Zäsuren durchsetzen

Nikolas Buck erhellt Epochenkonstruktionen im literarischen Feld

Von Markus JochRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Joch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was sind die Ziele von Geschichte schreiben, einer in der Kieler Germanistik entstandenen Dissertation? Buck kritisiert eine theoretische Marginalisierung jener Epochenkonstruktionen, die nicht nachträglich durch die Literaturwissenschaft, sondern schon durch die Zeitgenossen und zuvorderst von den Schriftsteller:innen selbst produziert wurden. In Abgrenzung vom vorherrschenden Ideal der Ex-post-Epochenbildung will er die Ex-nunc-Konstruktionen stärker zur Geltung bringen, untersucht ihre Entstehung, Konsolidierung und Ablösung. Einen Katalog typischer Merkmale von feldinternen Zäsursetzungen sowie ihrer Gelingensbedingungen zu erstellen lohne zum einen, weil viele Autor:innen der Moderne glaubten, kraft ihres Werks und/oder mit Gleichgesinnten Epoche zu machen. Zum anderen, weil Akte der Epochenbildung scheitern können – als Beispiel dafür dient Peter Rühmkorfs und Werner Riegels erfolgloser Versuch, Mitte der 1950er Jahre den sogenannten Finismus zu etablieren.

Ist die Zielsetzung von Geschichte schreiben vernünftig? Ja, denn die Arbeit stellt sich einem verblüffenden Desiderat. So hat zwar Helmut Kreuzer 1995 betont, dass Literaturhistoriker ihre Epochenbegriffe vielfach dem historischen Material der untersuchten Perioden entnehmen, wobei sie die Möglichkeit haben, den apologetischen oder diffamierenden Gebrauch, den Künstler und Meinungsmacherder jeweiligen Zeit von den Termini machten, zu versachlichen. Doch wie Buck detailliert belegt, ist diese Einsicht nicht, wie man annehmen sollte, der disziplinäre Standard. Verbreiteter in der heutigen Germanistik ist ein Kurzschluss: Da das Ende einer literarischen Epoche erst im Nachhinein bestimmbar, für die historischen Akteure selbst hingegen noch nicht abzusehen ist, sollen Ex-nunc-Epochenkonstruktionen vernachlässigbar sein.

Wer solcherart die Frage nach Funktion und Wirkung zeitgenössischer poetologischer Selbstbeschreibungen ausgrenzt und den Eindruck erweckt, relevante Epochenbildungen seien nur im Nachhinein durch Fremdbeschreibung zu haben, tut sich naturgemäß schwer zu erklären, warum Selbstbeschreibungen faktisch in unsere Literaturgeschichten eingegangen sind.

Romantik, Realismus, Moderne, Dekadenz, Expressionismus und Dadaismus sowie teilweise auch die Postmoderne gehen (ursprünglich) nämlich sehr wohl auf zeitgenössische Bemühungen um eine Selbstverortung im literarischen Feld zurück[,]

stellt Buck mit angemessenem Nachdruck fest. Schon die offensichtliche Verfestigung zeitgenössischer Epochenbildungen in der Nachwelt ist Grund genug, ihre Mechanismen näher zu beleuchten.    

Einzige etwas schiefe Wiedergabe des Forschungsstands: Gegen Gerhard Plumpes Lehrsatz, alle Epochenbegriffe seien Fremdbeschreibungen von Literaturgeschichte, führt Buck als eine Art Beweisstück Luhmanns Wort an, wonach „Geschichtsverlaufsdarstellungen und Epocheneinteilungen in der Funktion gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen verwendet“ werden. Doch ist der Bochumer Germanist hier nicht wirklich, wie suggeriert, in Widerspruch zu seinem Bielefelder Leitautor geraten.

Luhmanns Begriff der Selbstbeschreibung umfasst Gesellschaft samt ihren Beobachtungen zweiter, dritter, n-ter Ordnung (im betreffenden Aufsatz von 1986 veranschaulicht mit der Sicht von Marx und Weber, die beide die Lohnarbeit vereinfachend um 1500 beginnen lassen). Beobachtungen im Nachhinein, zu denen u. a. literarhistorische zählen, meint auch Plumpe, er nennt sie nur anders, eben Fremdbeschreibung. Das Problem liegt hier eher bei Luhmann, dessen Rede von Selbstbeschreibung zwischen zeitgenössischen und späteren Beobachtungen gesellschaftlicher Evolution keinen kategorialen Unterschied macht, während es in Geschichte schreiben ja gerade darum geht, ob Dichter:innen oder erst die Literaturwissenschaft Einschnitte behaupten.

Im Ganzen allerdings überzeugt Bucks Umgang mit Luhmanns Epochenaufsatz. Er stimmt ihm darin zu, dass Zäsursetzungen eine Neuheitsqualität so gut wie immer übertreiben und gerade wegen ihrer Simplifikationsleistung in den Geschichtsverlauf eingehen, wendet aber ein, dass Auszeichnungen gesellschaftlicher Phänomene als grundstürzend neu keineswegs nur nachträglich geschehen. Seit zweieinhalb Jahrhunderten sind (Selbst-)Epochalisierungen schon in der jeweiligen Gegenwart an der Tagesordnung. Zudem dringt Buck darauf, die konkreten Akteure der Zäsursetzungen zu fokussieren, von denen Systemtheorie abstrahiert.

Damit geht die Arbeit auch über jene germanistischen Beiträge hinaus, deren Erkenntnisse ihr am nächsten stehen: Wie Wilfried Barner in zwei Aufsätzen von 1987 herausstellte, häufen sich seit Ende des 18. Jahrhunderts unter Deutschlands Literaten Gesten der radikalen Traditionsverneinung, die einen klaren Schnitt zwischen Vergangenheit und Gegenwart glauben machen wollen, zugleich ein Bewusstsein kommender Erlösung zeigen – und sich mit beidem nicht selten Wunschvorstellungen hingeben. Hier setzt Buck an, fragt jedoch nach den Interessen derjenigen, die ,Epochenillusionen‘ lancieren.

Geschult an Bourdieu erkennt er, dass das Überschätzen und Hochstilisieren von Neuerungen im Moment ihres Entstehens den Distinktionskämpfen im literarischen Feld geschuldet ist. Die Wiederkehr literarischer Zäsurreden verdankt sich der notwendigen Ambition jüngerer Autor:innen, sich von den älteren, etablierten abzusetzen, dem Konflikt zwischen Häresie und Orthodoxie. Mit der Verbindung von Periodisierungsfragen und Feldtheorie betritt Buck Neuland, umso mehr, als „Epoche machen“, das Bezugskapitel in Die Regeln der Kunst, bislang selbst unter bourdieusiens eine beklagenswert niedrige Einschaltquote hat, viel zu selten textanalytisch fruchtbar gemacht wurde.

Gelingt es Buck, beides zu erklären, sowohl das strategische Moment als auch das Unwahrscheinliche, den Erfolg (mancher) literarischer Zäsursetzungen? Es gelingt, da er sich mit feldtheoretischen Kategorien allein nicht begnügt. Sie sind zwar wichtig, um den Zyklus von Entstehung und Ablösung zu verstehen, dem jede sich als epochemachend ausrufende Strömung unterliegt: Was gestern im ketzerischen Gestus proklamiert wurde, gilt der nächsten Häretikergeneration schon als Orthodoxie oder zumindest als überholt. Zu spüren bekommt das etwa Karl Gutzkow, den die Poetischen Realisten nach 1850 auch deshalb in die Vergangenheit zurückverweisen, weil der ihnen zu unidealistische Erzähler sich bereits an der unmittelbar vorausgegangenen Programmbildung beteiligte, der jungdeutschen. Gut gewähltes Beispiel auch insofern, als Gutzkow biologisch fast das gleiche Alter wie seine Kritiker hatte, aber durch die längere Feldzugehörigkeit das höhere soziale Alter.

Doch für den Erfolg einer schriftstellerischen Epochenrede, ihre Konsolidierung im kollektiven Gedächtnis, genügt die Einnahme einer Herausfordererposition noch nicht. Wie Buck an Programmtexten der Romantik, des Poetischen Realismus und des Expressionismus sowie an Zentralschriften der Postmoderne herausmeißelt, müssen Zäsursetzungen, um durchzudringen, auch über performative Qualitäten verfügen (für deren Analyse John L. Austin, Erika Fischer-Lichte und Victor Turner die Stichworte liefern). Und es muss ihnen ein invisible hand-Effekt zugutekommen. Was heißt das eine, was das andere?

Bei allen vier Fallbeispielen kennzeichnet die Reden von einem literarischen oder literarisch-philosophischen Neuanfang, dass sie stark verdiktive Äußerungen mit exerzitiven (Anweisungen, Vorschriften) und kommissiven (Versprechen, Absichtserklärungen) verknüpfen. Sie verkünden nicht nur, die literarische Zukunft zu kennen und für sich bzw. die eigene Strömung allein gepachtet zu haben – am schrillsten tönen die Expressionisten –, vielmehr bringen sie das Zukünftige im Akt der Benennung respektive Beschwörung allererst hervor. Sie beschreiben das Jetzt als Schwellenzustand zwischen einer abzulehnenden Vergangenheit und einer herbeigesehnten Zukunft („goldne Zeit“, Novalis), in dem die sich abzeichnenden, neuen Werte und Werke noch entschlossener Geburtshelfer bedürfen.

Widerhall findet liminale Rhetorik, wenn zugleich a) ein Korpus literarischer Werke entsteht, der die Programmschriften halbwegs deckt, b) die für die Besetzung der Jetztzeit vorgeschlagenen Begriffe nicht nur über Originalität und Prägnanz verfügen, sondern auch „über eine relative semantische Unschärfe […], damit sich die Basis der Begriffsverwendung mit der Zeit verbreitern kann, das heißt auch ähnlich geartete Projekte anderer Autoren integriert werden können“. Zu verfolgen ist die terminologische Erzeugung eines Minimalkonsenses unterschiedlicher Akteure, die Absorption ihrer Kreativität – die man bisweilen, meine ich, Konsensfiktion nennen könnte. Buck führt als Beispiel für Einigkeit durch Unschärfe den weit überdachenden Terminus Expressionismus an, unter dem neben zig literarischen auch Produkte aus Bildender Kunst und Film Platz fanden.

Die Begriffsschöpfung Finismus dagegen, die einfach nach einem Ismus mehr klang, zudem wenig zukunftsgewiss, hatte null Absorptionskraft – einleuchtende Erklärung fürs Scheitern. Und in der Tat ist mit Buck zu fragen, ob das Duo Riegel-Rühmkorf jemals an der Erweiterung der Kerngruppe über zwei Mann hinaus interessiert war. Legt man sich dann mit der Gruppe 47 an, im Jahr 1953?

Geschichte schreiben zeigt nicht nur, wer mit welchen Motiven eine neue Epoche einläutet und was man bei solchen Auftritten beachten sollte, sondern auch, worauf die Epochenschneider:innen keinen Einfluss haben. Jenseits ihrer agency (Handlungsmacht) liegt besagter invisible hand-Effekt. Bei Simone Winko, die den Begriff als Erste literaturwissenschaftlich adaptierte, bezeichnet er kulturelle Phänomene, die sich keinem einzelnen Verursacher zurechnen lassen. Buck bezieht den Effekt nun auf Stimmen, die einen Epochenbegriff unbeabsichtigt festigen. Niemand stabilisiert ihn so sehr wie diejenigen, die ihn ablehnen, aber in negativer Bezugnahme ständig im Munde führen.

Für diese nicht-intentionale Verstärkung sorgen meistens die herausgeforderten Autor:innen im Feld, von August von Kotzebues Infantilisierung der Romantiker bis zu Thomas Mann und seiner Verachtung für die Expressionisten. Es kann aber auch das Feuilleton der späten 1980er Jahre sein, das die damalige Dominanz postmoderner Konzepte zähneknirschend einräumte, das P-Wort in „aversive[r] Toleranz“ gebrauchte. Klug ist nicht zuletzt die Beobachtung, dass Verabschiedungen einer Epoche, wie sie bei PoMo um 2000 einsetzten, deren Konstruktion paradoxerweise stützen. Denn so gesteht man dem Totgesagten eine Prägekraft zumindest für die (angeblich) ausgelaufene Periode zu.

Es stecken interessante Theorieebenen in Geschichte schreiben. So sorgen die Zäsurrhetorik der jeweiligen Begriffspropagandisten und die von ihnen konstruierte bis erfundene Einheit der neuesten Literatur für eine Komplexitätsreduktion, die dem Bedürfnis unserer Zunft nach einigermaßen klar periodisierbarer Literaturgeschichte entgegenkommt. Eine Kopplung von Beobachtungen erster und zweiter Ordnung liegt da auf der Hand. Dass zur Verbreitung und Speicherung eines Epochenbegriffs auch seine zeitgenössischen Widersacher (plus die neutralen Kommentare) beitragen, spricht wiederum für eine Bemerkung von Hans-Edwin Friedrich, der 2001 in seiner Regeln der Kunst-Rezension prinzipiell bezweifelte, dass, wie Bourdieu voraussetzt, stets die jeweilige Avantgarde dem literarischen Feld das Gesetz gibt. Für die Popularisierung von Ex-nunc-Epochenbildungen jedenfalls sind die Traditionalisten genauso wichtig. Nur dass sich Häretiker und Orthodoxe dann in einer unbewussten, durch ihren Widerstreit verdeckten Kooperation befinden, für die Bourdieu den Begriff bereitstellt: collusio. Mit ihr bilden sich übersichtliche Antagonismen aus, wie geschaffen für Meta-Beobachtungen („Für und wider den x-ismus“) und also für die Ablagerung im literaturwissenschaftlichen Gedächtnis.

Andererseits können Bucks Leser:innen Theoriebezüge auch beiseitelassen und einfach von einem informatorischen Vorzug profitieren, der sich aus der durchdachten Anlage des Buchs ergibt. Auf der Folie von Romantik, Poetischem Realismus und Expressionismus schärft Buck das Profil der Postmoderne, verdeutlicht Unterschiede zu und Gemeinsamkeiten mit modernen Epochenkonstruktionen brillant.

Wie diese versuchen auch die Neuerer nach 1968, gegen die aktuelle Orthodoxie eine bessere, ihre eigene Traditionslinie sichtbar zu machen, kreieren einen Gegenkanon (hier zur Klassischen Moderne oder zur Gruppe 47). Und obwohl man Innovationszwang und Überbietungsgebot der modernen Avantgarden ablehnt, zeigt man sich ähnlich wie sie zukunftsgewiss und im Ton apodiktisch. Aber: Ganz anders als die frühere Vorhut sind die Fürsprecher des Postmodernismus Einzelkämpfer. Es existiert in den 1970er und -80er Jahren keine häretische Trägergruppe, die den neuen Begriff emphatisch als Selbstbeschreibung verwendet. Mehr, bis auf wenige Ausnahmen (wie Umberto Eco) sind es nicht die Schriftsteller:innen selbst, die postmodern als Etikett wählen, sondern es wird ihnen zugewiesen. Schon Fin de Siécle und Décadence waren Fremdbezeichnungen, daher schlägt Buck vor, alle drei als „Zeitgeist-Begriffe“ zu definieren, um sie von den Selbstbezeichnungen der koordiniert, mit Absicht zur Selbstaufwertung handelnden Gruppen abzuheben.   

Leslie A. Fiedlers Aufforderung zum Einebnen der Unterscheidung von Hoch- und Massenkultur, Ecos und Hanns-Josef Ortheils Plädoyer für einen spielerisch-zitathaften Umgang mit literarischer Moderne, Wolfgang Welschs Parteinahme für pluralisierende und hybridisierende Philosophie, Jean-François Lyotards Grabrede auf „große Erzählungen“ wie Marximus und Kritische Theorie – die von Buck aufgemachte Reihe zeigt, wie Heterogenes der umbrella term Postmoderne abdeckte (darin dem Expressionismus gleichend). Klar wird auch, dass mit der Postmoderne Akte der Epochenbildung tendenziell auf sekundäre Diskurse übergehen. Selbst Eco und Ortheil sprechen, wenn programmatisch, mindestens so sehr als Literatuprofessoren/-kritiker wie als Schriftsteller.

Und: Nur die Postmoderne kennt einen „vorläufigen Abbruch des Prozesses der Epochenbildung“: Mit seinem Freiburger Vortrag von 1968 kommt Fiedler zu früh. Die Ermunterung aus den USA, vermeintlich triviale Gattungen wertzuschätzen, sorgt bei den Deutschen nur für eine kurzlebige Debatte und gerät in den zwei Dekaden danach in geradezu gespenstische Vergessenheit, während die anderen „Postler“ seit 1979 schnell nachhaltige Aufmerksamkeit erregten.

Es gibt noch eine weitere Binnendifferenz, und sie hätte Buck stärker machen können. Wenn das Schlusskapitel dokumentiert, wie massiv Ende der Neunziger Lyotard Entpolitisierung und Salonfatalismus vorgeworfen wird, hätte man sich einen Hinweis gewünscht, dass im Gegensatz zu ihm die Position des in Deutschland wiederentdeckten Fiedler keinen Schaden nimmt, als im literarischen Feld Repolitisierung zu trenden beginnt. Eine erklärliche Differenz: Der französische Abgesang auf politische Fortschrittsversprechen war das eine, für Link(sliberal)e Skandalisierbare, die Anerkennung von Populärkultur das ganz andere. Mit ihr hat sich die nach-adornitische Linke angefreundet, so dass sich die Anregung aus Amerika, wenn auch verzögert, als das robuste PoMo-Element erweisen, der Ablösung entgehen sollte.

Ungleich schwerer als das kleine Monitum wiegt, dass Buck eine prominente Epochenkonstruktion von 1990 entzaubert. „Die Literatur der Bundesrepublik Deutschland wurde dreiundvierzig Jahre alt. Wie jener in der DDR steht auch ihr das Ende bevor. Nicht heute vielleicht, aber morgen.“ Der Suggestion von Frank Schirrmacher wie auch von Ulrich Greiner, es habe der politischen Wende bedurft, um einer neuen Autor:innengeneration den Weg zu ebnen, hält Buck entgegen, dass die 1990 immer noch beklagte Dominanz der engagierten, gesinnungsfesten Nachkriegsliteratur realiter bereits in den Siebzigern erodierte und in den Achtzigern ein Ende fand. Gleichsinnige Einwände hat Thomas Anz frühzeitig vorgebracht und von dubioser „Epochenzäsurrhetorik“ gesprochen. Inwiefern gibt Buck ihr jetzt den Rest?

Indem er die Durchsetzung postmoderner Wertungsmaßstäbe wie auch den parallellaufenden Ansehensverlust der ,47er‘ in der Vorwendezeit des westdeutschen literarischen Feldes minuziös nachzeichnet und Schirrmachers Zitatklassiker damit konfrontiert, beweist er, wie falsch und naseweis die Übertragung einer politischen Zäsur auf den kulturellen Bereich war. Zumal Buck sie – gar nicht mal explizit, nur durch die Anordnung – mit einem veritablen Akt der Epochenbildung kontrastiert. Neben Ortheils manifesthaftem Artikel für postmodernes Erzählen, das Spiel mit Traditionsbeständen (1987), nimmt sich Schirrmachers Evokation bzw. Simulation einer Epochenschwelle arg verspätet und gratismutig aus.

Für das Gegenteil von Gerede steht Geschichte schreiben, ein mit Bedacht, Um- und Weitsicht verfasstes Werk. Allein schon der Brückenschlag zwischen der Theorie des literarischen Feldes und Performativitätsforschung ist zukunftsweisend. Kontrollierter Synkretismus, sozusagen. Dass das Buch noch etwas mehr zu bieten hat, macht es zum großen Wurf.

Titelbild

Nikolas Buck: Geschichte schreiben. Ein Modell zum Prozess literarhistorischer Epochenbildung.
Ergon Verlag, Würzburg 2021.
371 Seiten, 72,00 EUR.
ISBN-13: 9783956508295

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