Biere zischen, Rumba tanzen
In „Tanz der Teufel“ ergießt Fiston Mwanza Mujila ein irres Gelächter über Zaire
Von Beat Mazenauer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer kongolesische Schriftsteller und Performer Fiston Mwanza Mujila wurde 1981 in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Das Land hieß damals noch Zaire und wurde vom Diktator Mobutu Sese Seko regiert. In den 1960er Jahren war die Provinz Katanga mit ihrer Hauptstadt Lubumbashi ein Zentrum der separatistischen Rebellion. Katanga ist eine Minenregion, die reich ist an Erzen, Gold und Diamanten, aber auch reich an Korruption. Schon immer zog die Provinz, wie auch das benachbarte Nordangola, Glücksritter und Gauner an, die hier Goldnuggets und Klunker zu finden hofften. Doch wem solches Glück hold war, dem kam der Gewinn meist schnell wieder abhanden.
Um diese Suche nach Geld und Glück dreht sich der Roman Tanz der Teufel. Er spielt in den späten 1980er-Jahren, als Mobutu eine Politik der „Authenticité“ propagierte, mit der westlich-christliche Einflüsse zurückgedrängt und eine „Zaïrisation“ durchgesetzt werden sollte. Mit dazu gehörte eine grausame politische Repression. Vor diesem Hintergrund entfaltet Fiston Mwanza Mujila das Panorama einer ebenso vitalen wie gnadenlosen Gesellschaft. Sein Roman spielt zum einen in der urbanen Aufgeregtheit Lubumbashis, zum anderen in der wüsten Minenregion des nördlichen Angola. Hier begegnen wir in den Hauptrollen einem ebenso arglistigen wie feinsinnigen Geheimdienstler, einem gestrandeten österreichischen Autor, der angeblich zweihundertjährigen Tshiamuena sowie den beiden Jugendfreunden Molakisi und Sanza, die das Leben auseinandertreibt.
Gefahren lauern überall, in Angola durch Erdrutsche, Gewalt und die UNITA-Rebellen, in der Millionenstadt durch Elend, Diebstahl und politischen Verrat. Während Tshiamuena, „die Madonna der Minen von Cafunfo“, in Angola für ihre Schäfchen sorgt und einen Rest an Ordnung wahrt, feiert man in Lubumbashi im Klub Mambo de la fête turbulent bei zischenden Bieren und zairischen Rumba-Rhythmen den Teufelstanz, „solange noch etwas Leben in einem steckte“. Alle tanzen ihn:
den Tanz aller, die das Geld verachten
das Geld zur Tür hinauswerfen
das Geld zum Fenster hinauswerfen
ins Klo
und in den Gully
Bälger, Bälger
sie tanzen und tanzen
den wunderbaren Tanz der Teufel.
Wer Geld hat, investiert es nicht, sondern tauscht es im Mambo de la fête für Bier und Zigaretten. Denn in einem Land wie Zaire ändern sich die Dinge „schwindelerregend schnell und manchmal ziemlich radikal“. Da gilt es auf der Hut zu sein. Fiston Mwanza Mujila veranschaulicht mit literarischen Mitteln eine afrikanische Rationalität, die darum weiß, dass alles vom Zerfall bedroht ist.
Ins Zentrum rückt er stellvertretend dafür die Straßenkinder von Lubumbashi, die den Postplatz der Stadt beherrschen, sich mit Klebstoff betäuben und allen Ballast der Familie und der Tradition abgeworfen haben. Zu ihnen gehört auch Sanza, der das Leben auf der Straße preist, mögen die Aussichten auf Reichtum minimal und immer an den totalen Absturz geknüpft sein. „Nichts kann die Freiheit ersetzen. Kein Essen, kein Taschengeld, kein Fernseher“, denn „draußen war immer etwas los, Verfolgungsjagden mit Finanzinspektoren, Wahnsinn, der Tanz des Teufels und das Mambo de la fête in seiner ganzen Pracht“.
Und nicht zu vergessen Monsieur Guillaume, der Geheimdienstler, der in Gesprächen gerne den slowenischen Dichter Kosovel hochleben lässt und in seiner Bibliothek auch Bücher von Werner Schwab stehen hat. Die Straßenkinder waren sein kleines Heer für mindere Aufgaben. Wer sich bewährte, konnte aufsteigen. Monsieur Guillaume wähnt mit Recht hinter allen Ecken die nationale Ordnung in Gefahr, denn die Rebellion lauert in Lubumbashi in allen Ritzen.
Die Faszination, die von Fiston Mwanza Mujilas Tanz der Teufel ausgeht, gründet in einer Sprache, die ekstatisch beschwingt das zwischen Überschwang und Absturz pendelnde Lebensgefühl seiner Helden und Heldinnen aufhebt. Die Prosa tanzt selbst den zairischen Rumba, der Autor hat ihr Passagen einbeschrieben, die seine große Liebe zum Jazz bezeugen. Atemberaubend ist gleich schon der Anfang, in dem „das aufrührerische und unbeschreibliche Leben“ von Tshiamuena aufzählend, variierend wie in einem Choral besungen wird.
„Verkehrte Welt“, ruft der Erzähler auf einmal aus und gibt ein Stichwort, das auf eine ferne kulturgeschichtliche Quelle verweist. In seinem Rabelais-Buch über die Kultur des Karnevalesken schrieb Michail Bachtin, dass in der Klassengesellschaft „die Seriosität immer offiziell, autoritär, mit Zwang, Verboten und Einschränkungen verbunden“ ist, also Angst erzeugt und einschüchtern will. „Das Lachen legt im Gegensatz dazu nahe, dass Angst überwindbar ist“ und über die das Bewusstsein fesselnde und verdunkelnde Kraft triumphiert, indem sie die Angst entlarvt – aber nicht beseitigt.
Ein närrisches Lachen begleitet auch in Mwanza Mujilas Buch die karnevaleske Rebellion. Immer wieder brechen die Protagonisten in ein solches Gelächter aus, in dem Trotz, Verzweiflung, Vitalität und Lebensfreude bunt vermischt mitschwingen. Alles wird dadurch umgestürzt – und bleibt doch beim Alten. Monsieur Guillaume ist nicht unterzukriegen, die Straßenkinder schwärmen für ihn aus, derweil die Glücksritter und Ganoven bloß Reden schwingen, dazu Biere zischen und sich ekstatisch zu Rumba-Rhythmen bewegen.
Diese zwiespältige Vitalität fängt Fiston Mwanza Mujila virtuos ein. Seine Erzählung faltet sich zwischen Lubumbashi und den Minen in Nordangola, zwischen Realität und Wahnsinn, zwischen all den Figuren auf, die in dem Roman selbst zur Sprache kommen. Es gibt darin kein konsistentes Erzähler-Ich mehr, der Autor ignoriert jenen „sinnlosen Perfektionismus“, der den im kongolesischen Minenfeld gestrandeten österreichischen Autor Franz am Schreiben hindert.
Indem alle durcheinanderreden, behält die Sprache eine geschmeidige Beweglichkeit, die mal ins Burleske, mal ins Lakonische, mal ins Politische, mal ins Melodramatische kippt, doch immer Zaire zwischen Diktatur, Bürgerkrieg, Korruption und Chaos im Blick behält. Die Herrschaft von Mobutu Sese Seko war eine kleptokratische Übergangszeit zwischen der Kolonialepoche und dem heutigen Chaos, in dem die staatliche Macht der Demokratischen Republik Kongo fast gänzlich erodiert ist. Der Tanz der Teufel geht weiter, unter infernalem Gelächter.
Fiston Mwanza Mujilas rauschhaft vitales Buch begeistert vor allem durch seine musikalische Struktur. In einem Interview bekräftigte er 2020: „Wörter sind für mich Noten, alles beruht auf der Konstruktion des Satzes. Ich mag lange Sätze, die mir eine Atempause gönnen, denn in einem langen Satz kann man die Tonlage verändern. Davon geht die Musikalität aus.“ Entsprechend spielen die einzelnen Figuren wie Jazzmusiker ihre Parts in einer Gesamtkomposition.
Dass dies auch im Deutschen funktioniert, dafür gebührt den beiden Übersetzerinnen Katharina Meyer und Lena Müller ein großer Kranz gewunden. Sie haben für die jazzig beschwingte Sprache, auf die der Autor besonderen Wert legt, im Deutschen eine akkurate Entsprechung gefunden, die dem Original nachempfunden mal vulgär und fetzig, mal nachdenklich und traurig klingt.
Es ist diese Mischung aus Misere und Lebenslust, die Fiston Mwanza Mujila gerne auch live bei Lesungen und Auftritten erlebbar macht. Er liebt es, seine Texte zu deklamieren und im Zusammenspiel mit Musikern wie dem Saxophonisten Patrick Dunst laut und lebhaft auf die Bühne zu bringen. Dabei unterlegt der Autor seinen Vortrag immer wieder mit diesem wunderbar närrischen Lachen, in dem sich Lebenslust und Ausweglosigkeit gefährlich mischen. Es ist ein Lachen, das befreit und zugleich ängstigt, das vor allem aber teuflisch ansteckend ist.
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