Lernt boxen

Kerstin Ehmers Blick in die kriminelle Entstehungsphase der neuen Führerpartei: „Der blonde Hund“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fangen wir mit dem fast schon Normalen an, dem Fall: In ihrem dritten Kriminalroman, Der blonde Hund, um den aus dem fernen Wittenberge stammenden Kommissar Ariel Spiro, den es in das Berlin Mitte der 1920er Jahre verschlagen hat, wird es erneut politisch, dieses Mal aber gehts ums Eingemachte, um deutsche Politik.

Ihren ersten Krimi, Der weiße Affe, hatte Ehmer noch um einen, sagen wir, Missbrauchsfall im Künstlermilieu angesiedelt. Der zweite, Die schwarze Fee, spielt unter Exil-Russen, die sich gegenseitig ums Leben bringen – Bolschewisten, Anarchisten, Monarchisten. Und schon hier sind sich Ukrainer und Russen nicht gerade gewogen, was dem 2019 erschienenen Roman eine merkwürdige Aktualität gibt. Das Schicksal des Anarchistenführers Nestor Machno, der jahrelang für eine anarchistische Ukraine, faktisch aber auf Seiten der Bolschewiken kämpfte, um dann am Ende von ihnen vernichtet zu werden, bildet die Folie der befremdlichen Mordfälle, denen Spiro auf der Spur ist. Eine Aufklärung findet zwar statt, aber die Mörderin entkommt der Gerechtigkeit dann doch.

Was das Strafen hingegen angeht, davon ganz abzulassen, soweit will es Ehmer in ihrem dritten Roman dann nun doch nicht kommen lassen. Angesiedelt ist der Krimi im reindeutschen Milieu Mitte der zwanziger Jahre. Aus der NSDAP wird erst nach und nach jene Führerpartei, die ihrem Heros hörig ist und in Bewunderung für den merkwürdigen kleinen Mann zerfließt, der so gar nicht „arisch“ daherkommt. Die völkischen Grüppchen und Gruppierungen konsolidieren sich noch, aber die Nazis gehören schon jetzt zu den größeren Spielern im aufkommenden nationalistischen Lager.

Sie spielen zudem schon professionell genug, um sich immer besser zu verankern, und wissen sich mit den richtigen Verbündeten einzulassen. So ganz werden sie ihr rüpelhaftes Wesen zwar nie los – und einmal an der Macht, werden sie darin hemmungslos werden. Aber sie können genug davon ablegen, um in den richtigen Kreisen salonfähig zu werden, die glauben, ohne sie die lästige Republik nicht mehr loswerden zu können. Aus den künstlerisch motivierten Salonrevolutionen werden mehr und mehr politisch wirksame, vor allem nationalistisch grundierte und moralisch verlotterte Verbindungen, in denen Geld und Kontakte gehandelt werden. Die Zeiten ändern sich, der Geldadel will, wie der alte Adel auch, von seinen Pfründen und seiner Allmacht nicht lassen. Also träumt er eben nicht mehr vom Neuen, sondern vom Dritten Reich, das da kommen möge – und baut seinen Propheten systematisch auf. Das lässt auf Großes hoffen.

Wären da nicht die alten Kampfgenossen, die sich immer mehr auf ihren Lorbeeren ausruhen, zu immer größeren Peinlichkeiten neigen und wie immer  grundunzuverlässig sind – sie sind nicht mehr haltbar, womit wir beim Fall wären.

In der Spree, ganz prominent an der Weidendammer Brücke nahe Bahnhof Friedrichstraße findet sich die Leiche eines Journalisten, der regelmäßiger Beiträger völkischer Publikationen, insbesondere des Völkischen Beobachters war. Der Mann war bei seinem Tod besoffen, außerdem war er ein langjähriger Junkie, was zwar zum Bild der Völkischen als regelrechter Sauhaufen gut passt, aber den neuen Saubermännern und -frauen, die an einer ordentlichen Volksordnung basteln, nicht in den Kram passt. Wenn dann noch hinzukommt, dass der alte Parteigenosse den einen oder anderen Deal verpatzt hat, weil er im Suff das Maul nicht halten kann und Geldgeber verprellt, dann muss eben doch aufgeräumt werden. Zur Not hat halt die Bewegung einen neuen Märtyrer.

Den besorgen dann eben bewährte Spezialkräfte, die eher verdeckt arbeiten sollen. Sobald ihnen allerdings die legalistischen Spürhunde à la Spiro, die trotz Keile nicht von ihrem Auftrag lassen wollen, zu nahe rücken, sind sie dann selbst dran, vor allem, wenn sie weitere besondere Neigungen haben – die Bewegung bringt bereitwillig ihre Opfer. Spiro macht sich also in ein gehöriges Minenfeld auf, um Täter und Opfer zu finden, er lädt die hauptstädtische Prominenz vor, reist in die Hauptstadt der Bewegung, macht sich nach Vorpommern auf auf Himmlers Spuren, wird von einem Sturmtrupp vermöbelt, während sich seine Liebste, Nike, ganz unfromm in die Niederungen der Berliner Vergnügungsstätten mit Spezialinteressen aufmacht, um einem notorischen Sadisten auf die Spur zu kommen, der einen Stricher das Gedärm aus dem Leib gerissen hat.

Sicher, Ehmer profitiert von Kutscher und Konsorten, die das Feld, soll heißen das Berlin der Golden Zwanziger Jahre, bereitet haben. Und es kommt so ziemlich alles vor, was vorkommen muss. Die umkämpfte Demokratie, die alten Eliten, die skrupellos genug sind, das kriminelle Milieu, die hedonistischen Meilen der Reichshauptstadt, wo jeder alles finden kann, die alten und die neuen Leichen. Ehmer lässt ihre Helden boxen lernen (statt Kung Fu, was heute wohl die Wahl wäre), sie wühlt in den modernen Epidemien wie Tbc und Syphilis, die als Armen- und Lustseuchen ihre Opfer fordern, und sie zeigt eine Gesellschaft, die sich keiner Grenzen mehr bewusst sein will. Aber auch wenn alles vorkommt, was in einem solchen Berlin-Babel vorkommen muss, Ehmer also alle Wünsche und Erwartungen erfüllt, macht sie das auf grandiose Weise.

Spätestens mit dem Auftritt des kleinen Manns in Leder, der in aller Arroganz seine Zigarre pafft – offensichtlich ein kommender Dichter –, und sicher nach der Begegnung mit Karl Wolfskehl in jenem Münchener Salon, in dem sich einst Rilke, Thomas Mann und Stefan George (wer sonst) versammelt hätten, nun aber die völkische Prominenz Einzug gehalten hat, hat sie jeden Kredit.

Titelbild

Kerstin Ehmer: Der blonde Hund. Ein Fall für Kommissar Spiro.
Band 3.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2022.
464 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783865327635

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