So viel wie nichts und so viel wie alles
„halten wir einander fest und halten wir alles fest!“, der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger und Günter Eich, gibt Einblicke in eine unwahrscheinliche Autorinnen-Freundschaft
Von Leoni Buchner
Zwei Autorinnen deren Herkunft kaum unterschiedlicher sein könnte: Ilse Aichinger, die als Halbjüdin traumatische Erfahrungen im Holocaust machen musste und die durch ihre Dichtungen fast instinktiv Widerstand leistete. Auf der anderen Seite Ingeborg Bachmann, die behütet als Tochter eines NSDAP Offiziers aufwuchs, aber trotzdem gegen den Holocaust anschrieb. Zwei der einflussreichsten Autorinnen der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Frauen, die der Literaturbetrieb eigentlich zu Konkurrentinnen hätte machen sollen.
Sie begegnen sich 1947 in Wien. Bachmann ist noch unbekannt, Aichinger wird schnell zu einer ihrer Leitfiguren. Die beiden beginnen eine Beziehung, die vom Freundschaftlichen in das Familiäre übergeht und fast als politisch aufgefasst werden kann. Bachmann, die trotz allem eine enge Beziehung zu ihrer eigenen Familie hat, wird von Familie Aichinger als „dritter Zwilling“ bezeichnet, Aichingers Mutter Berta unterzeichnet Briefe mit „Ihre Mutti“. Bachmann, dessen Vater dem Nationalsozialismus zugewandt war, wird nun „Teil“ einer verfolgten jüdischen Familie.
Der Briefwechsel zwischen beiden beginnt Ende des Jahres 1949 und erstreckt sich über fast 12 Jahre. Zwischen den damals einzigen weiblichen Autorinnen der Gruppe 47 ist von konkurrierender Feindseligkeit keine Spur. In der „liebevoll-poetischen“ Konversation, wie sie die Herausgeber*innen Irene Fussl und Roland Berbig beschreiben, wird ihre große Zuneigung zueinander greifbar. Doch die Briefe berichten auch von der Tragik des letztendlichen Auseinandergehens dieser großen Freundschaft.
Die Briefe umfassen den Zeitraum Bachmanns kometenhaften Aufstiegs in der Literaturszene, beschreiben aber auch ihre depressiven Phasen, in welchen sie kaum dazu in der Lage ist, zu schreiben. Sie bieten auf eine besondere Weise Einsicht in die Verbindung von Leben und Schreiben der beiden Autorinnen.
Meist gibt der Briefwechsel Einblick in das alltägliche Leben der Frauen – Wohnungssuchen, Geldsorgen, den Wunsch sich bald wieder zu sehen. Sie fangen ihr Leben in den Briefen mit Sprache ein. Über allem schwebt dabei das Vermissen und die gegenseitige Unterstützung der beiden Autorinnen, sei es finanzielle Entlastung oder Gastfreundschaft. Bachmann, die Ilse Aichinger später als „den Mittelpunkt meiner Wiener Zeit“ beschreiben soll, widmet ihrer Freundin mehrere Werke, während Aichinger beständig betont, Ingeborg Bachmann bleibe immer Teil ihrer Familie.
Auch wenn beide Autorinnen bald unterschiedliche Lebenswege gehen, bleibt der Kontakt aufrecht. 1951 lernt Aichinger bei einem Treffen der Gruppe 47 den Schriftsteller Günter Eich kennen. Sie werden ein Paar, heiraten – obwohl Aichinger sich lange nicht vorstellen konnte, sich jemals überhaupt fest zu binden. Sie verweigert sich dem stätigen Öffentlichkeitsauftritt im Literaturbetrieb. Während Aichinger ein zurückgezogenes Leben innerhalb „klassisch“ familiärer Strukturen lebt, geht Bachmann einen gänzlich entgegengesetzten, für die Zeit beispiellosen, Lebensweg. Sie widmet ihr Leben fast vollends dem Literaturbetrieb, wird schnell und immer wieder Mittelpunkt der Medien, zieht während des Briefwechsels unter anderem nach Paris und Rom.
Gleichermaßen erstaunlich wie bemerkenswert ist allerdings eines, was den Briefen der beiden Frauen deutlich zu entnehmen ist: beide akzeptieren den Lebensweg der anderen. Fast rührend wird sichtbar, wie sie sich in ihren unterschiedlichen Entscheidungen unterstützen. Bachmann freut sich über den „Schutz“ Eichs, unter welchem Aichinger stehe, während diese ihrer Freundin wünscht, sie finde „Freiheit in der Verlassenheit“.
Überraschenderweise verrät der Briefwechsel kaum etwas über Bachmanns romantische Beziehungen. Sie hält Aichinger und Eich für das perfekte Autorenpaar. Eich unterzeichnet die Briefe seiner Frau immer wieder mit, und dessen Freundschaft zu Bachmann wird so auf eine unterschwellige Weise sichtbar. Rührend enthüllen ihre Briefe, dass auch sie sich nach einer solchen Beziehung, sogar nach einem Kind sehnt und sich vor „dem Alleinsein und seiner Fatalität“ fürchtet. Doch lediglich ihre Beziehung zu Max Frisch wird fast unkommentiert durch Unterzeichnungen der Briefe und kurze „PS“ Kommentare , ähnlich wie die von Eich, mit in ihre Korrespondenz einbezogen.
Aichinger hingegen schreibt viel über ihre privaten Beziehungen, jedoch wenig über das Schreiben an sich. Immer wieder geht aus Bachmanns Briefen ihre Geldnot hervor, wie sehr sie unter manchen Schreibarbeiten zu leiden hat und immer wieder depressive Phasen durchlebt. Aichinger entzieht sich immer mehr dem Literaturbetrieb, welcher sie am Schreiben hindere. Bachmann steht in eben dessen Rampenlicht.
Mit dem Ende des Briefwechsels endet auch die Freundschaft der beiden Frauen, die sich schlussendlich doch immer weiter voneinander entfernt zu haben scheinen. Er endet mit einem nie abgeschickten Brief Bachmanns und den Worten: „ich hab das Gefühl, viel zu wenig gesagt zu haben, Dir zu wenig gedankt zu haben, Dich zu wenig oft gesehen zu haben“. Halten wir einander fest und halten wir alles fest! ist die erste Veröffentlichung des Briefwechsels der beiden bedeutenden Autorinnen. Es ist der fünfte Einzelband der als dreißigbändig angelegten Salzburger Bachmann Edition. Die Reihe stellt die erste Gesamtausgabe der Prosa, Gedichte und Essays, der Hörspiele, Libretti sowie der Korrespondenz Bachmanns dar.
Erhalten sind 104 schriftliche Zeugnisse der Freundschaft, herausgegeben von Irene Fussl und Roland Berbig bietet die kommentierte Ausgabe Einblicke in teilweise noch unbekannte Texte aus dem Nachlass Bachmanns und zeigt eine tiefe Freundschaft zwischen zwei Frauen, welche sich im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit behauptet haben.
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