnapp – schlägt Ganimard zu und freut sich seines Fangs. In der Liebe, der Leidenschaft kommt Lupin auf eigentümliche Weise zu sich selbst und lässt sich fast mit spielerischer Leichtigkeit übertölpeln. Leblancs letzter Lupin-Roman handelt immerhin von seiner letzten Liebe, Lupins Jugend wird von seiner Leidenschaft für die betrügerische und kaum weniger wechselhafte und geheimnisvolle Gräfin Cagliostro bestimmt.

Insofern ist es ein heiterer Auftakt, dass die erste der Erzählungen, mit denen Maurice Leblanc seinen Lupin in die Welt brachte, gleich mit seiner Verhaftung beginnt, die – bei aller Willkür, die ihm zu eigen ist – der Vernarrtheit in eine junge Frau zu verdanken ist. Damit ist eigentlich der Takt vorgegeben, der dann die Lupin-Romane der kommenden dreißig Jahre geprägt hat. Erst ist nicht klar, wer überhaupt im Geschehen der Hauptakteur ist – auf dem Überseedampfer wird während der gesamten Überfahrt nach Lupin gefahndet, der an Bord sein muss –, dann wird man seiner vermeintlich habhaft, um feststellen zu müssen, dass man sich geirrt hat, irren musste. Selbst in den Momenten, in denen Lupin zweifelsfrei vor den Augen seiner Mitakteure steht, befallen seine lesenden Kombattanten leichte Zweifel, die sich als allzu berechtigt erweisen. 

Dabei lebt diese uneigentliche Existenz mit einer solchen Leichtigkeit sein kriminelles Leben, dass er die Sympathien schnell für sich zu gewinnen weiß. Zumal, wer will sich schon mit dem Recht gemein machen, wenn es denn so bieder und verbissen daherkommt. Und dabei zugleich seine feste Allianz mit Macht, Herrschaft und Vermögen nicht leugnen kann, mit all jenen Mächten, mit denen sich Lupin allzu gern anlegt.

In diesen ersten Geschichten, die ab 1905 als Zeitschriftendrucke erschienen sind und schnell, nämlich 1907 – wie zu erfahren ist – den Buchdruck gefunden haben, mögen die Sondierungsbemühungen Leblancs noch offen sichtbar sein. Aber spätestens mit dem Betrug, dem Lupin aufsitzt, als er an den Inhalt des „Geldschranks der Madame Imbert“ zu kommen versucht, findet Lupin seine endgültige Form (die eben zugleich unendlich wandelbar ist).

Und darin liegt denn auch der Reiz der in vielem so betagt daherkommenden Erzählungen um Arsène Lupin: Über dem gelegentlich biederen, teils behäbigen Stil liegt eine Erzählschicht, die sich vom Text längst gelöst zu haben scheint und zu der alle Gentleman-Gauner des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts gleich welchen Geschlechts, die sich der Kunst, der Liebe, dem Geld und dem intellektuellen Spiel verschrieben haben, ihren Beitrag geleistet haben. Lupin ist nie er selbst, er ist immer viele andere.

Titelbild

Maurice Leblanc: Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner.
Aus dem Französischen von Erika Gebühr.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021.
238 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783751800419

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