Durch Zweisprachigkeit etwas Neues erschaffen

Miguel Alfonso Torres Morales Briefgedicht „Fuga de amor – Liebesfuge“ versetzt seine Leserschaft ins Staunen

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem der peruanische Autor, der seit langem in Niedersachsen lebt, im letzten Jahr mit seinem Gedichtband eine längere Schaffensperiode abgeschlossen hatte, legt er mit der Liebesfuge nun wiederum ein zweisprachiges Werk vor, das sich wiederum durch einen besonderen Umgang mit der Sprache auszeichnet und dieser eine Kraft verleiht, die ihresgleichen sucht.

Es handelt sich um die Aufnahme des Briefes eines Verehrers, welcher im Herbst 2021 zunächst auf Spanisch verfasst und dort ohne Zeichensetzung geschrieben worden war, um den Worten ihren freien Lauf zu lassen. In der deutschen Übersetzung ist eine lyrische Fassung entstanden, die sehr detailliert gearbeitet ist und durch ihre Präzision besticht.

Es empfiehlt sich nicht, zwischen beiden Sprachen zu wechseln, während man dem Lauf der Worte folgt. Vielmehr sollten sich die Leser für die spanische oder die deutsche Version entscheiden, um sich dem Redefluss hinzugeben und zu genießen, mit welchen prosaischen Gedanken der Autor hier beschäftigt gewesen sein muss.

Das Werk ist fragmentarisch gestaltet und befindet sich sowohl abseits der Realität wie auch des Abstrakten. Die Gedanken des Autors reihen sich scheinbar mühelos, aber oft auch zunächst ohne erkennbaren Zusammenhang, aneinander, bevor sich im Verlauf der Lektüre ein immer klarer erkennbares Gesamtbild eröffnet. Das geschieht, indem sich die teils episch lang anmutenden Sätze nach und nach zu Bildern verknüpfen, stets auf der Suche nach der Wahrheit in der Liebe und dem Sinn des irdischen Daseins. So ist die Liebesfuge einzigartig in ihrer Form und überzeugt genau durch diese Individualität. Der Autor vermag es, umzuschalten zwischen der göttlichen Betrachtung und der Liebe als dem, was der Verfasser wohl als erstrebenswert erachtete, als er mit dem Schreiben des Briefes begann. Zugleich sieht sich der Autor als Lernender in einer Welt, der er sich vielfach nicht gewachsen fühlt, ihr aber dennoch zutiefst dankbar für seine Existenz ist.

Wie schon in seinen vorherigen Gedichtbänden schwingt fast immer ein melancholischer Touch mit, der aber regelmäßig durch Hoffnungsschimmer aufgehellt wird, zumal trotz aller Düsternis stets etwas Positives vermittelt wird. Ein Beispiel bildet das folgende Zitat:

Fliehe, Definition, wie eine Lawine vor den Gipfeln. Es zählt nur, dass du es bist, auch wenn du es nicht weißt. Ich habe auf dem nassen Sand und mit nackten Füßen auf dich gewartet. Am Ufer habe ich auf dich gewartet, während ich mit dem Bau von Sandschlössern beschäftigt war, damit deine Augen heller leuchten als meine. Ich habe auf dich gewartet, zehn, zwanzig, tausend Minuten; jede war wie eine Ewigkeit, in der ich im schönen Sterben lag.

Die Kunst des Autors liegt auch darin, dass er keine Entscheidung trifft zwischen dem, was Liebe wirklich sein soll und dem, was viele als Liebe empfinden. Es gibt kein richtig oder falsch, sondern es bestehen nach seiner Meinung verschiedene Arten von Liebe, die nebeneinander ihre Berechtigung haben, aber niemals absolut sind. Sie können in einer Person vereint sein und damit innere Konflikte auslösen.

Der Autor interpretiert den spanischen Text mit dem Wortschatz, den er sich als Fremdsprachenlerner auf höchstem akademischen Niveau angeeignet hat – und damit auf eine Art, die ihresgleichen sucht. Insbesondere diejenigen Leser, die sich mit den Gottheiten der griechischen Antike beschäftigen, werden von diesem Werk angesprochen sein. Wer hingegen ein klassisches Liebesgedicht sucht, dürfte zunächst irritiert sein. Doch wer sich darauf einlässt, liest wunderschöne Gedanken, wie zum Beispiel:

Es gibt einen Körper in deinem Körper, und die Welt ist ein Engel, ein Engel, der mich ansieht, elend und traurig, ein schöner Engel, der sich von abgewendeten Stürzen ernährt, ein Vogel, der seinen Rücken bei den Liebkosungen krümmt…

und weiter

Wir sind ein Atlas, der unsere Vergangenheit trägt, die Leidenschaft ist die Rose in einem Kuss, der zurückkehrt…

Prosaische Worte, die in dieser schwierigen Zeit selten geworden sind. Gerade deshalb tun sie gut und erinnern uns an das, was eigentlich wichtig ist.

Titelbild

Miguel Torres Morales: Fuga de amor – Liebesfuge. Briefgedicht Spanisch.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2022.
197 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783826075438

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