Schmiegsam und glatt, weich und dabei voll Spannkraft?

Nora Bossongs politikanalytischer Essay „Die Geschmeidigen“ fällt seiner Geschmeidigkeit zum Opfer

Von Vanessa FrankeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Vanessa Franke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur ein halbes Jahr nachdem Nora Bossongs Essayband Auch morgen. Politische Texte erschienen ist, folgt jetzt kurz nach der neuen Regierungsbildung ein essayistisch-journalistisches Generationenporträt. Die Geschmeidigen, das sind Christian Lindner, Annalena Baerbock, Paul Ziemiak, Lars Klingbeil, Katja Kipping und Nora Bossong selbst – zwischen 1975 und 1985 geboren und in der Zeit des Mauerfalls aufgewachsen. Eine gesamtdeutsche Generation um die 40, die, so die Autorin, ebenso alt ist wie die Ära, die gerade zu Ende gehe: Mit Klimakrise, Pandemie und Sturm auf das Kapitol habe der neue Ernst des Lebens begonnen. Diese Generation sei inmitten der Euphorie über die Wiedervereinigung mit dem Glauben groß geworden, alles werde am Ende doch noch einmal gut. „Alles regelt sich“ als gemeinsames Motto. Krisen, sei es Tschernobyl oder der Kalte Krieg, lassen sich überwinden. Eine aus Frieden und Wohlstand erwachsene Haltung, die einem mit Olaf Scholz als Kanzler in diesem Land doch sehr bekannt vorkommt, obwohl dieser genau genommen nicht zu den Geschmeidigen zählt: Scholz ist stoischer, weniger flexibel als eine trampolinspringende Baerbock oder ein medienaffiner Lindner. Wer genau sind die Geschmeidigen? Wo kommen sie her, wo stehen sie und wonach greifen sie?

Der Text ist mit seinen drei Teilen klar strukturiert: Der erste Teil – eine Zusammenfassung der Höhen und Tiefen der letzten 40 Jahre von der Gründung der Grünen bis zu Brexit und Pandemie – zeigt auf, was die Geschmeidigen geprägt hat, der Mittelteil, was nun heute für sie auf dem Spiel steht und welche Aufgaben sie zu stemmen haben. Die Autorin warnt zurecht vor demokratiefeindlichen Tendenzen, doch dass sie die Bedrohung scheinbar bei linken Klimaaktivist*innen und ‚Querdenker*innen‘ gleichermaßen verortet, ist bezeichnend. So beginnt das Kapitel „Die antidemokratische Versuchung“ mit einer Kritik ausgerechnet an der Militanz der Klimaproteste, wobei der Bewegung bzw. ihren Gallionsfiguren „narzisstische Kränkung“ und „Messias-Komplex“ diagnostiziert werden. Dass unter einem großen „Wir“ so manche feinen Unterschiede auch innerhalb eines Landes verloren gehen, hat das Genre des Generationenporträts an sich. Doch wenn dabei fast ausschließlich gutverdienende Politiker*innen und Unternehmer*innen zu Wort kommen, muss man den Text eher als das Porträt einer nationalen Führungsriege verstehen.

Bossong führt gewandt von autobiographischen Anekdoten zu historischen Fakten, von literarischen (Camus‘ Sisyphos) zu soziologischen Referenzen (Gramsci, Habermas), sowie durch zahlreiche „Diskursspaziergänge“ mit Persönlichkeiten aus Politik (immer wieder Lindner), Wirtschaft und Kultur. Mit scharfem Blick erörtert sie im Kapitel „Krieg und Frieden“, wohlgemerkt vor Russlands Invasion in die Ukraine, den kritischen Zustand westlicher Demokratien:

Es ist eine der größten Sicherheiten unserer Generation, dass Krieg fern ist, entweder örtlich oder zeitlich. Westliche Demokratien seien dagegen immun, wollen wir glauben, so wie wir auch glaubten, Klimakatastrophen und Pandemien träfen immer nur die anderen. Hält die Immunität auch dann noch, wenn Cyberattacken die heikelste Infrastruktur unseres Landes treffen oder es zum Bündnisfall vor unserer Haustür kommt? Wenn Russland statt der ukrainischen Krim die polnische Grenzregion angreift oder der anhaltende Konflikt zwischen den beiden NATO-Mitgliedern Griechenland und Türkei militärisch eskaliert?

So weit, so klarsichtig. Aber wenn sie konstatiert, dass in den 90er Jahren „die großen ideologischen Kämpfe beendet schienen“, erklärt das vielleicht, warum sich ihre eigene Haltung über pro-Demokratie und pro-Europa hinaus schwierig greifen lässt und sie sich in ihren Plädoyers für eine bessere Zukunft mal aus der linken, mal aus der konservativen, mal aus der liberalen Ecke bedient. Es mag auch daran liegen, dass die autobiographischen Elemente eher zurückhaltend wirken und die Passagen im journalistischen Stil schließlich überwiegen. Zu kompromissbereit, würden wahrscheinlich Alt-68er und Digital Natives gleichermaßen feststellen.

In ihrem letzten Roman Schutzzone (2019) hat Bossong mit einer schwindelerregenden sprachlichen Eleganz hochaktuelle Politik zu Fiktion verdichtet. Doch interessanterweise wird es in Die Geschmeidigen, dessen Sprache voller Metaphern und Literaturbezüge ist, gerade an den poetischeren Stellen etwas schwierig auszuhalten, z. B., wenn sie ihren Eindruck von Katja Kipping mit dem Satz „Vielleicht ist das die gar nicht so häufige Begabung, fliegen zu können und trotzdem noch träumen zu wollen“ zusammenfasst. Irritierend oft werden ähnliche Metaphern aus demselben semantischen Feld verwendet: „[…] haben viele von uns verlernt, vom Fliegen zu träumen, während wir von Gate zu Gate eilen und vorm Fliegen gewarnt werden“, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen. Die sprachliche Virtuosität und Präzision der Dichterin Bossong vermisst man bei der Lektüre. Eine literarische Lesart des Buchs auf der Meta-Ebene, als Zeugnis einer Geschmeidigen, wobei das Wesen der von ihr beschriebenen Generation den ganzen Text durchdringt, erscheint daher gar nicht so abwegig. Anders lässt sich ein unvermitteltes „Wir sind nicht nur die Zuschauer eines Fußballspiels, wir spielen selbst“ kaum einordnen.

Interessant in diesem Zusammenhang, dass sie im dritten Teil, der Anstöße für eine weniger düstere Zukunft geben soll, die Macht zur Veränderung gerade in Sprache und Stil verortet. Hier wird es plötzlich spannend, wenn sie die rhetorischen Stile der Geschmeidigen untereinander vergleicht, das „abgezirkelte Reden, in dem freie Gedankenbewegung von Satzbausteinen verstellt ist“ von Baerbock mit dem ergebnisoffenen Sprechen Habecks; oder sie den politischen Diskurs unter Angela Merkel als „entdramatisiert“ beschreibt.

Doch letztendlich fällt es schwer, dem Text sowohl ästhetisch als auch inhaltlich viel abzugewinnen. Die Gegenwartsanalyse einer intellektuellen Geschmeidigen ist durchdacht, diplomatisch, doch in ihren ‚Einerseits-andererseits‘-Plädoyers teilweise so seltsam steif und bemüht wie das berühmte Instagram-Gruppenselfie von 2021. „‘Wenn wir wollen, dass vieles sich ändert, müssen wir auch dafür sorgen, dass manches so bleibt, wie es ist‘, könnte unser Leitsatz lauten.“ Dieses Resümee eines sicherlich interessanten Zeitdokuments lässt einen, ich behaupte generationenunabhängig, etwas ratlos zurück.

Titelbild

Nora Bossong: Die Geschmeidigen. Meine Generation und der neue Ernst des Lebens.
Ullstein Verlag, Berlin 2022.
240 Seiten , 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783550202001

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