Kunst und Krankheit

Mit Unda Hörner auf den Zauberberg!

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In diesem flott geschriebenen Buch steht der Kurort Davos im Mittelpunkt. Davos war um die Wende des letzten Jahrhunderts das Mekka wohlhabender Schwindsüchtiger aus ganz Europa, die sich dort in der Höhenluft von ihren Leiden auskurieren sollten. Darunter waren auch bekannte Schriftsteller, die hier in Kurzporträts vorgestellt werden. Den literarischen Reigen eröffnet, wie nicht anders zu erwarten, Thomas Mann, der wie hinlänglich bekannt seine lungenkranke Frau Katia bei ihrem dortigen Kuraufenthalt besuchte. Sie versorgte ihn mit Anekdoten und Geschichten über ihre Mitpatienten im Waldsanatorium, die das Material für seinen dritten Roman unter dem Titel Der Zauberberg liefern sollten.

Während Mann bereits vorher mit den Buddenbrooks schriftstellerisch erfolgreich gewesen war, wurde der 17jährige Franzose Émile Paul Grindel erst durch die dortige Begegnung mit der jungen Russin Gala zu einem anerkannten Dichter des Surrealismus, und zwar unter dem Pseudonym Paul Éluard. Seine Muse Gala hat ihn allerdings später für den spanischen Maler Salvador Dalí verlassen, dessen Ruhm sie auf unvergleichliche Weise zu mehren und zu managen wusste.

Sodann schließt sich der Reigen scheinbar, als der Mann-Sohn Klaus den angehenden französischen Dichter René Crevel in der Schweizer Bergwelt aufsuchte, der dort seinerseits Éluard und Gala treffen wollte. In der Folge entwickelte sich eine unglückliche Dreierbeziehung zwischen Crevel, Mann junior und Mopsa Sternheim, der Adoptivtochter des Dramatikers Carl Sternheim. Diese verließ Crevel schließlich wegen Rudolph Carl von Ripper. Die kurze Liebesaffäre Crevels mit Klaus Mann, der ihn vergötterte, war bereits vorher beendet.

Den Abschluss bildet eine biografische Skizze über den expressionistischen Dichter Klabund, ebenfalls ein Freund des Sohnes von Thomas Mann. Er verliebte sich in Brunhilde Heberle, die er auch in Davos kennenlernte. Sie ging unter dem Pseudonym Irene in seine Dichtung ein.

Wie zuvor bereits auf Thomas Mann wirkte der erzwungene Müßiggang des Sanatoriumslebens auch auf seine Schriftstellerkollegen literarisch anregend. Dies galt neben Éluard auch für den der Dadaistenszene nahestehenden Crevel, der später einen Roman mit dem vielsagenden Titel Êtes-vous-fous? (Seid Ihr verrückt?) veröffentlichte und ebenso für Klabund, der seine persönliche Zauberberg-Erfahrung in der Erzählung Die Krankheit verarbeitete. Und wer sich nun, angeregt durch Unda Hörners kurzweilige Darstellung, einen tiefergehenden Eindruck über die morbide Atmosphäre der Schweizer Luxusherbergen verschaffen will, der kann ebenso zu Manns dickleibigem Roman greifen wie zu den schmaleren Werken Crevels oder Klabunds. Fündig wird er allemal. Hörners Buch ist ein gelungener Zeitvertreib und macht neugierig darauf, mehr über den Zauberberg und seine Protagonisten zu erfahren.

Titelbild

Unda Hörner: Der Zauberberg ruft! Die Bohème in Davos.
ebersbach & simon, Berlin 2022.
144 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869152578

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