Systemvergleich

einzlkinds verstörender Zukunftsroman über den Streit zwischen Populismus und Künstlicher Intelligenz: „Minsky“ lässt keine Wahl

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich gibt es hier wenig zu entscheiden, denn von Anfang an ist klar, worauf am Ende alles hinausläuft. Auch wenn in dieser düsteren künftigen Welt der Widerstreit zwischen den Systemen, in denen die Künstliche Intelligenz eine von allen menschlichen Fehlern bereinigte perfekte Welt geschaffen hat, und denen, in denen noch so etwas wie Demokratie herrscht, lange unentschieden scheint, ist der Untergang einer von Menschen gesteuerten Welt unabwendbar.

Was schließlich fraglos daran liegt, dass Menschen – ernst genommen – niemals nach sachlichen Kriterien entscheiden, sondern dem folgen, der am lautesten tönt und ihnen am vollmundigsten recht gibt. Was das angeht, waren Faschismus und real existierender Sozialismus nur der Vorgeschmack auf einen Totalitarismus populistischer Manier, der allen eine Stimme und allen recht gibt und der immer das nach oben spült, was am besten gefällt. Auch wenn das gegen die eigenen Interessen geht. Meinungsvielfalt? Gegessen. Toleranz? Uninteressant. Empathie? Nur, wenns um einen selbst geht. Freiheit? Überschätzt.

Und das Gegenstück? Eine von einer überlegenen Intelligenz gestaltete und geregelte Wohlstandsblase, in der Menschen eigentlich überflüssig sind. Schöne, neue Welt, und leider alternativlos.

einzlkinds neuer Roman ist zweifelsohne eine Zumutung, weil er in einer heißlaufenden Welt, in der Machtsysteme miteinander konkurrieren, sich gegenseitig mit dem Untergang bedrohen, nationalistische und moralische Populismen miteinander um den Erfolg wetten, einen radikalen Schnitt macht.

Die Machtblöcke der Vergangenheit gehen unter, sie gehen zugleich auf in den Antagonismus zweier Systeme, in denen eben die Orientierungen der Vergangenheit, Nationalismus, Sozialismus, keine Rolle mehr spielen, sondern entweder eine KI das Sagen hat oder Schwarmgeister ihr Unwesen treiben, likes und dislikes entscheidend sind und alles andere in die Bedeutungslosigkeit abdrängen. Die Macht der sozialen Medien ist zwar gebrochen, weil jeder einzelne unmittelbar Zugang zum neuen medialen Kosmos hat, aber ihre Auswirkungen haben sturmflutartigen Charakter angenommen, Sturmfluten in Permanenz, die orchestriert werden müssen. Magnus, der deutsche Kanzler, ist einer der wenigen, die das Meinungsorchester noch dirigieren können. Die Welt der künstlichen Intelligenz hingegen – welche Ruhe, Ruhe.

Das alles hat eine Vorgeschichte, die einzlkind tatsächlich vorführt, man mag es nicht „erzählen“ nennen (einzlkind tut sich eh, was Stile angeht, keinen Zwang an): Pax, das missing link, das es braucht, um aus einer menschlichen eine von künstlichen Intelligenzen bestimmte Welt zu machen, wächst als Tochter einer Amsterdamer Prostituierten auf. Sie ist außergewöhnlich, charismatisch, ein Auftritt.Ein naheliegend genialer Mathematiker namens Grigori Jakowlewitsch Perelman sucht Pax, die als Schreinerin arbeitet, auf, um sie dafür zu gewinnen, eine Firma für künstliche Intelligenzen aufzubauen, die sie „Die Gefährten“ nennen wollen. Genial ist er wohl deshalb, weil für seine monatliche Masturbation (mit dem Sozialen hat er es nicht so) Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus als Stimulans verwendet. Ansonsten versucht er – was sich in den letzten Jahren als wiederkehrendes Motiv behauptet – die „Auslöschung“ der Menschheit voranzutreiben, freilich nicht ihre Vernichtung, sondern ihre Entmachtung.

Die Legitimation dafür findet sich in dem Interview einer alten Frau, die gefragt wird, ob sie in der maschinellen Betreuung durch Roboter und Hologramme nicht den menschlichen Faktor vermisse. Sie antwortet mit einem kurzen Porträt ihres übellaunigen und -riechenden, unmotivierten und rüden Altenpflegers, der sich ekelt, wenn er die alte Frau waschen muss. Stattdessen die maschinellen Betreuer: immer gut gelaunt, motiviert und motivierend, freundlich und anregend, sie fördernd und fordernd (das muss man mal schreiben dürfen). Die Entscheidung ist klar.

Perelmans und Pax‘ Firma ist schnell erfolgreich, so erfolgreich, dass die künstliche Intelligenz, deren Sprecherin den Romantitel Minsky führt, schließlich sogar die letzten menschlichen Bastionen, in denen Macht und Herrschaft noch fröhliche Urstände feiern, schleifen kann. Nur Pax – jene charismatische Frau, um die – neben Perelman – auch Minsky kreiste, wird dabei geopfert, wie es sich gehört, am Kreuz und niedergestochen mit einer Lanze.

Bis es zu diesem – unvermittelten – Showdown kommt, werden die beiden Protagonisten der Systeme, die kurz vor dem Ende noch übrig geblieben sind, Minsky und Magnus, in unerhörter Offenheit über sich und das, wofür sie stehen, vorgeführt. Das ist nicht sympathisch, das will niemand lesen, das muss man lesen, und daraus gibt es kein Entrinnen. Sich in dieser schönen neuen Welt wiederzufinden, ist nur halb so faszinierend, wie das, was in den Endlosspiralen intergalaktischer Machtkämpfe zwischen Star Wars, Star Trek und Guardians of the Galaxy vorgeführt wird und in dem sich in endlose Spiralen die immergleichen Konflikte wiederholen. Man weiß nicht, wo einem wohler sein sollte. Punch it!

Titelbild

einzlkind: Minsky.
edition TIAMAT, Berlin 2021.
216 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783893202638

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