Poetische Gelassenheit

Jörg Neugebauer legt in „Kühe spielen Minigolf“ fantasievolle Gedichte vor

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erholung tut Not. Lyrisch geformte Fantasieräume, Fantasieträume schenken solche Ausblicke auch heute. Der Dichter Jörg Neugebauer publiziert seit vielen Jahren Formen einer im besten Sinne poetischen Kleinkunst, die nicht immer, aber so oft zum entspannten, versonnenen Lächeln einlädt. Möglicherweise lässt das im Titel sichtbare, grundsätzlich sympathische Fleckvieh auch an eine Form poetischer Nischenkunst denken, gegen die mitnichten etwas einzuwenden ist, sondern für die Leserinnen und Leser dankbar sein dürfen. Neugebauer bittet um die „junge Geduld“ mit dem nicht mehr ganz jungen Dichter und wirbt freundlich darum, die genialische Inspiration weder zu erwarten noch zu überschätzen:

Kühe spielen Minigolf
ein fertiges Gedicht
oh nicht so schnell
es möchte sich erst
selber hören
sprich nicht dazwischen
zwinkere ihm
ein bisschen zu

Niemand muss vorschnell gealtert sein, um über jegliche Schnelllebigkeit zu stöhnen. Für Minigolf benötigen nicht nur Kühe einen langen Atem, sondern auch hinreichend Zeit. Wir alle müssen uns also auch nicht beeilen, wie gut. Ein kluger Dichter, so auch Jörg Neugebauer, verzichtet auf Ehrgeiz, Leistungsstress und das Streben nach Höherem oder Höchstem. Er schreibt, nicht nur, aber auch, für den geruhsamen Zeitvertreib und bittet inständig darum, langsam zu sein, auch langsam zu lesen – „oh nicht so schnell“. Die Langsamkeit kann zu einem Lebenselixier werden, auch als kunstvoll gestaltete Lyrik. Dem Gedicht sollten wir nichts abverlangen, aber ein freundliches Zwinkern ist erlaubt, gestattet und erwünscht. Schließlich spielen auch Nutztiere gelassen Minigolf – oder etwa nicht? Wir dürfen davon träumen und darüber lächeln.

Neugebauers Gedichte berichten von kostbaren Augenblicken der Ruhe, „wenn der Lärm in der Stille versinkt“. Was zählt nicht alles zu den lästigen, auch belastenden Geräuschen? Der Tag ist voller Druck, Unrast, nutzloser Eile und hektischer Betriebsamkeit. Manche Menschen bleiben beschäftigt und geschäftig, reden unausgesetzt, ereifern sich und wüten. Ja, das alles strengt so an, wenn jeder seine Meinung sagen möchte und auch noch glaubt, Anspruch auf ein Publikum zu haben. Jörg Neugebauer indessen möchte atmen können, für ihn heißt das – dichten. Die Mondnacht „versöhnt“ auch die aufgewühlten Sinne, so dass es gelingt, „sanft“ zu werden „in der Stille“. 

Tiere haben es dem Dichter offenbar angetan. Ein schönes Gedicht gilt den Rehen, die Rehe bleiben dürfen und auch nicht unnötig poetisch bedrängt werden. Die Verse gelten einer Freundin, vielleicht einer Geliebten:

Drei Rehe

Im Wald oder wo
und am Morgen
doch da ist noch was
ein Bild
von den Rehen
das hab ich
von dir
nicht als Foto
nicht als Objekt
mehr eine Brücke
ein Gemeinsames
das nur du
und ich kennen

Erinnerungen werden aufmerksam geteilt und mitgeteilt, zu Brücken, die dann unverlierbar, ohne die beteiligten Personen zu zeigen, zu einem Bindeglied werden. Hier ist es ein Foto, das sich mit dem Gemeinsamen verbindet, aus der Gemeinschaft erwachsen ist und diese fortdauernd zeigt. Wer sich dies lesend vergegenwärtigt, sieht vor dem inneren Auge ein Bild, das drei Rehe zeigt und mehr noch auf das verweist, was unsichtbar ist, eine nicht erzählte Geschichte verborgener Zweisamkeit, die in leichte, schwebende Verse gekleidet ist.

In einem Gedicht aber werden verblasste Wendungen und Sprachbilder sichtbar, etwa ein „Regenbogen“, der im Alltag ebenso wie in Prosa und Poesie derzeit eher zu oft als zu selten beschworen wird. Dem lyrischen Ich soll der „Regenbogen“ in dem Gedicht „im Dunkel leuchten“. Was farbenprächtig und klangvoll wirken soll, erscheint doch ein wenig fade. Hier wäre möglicherweise ein unsentimentaler Regenschauer auf gewisse Weise poetisch verlockender gewesen.

Gedanklich anregend ist sodann das „leere Zifferblatt“, von dem der Poet träumt, ähnlich jenen Dichtungen, die jenseits oder außerhalb der Zeit platziert sind – „und es wär‘ immer / so spät wie ich will“. Auch eine solche Uhr mag vertraut erscheinen. In der Schule etwa vergeht die Zeit langsam, später scheint sie zu eilen, und „mit den zwei Zeigern“ kommt mancher das ganze Leben hindurch „nicht so ganz klar“. Auf die philosophische, schwerblütige Reflexion der Frage nach der Zeit verzichtet der Philosoph Neugebauer sicher nicht gänzlich absichtslos, ebenso wenig grübelt er über die Willensfreiheit. Manche Fragen sind doch sehr müßig. Wer genug philosophiert hat, der philosophiert nicht länger oder nicht mehr als nötig. Neugebauers Denken ist mit der Dichtung gleichwohl eng verwebt:

Ein erstes Gedicht

ein letztes
dazwischen viele
halbe Verse
Hebungen Senkungen
Auslassungszeichen


einzelne Wörter
von ganz früh
kommen spät wieder
manches, ungewollt
reimt sich

In der Poesie, so mögen Leserinnen und Leser begründet mutmaßen, fügt sich manches ohne Zwang buchstäblich „ungewollt“ ineinander und „reimt sich“ sogar, ergibt Sinn und lässt alle, die sich auf diese Verse einlassen, wissend und heiter lächeln. Anschauungsweisen werden gegenwärtig, auf Dicht- und Denkräume weist Jörg Neugebauer hin. Wenn wir uns die Kühe vorstellen, die Minigolf spielen, so mögen auch wir uns vielleicht entspannen, tun und treiben, uns treiben lassen, ganz wie es uns gefällt, und niemanden stören.

Viele dieser Gedichte wirken etwas beiläufig, und das macht nichts. Dieser Gedichtband ist eines mit Sicherheit nicht – nebensächlich. So kann diese Art der Lyrik zugleich als erholsam erlebt, auch darum fantasievoll und lesenswert genannt werden.

Titelbild

Jörg Neugebauer: Kühe spielen Minigolf. Gedichte.
Edition Noack & Block, Berlin 2022.
88 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783868131420

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