Was Prostitution ist und warum sie verboten gehört

Huschke Maus engagiertes Buch „Entmenschlicht“ verbindet die eigene Prostitutionsgeschichte mit Analysen und Fakten

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Huschke Mau dürfte die bekannteste Prostitutionsüberlebende Deutschlands sein. Diese Prominenz hat sie ihrem jahrelangen Engagement für ein Sexkaufverbot zu verdanken. So zählt sie nicht nur zu den Gründerinnen des Netzwerks Ella, sondern ist auch mit zahlreichen Veranstaltungen, Publikationen (etwa im Rahmen des radikalfeministischen Blogs Die Störenfriedas) und Interviews wie zuletzt im ZEIT-Magazin hervorgetreten. Nun hat sie ihre erste Monographie zum Thema veröffentlicht.

In dem mit mehr als 400 Seiten recht voluminösen Buch „verknüpft“ sie ihre eigene (Prostitutions-)Geschichte mit Fakten, Daten, Statistiken und Analysen zur Prostitution. Dabei zeigt sie auf, wie Frauen in die Prostitution geraten, wie sie dort leben und wie der Ausstieg geschafft werden kann. Einen „Standardausstieg“ gebe es allerdings nicht. Ob er gelingt, hänge von einem Zusammenspiel verschiedener „Innen- und Außenfaktoren“ ab. Hilfreich sei jedenfalls eine Traumatherapie. Entscheidend sei allerdings, eine kompetente Therapeutin zu finden. Wenn diese, wie es Mau selbst passiert ist, einer Prostituierten rät, sie solle „einfach denken: ich habe ganz viel Liebe gegeben“, zeugt das von kompletter Ahnungslosigkeit und ist alles andere als hilfreich. Darum sei es „unerlässlich“, vor der Therapie „nachzufragen, welche Einstellung die ausgesuchte Therapeutin zu Prostitution hat“. Als Beratungsstellen für Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, empfiehlt Mau Karo e.V. in Plauen, Amalie in Mannheim, Neustart e.V. in Berlin und Sisters e.V. in Stuttgart.

In den letzten beiden Kapiteln thematisiert Mau die „fatalen Folgen“ der Legalisierung der Prostitution in Deutschland und macht sich für das Nordische Modell stark, das inzwischen nicht nur in Schweden, sondern auch in anderen Ländern wie Kanada oder Israel umgesetzt wird. Ihm gemäß wird der Kauf von Sex bestraft, also der Freier, nicht aber die Prostituierte. „Ja“, sagt Mau dazu, „ich darf mit meinem Körper machen, was ich will – aber dass jemand anderes mit meinem Körper macht, was er will und mir schadet, das gehört verboten“.

Ihr eigener Weg in die Prostitution wurde durch die Prügelorgien, Erniedrigungen und Vergewaltigungen vorbereitet, die sie als Kind durch ihren Stiefvater erlitt. Sie schildert nicht nur detailliert, was ihr angetan wurde, sondern auch, wie es ihr dabei erging, wie sie sich fühlte. Was sie aus ihrer Kindheit und Jugend berichtet, ist eine durchaus nicht unübliche Vorgeschichte. Im Gegenteil, eine „erhebliche Vortraumatisierung“ sexueller Art ist Mau zufolge geradezu eine der Voraussetzungen dafür, Prostituierte zu werden. Sie nennt noch zwei weitere: Armut und das „Gefühl der Abwertung aufgrund des weiblichen Geschlechts“. Zwar ist keine der drei Voraussetzungen für sich alleine hinreichend oder auch nur notwendig für den „Einstieg in die Prostitution“, doch sind es die drei wesentlichen Faktoren dafür.

Das mit rund 180 Seiten umfangreichste Kapitel verbindet Einblicke in Maus eigenes Leben in der Prostitution mit „allgemeinen Betrachtung der Prostitutionsszene“. Diese decken etliche Teilbereiche der Prostitution ab und sind mit zahllosen Informationen angereichert. So spricht die Autorin etwa über die Räume, in denen Prostitution stattfindet, und wie es in Wohnungsbordellen zugeht, oder sie arbeitet heraus, wie Prostitution nicht nur Misogynie, sondern auch Rassismus befördert.

Differenziert setzt sich Mau auch mit der „Sexualassistenz für behinderte Menschen“ auseinander. Dabei unterscheidet sie zwischen der „passive[n] Unterstützung (zum Beispiel Hilfestellung, wenn zwei Menschen mit Behinderung Sex haben wollen, oder das Schaffen von Bedingungen, die es Menschen mit Behinderung ermöglicht, Sex zu haben oder sich selbst zu befriedigen) und Sexualaufklärung für geistig beeinträchtigte Menschen“ einerseits und der „Sexualassistenz, die aktive Körperkontakte und sexuelle Handlungen mit der ‚assistierenden’ Person beinhalten“, andererseits. Ihre Kritik gilt der letzteren.

Zwar haben Mau zufolge alle Menschen ein Recht auf Sexualität, nicht aber ein Recht darauf, „dafür einen Menschen zur Verfügung gestellt zu bekommen“. Besonders „schlimm“ sei es, „ältere und behinderte Menschen vorzuschieben, um Prostitution zu rechtfertigen“. Überdies sei die Forderung, Behinderte sollten „‚Sex auf Rezept’“ bekommen, „im Kern behindertenfeindlich“. Denn die Forderung, dass Krankenkassen für Behinderte die Kosten der sexuelle Benutzung einer Prostituierten übernehmen soll, „impliziert, ohne dafür bezahlt zu werden wolle eh niemand einen behinderten Menschen anfassen oder mit ihm ins Bett gehen“. Außerdem bewirke die Forderung eine „Festschreibung des (männlichen) Rechts auf Sex und verfügbare Frauenkörper“ und führe „zu einer Inklusion von beeinträchtigten Männern in eine Männergesellschaft, die Frauen als zweitrangig objektifiziert und käuflich darstellt“. 

In einem weiteren Abschnitt zeigt Mau auf, was es mit der vermeintlichen „Freiwilligkeit“ der Prostituierten wirklich auf sich hat und wie Argumentationen, die sich auf sie berufen, den Blick verschleiern. Denn „[w]ichtig ist die politische, die strukturelle Analyse und nicht das plakative Zeigen auf Einzelfälle“. Auch legt Mau dar, warum Prostitution „keine Arbeit“, sondern „Teil einer Rape-Culture“ ist. Freier „lernen durch Prostitution“ nicht nur „Notlagen auszunutzen“, sondern auch, „Frauen zu objektifizieren und aus ihnen reine Projektionsflächen zu machen“. 

Wie Mau darlegt, handelt es sich bei Prostitution grundsätzlich um Sex, „bei dem alles auf die Bedürfnisse des Mannes ausgerichtet ist und bei dem kein sexueller Konsens besteht, denn die Einwilligung zum Sex erfolgt auf Anbieterinnenseite ja aufgrund ökonomischen Drucks“. Der in der Gesellschaft vorherrschenden Meinung, „dass keine Frau Sex erdulden müssen sollte, den sie eigentlich nicht erleben will“, spreche die Prostitution Hohn. Denn „genau das“ sei ihr alltägliches Geschäft. „Die Zustimmung der prostituierten Frau erfolgt zum Geld, nicht zum Sex“, woraus der „Grundkonflikt“ zwischen Freier und Prostituierter entstehe: Sie „möchte ja am liebsten so wenig Sex und so viel Geld wie möglich, während es beim Freier genau andersherum ist“.

Überhaupt gilt Maus besonderes Augenmerk den Freiern. Denn sie sind diejenigen, „aus denen sich die Prostitution elementar speist“. Ohne sie gäbe es keine Prostitution. Freier, so Mau, „buchen vor allem eins: Selbstbestätigung“. Und sie „wissen, was sie kaufen: Frauenkörper. Sie bestellen einen, der nach ihren Wünsche ist, und buchen den Service dazu wie ein Menü“. Dieser „Aspekt des Körperaussuchens“ zieht Mau überzeugend als „Beweis dafür“ heran, „dass Sex keine Dienstleistung ist“. Denn bei einer Dienstleistung, so argumentiert sie, ist es gleichgültig, wer sie ausführt.

 Die „Motive“ der Freier sind Mau zufolge durchaus unterschiedlich: 

Spaß, Langeweile, Bequemlichkeit und die Vorfreude auf eine bestimmte Frau […], aber auch sexuelle Teilhabe, kommunikations- und verantwortungslose Sexualität, Abwechslung, spezielle sexuelle Praktiken, Unterhaltung und Anerkennung, Macht, eigene Erniedrigung, chronische Unzufriedenheit und die Möglichkeit, Frauen nach Bedarf auswählen zu können.

 „Abwechslung bei sexuellen Praktiken und Partnerinnen“ werden ebenso als Grund genannt wie „die Option, schnellen, unkomplizierten Sex ohne Schuldgefühle und Leistungsdruck ausleben zu können.“ Mau zitiert über etliche Seiten hinweg, was Freier bei Telefonanrufen, in e-Mails und in Textnachrichten auf Anzeigen an Frauenverachtung so alles absondern. Dabei fordert sie die Leserinnen auf, sich vorzustellen, diejenige zu sein, die angerufen wird und das alles über sich ergehen lassen muss.

Mau unterteilt Männer, die Prostituierte aufsuchen, in zunächst vier Kategorien: „gewöhnliche Freier, Sadisten, nette Freier und ethische Freier“. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind Täter, samt und sonders.
„Der ‚gewöhnliche’ Freier“ geht Mau zufolge als „Kunde“ in ein Bordell wie in einen Baumarkt, einen Discounter oder in ein Möbelhaus:

Aus seiner Sicht kauft er etwas und mit der Bezahlung steht ihm die Ware zu. Unter welchen Umständen das Angebot zustande kommt, wie die Bedingungen sind oder die Hintergründe, ist den meisten völlig egal.

Die Legalisierung von Prostitution in Deutschland bestärke diese „Denkweise“. Zudem „wird ein Frauenbild in der Gesellschaft verankert, das Frauen verkapitalisiert und sie zur Ware macht“.

Die Sadisten wiederum ergötzen sich daran, die Prostituierte zu quälen, sie zu ängstigen, ihren Ekel zu erwecken und überhaupt jegliche Grenzen zu überschreiten. Auch die netten Freier „handeln problematisch“. Sie machen sogar „eigentlich alles nur noch schlimmer“. „Denn es kommt ja nicht darauf an, wie jemand ist, sondern was er tut.“ Zudem sind sie es, die von der Prostituierten „Sex wie mit einer Freundin“ verlangen. Dem nachkommen zu müssen, „versaut“ ihr „die eigene Intimität restlos, eben weil sie restlos eingefordert wird“. Der ‚ethische Freier’ schließlich „braucht es, permanent bestätigt zu bekommen, dass man alles ganz toll findet, dass man es supergerne macht – vor allem mit ihm“. Letzten Endes aber ist Mau zufolge „jeder Freier ein ‚ethischer Freier’, denn sie reden sich schön, was sie tun“.

Es gibt allerdings auch noch eine fünfte Kategorie: „die ‚Retter’“. Maus schonungsloser Blick entlarvt sie als Freier, die „lediglich die Konkurrenz der ‚anderen Freier’ ausstechen“ und sich „eine kostenlose Privatprostituierte [.]zulegen“ wollen. Sie wollen „die Prostituierte für sich allein haben. Und am liebsten nicht mehr bezahlen: Denn, dass man eine ‚gerettet hat’, muss ja wohl ausreichen, um lebenslang kostenlos ranzudürfen“.

Ganz unabhängig davon, zu welchem Typ ein bestimmter Freier gehört, „teilen“ alle Männer, die Prostituierte aufsuchen, eine ganze Reihe von Ansichten und Einstellungen. Etwa die „Annahme, Männer hätten ein Recht auf Sex“ und „[d]ie Gewissheit, dass es beim Sex nur um ihre eigenen Bedürfnisse geht“. Sie alle benutzen „Frauen als Projektionsfläche“ und es bereitet ihnen Lust, sie „unter Kontrolle zu haben und Macht über sie auszuüben“. Damit ist dieser Sex „fast autoerotischer Sex, denn es geht ja nur um die Freier. Es ist wie masturbieren, nur dass die Masturbationsvorlage lebt.“ Und sie alle – auch die ‚netten’ und die ‚ethischen’ Freier – „sind immer mitverantwortlich für Zwangsprostitution und Gewalt“. Auch sie „finanzieren ein System, das auf Ausbeutung, Menschenverachtung und sexueller Gewalt basiert. Sie halten ein System aufrecht, das ohne Menschenhandel und Zuhälterei nicht existieren kann“. Denn sie alle steigern die Nachfrage nach Prostituierten, und die kann nicht befriedigt werden, ohne dass Frauen mit Gewalt zur Prostitution gezwungen werden.

Wie Mau ausführlich zeigt, ist „[p]rostitutiver Sex […] der höchste und reinste Ausdruck einer Geschlechterordnung“, „die Frauen weder ein Menschsein noch Bedürfnisse noch einen eigenen Wille oder eine Sexualität zugesteht“. Denn Freier reduzieren Prostituierte und somit zugleich alle Frauen „auf den sexuellen Nutzwert“.

Maus Buch richtet sich zwar an Frauen mit und ohne Prostitutionserfahrung sowie an Menschen, die sich über Prostitution informieren, wollen; darüber, warum sie abgeschafft werden sollte und wie das gehen kann. Es wäre allerdings nicht verkehrt, wenn auch all jene Männer zu dem Buch greifen, die in der Prostitution (noch) kein Problem sehen.

Titelbild

Huschke Mau: Entmenschlicht. Warum wir Prostitution abschaffen müssen.
edel Verlag, Hamburg 2022.
432 Seiten , 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783841907943

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