Im Niemandsland der Depression
Der niederländische Autor Gerbrand Bakker schildert in „Knecht, allein“ seinen Kampf gegen die Krankheit
Von Rainer Rönsch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn Jasper und sein Knecht (2016) war der Autor allzeit dienstbereit für seinen Hund Jasper. Nach dessen Tod ist der Knecht allein. Bei der Erinnerung an den Vierbeiner treten die beiden Grundzüge des Buchs hervor: Ehrlichkeit und Liebe. Hier wird nichts verklärt – Jasper ging wild auf andere Hunde los und war nicht der gute Kamerad, den Bakker sich gewünscht hätte. Trotzdem hat er den Hund geliebt. Anrührend fragt er sich, warum man nicht auch Menschen lieben kann, die einem nicht alles recht machen.
Das neue Buch von Gerbrand Bakker knüpft inhaltlich und strukturell an das von 2016 an. Es ist eine Mischung aus Tagebuchnotizen, Reflexionen und Presseartikeln. Zu einem neuen Roman fehlt dem preisgekrönten und produktiven Autor dieses Genres noch immer die Kraft. Denn die Depression hält ihn in Bann, aus ihr will er sich herausschreiben. Nicht mit einem Krankentagebuch und täglichen Befundanalysen, sondern auf der Suche nach den Ursachen der Krankheit und dem Ausweg aus ihr.
Nach eigenem Bekunden hat er in diesen beiden Büchern eine Form gefunden, Fragen an den Leser und an sich selbst zu richten, ohne etwas zu sublimieren oder Fiktionen zu schaffen. Im bewegenden Ringen um Klarheit geht es nicht um Ansprüche an den Spannungsbogen oder die Sprachmelodie. Wenn man sich auf das Buch einlässt, liest man es voller Anteilnahme, weil das Unmögliche versucht wird: die Depression in Worte zu fassen. Und auf Rettung zu hoffen, von der man nicht weiß, wie sie aussehen könnte.
Damit ist die Frage eines im Buch zitierten Rezensenten bejaht, ob der Autor der Welt etwas mitzuteilen habe. Das hat er durchaus. Allerdings muss man die wesentlichen Passagen aus dem Buch mit seinen 87 meist titellosen Abschnitten herausfischen und wird Bakkers Erlebnisse in der niederländischen Literaturszene und auch manche Reiseberichte nicht so beeindruckend finden wie seinen Kampf mit sich und der Krankheit.
Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt, was Gerbrand Bakker über sein Liebesleben schreibt. Das hat nichts mit seiner Homosexualität zu tun, sondern alles mit einer Kluft zwischen Sex und Eros, zwischen nacktem Begehren und dem sehnlichen Wunsch nach einem Gefährten. Er nennt sich einen „missratenen Schwulen“ wegen des Fehlens tiefer Beziehungen und fügt hinzu, „missratener Mensch“ träfe es auch, da es nicht um die sexuelle Veranlagung gehe. Andererseits erträgt er nicht, dass Menschen nie wirklich zusammenkommen. Mit Hilfe einer Sexologin, die ihm gegenüber den Begriff lovemap gebraucht, den er noch nie gehört hat, wird ihm klar, dass eine solche Liebeskarte, also eine Kartierung aller Liebesgefühle in seinem Leben, unendlich viel mehr umfassen müsste als nur die sexuellen Kontakte, zum Beispiel auch seine Liebe zu den Großeltern oder die innige Beziehung zu Tieren. Doch als Liebhaber findet der Autor nicht einmal heraus, ob ein Partner wirklich aus Usbekistan stammt.
Als Romanautor hat Bakker jahrelang feinsten seelischen Regungen seiner Protagonisten nachgespürt. Gleichsam als Nachklang findet sich in diesem Buch das eindrucksvolle Kurzporträt einer „Wetterfahne“ – eines Mannes, „der so wurde, wie seine Partner waren“.
Im Zentrum aber steht die Depression, die den Autor in ein „Niemandsland“ führt, in dem er ganz allein ist. Mit Schwermut, das macht er deutlich, hat diese Krankheit zumindest bei ihm nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um eine Entfremdung von sich selbst und von anderen. „Ich bin der Welt abhandengekommen“ – das Gedicht von Friedrich Rückert in der Vertonung von Gustav Mahler ist die rechte Begleitmusik für dieses Buch. Auch Gerbrand Bakker ist der Welt zeitweise abhandengekommen und kämpft sich schreibend in sie zurück.
Aus leidvoller Erfahrung kennt der Autor den Unterschied zwischen psychischer und physischer Krankheit: Nach einem Beinbruch wird der Gips binnen sechs Wochen abgenommen; ein grippaler Infekt verschwindet nach wenigen Tagen. Bei der Depression hingegen ist kein Ende abzusehen.
Und wie reagiert die Umwelt? Wer eine Verletzung „vorweist“, erfährt Zuneigung und Wärme. Der Depressive aber ist seinen Mitmenschen lästig, sie finden seinen Zustand „unerfreulich“ oder sogar unheimlich. Das führt Bekker zur Vermutung, depressive Selbstmörder hätten es mit sich selbst noch ausgehalten, nicht aber mit ihrer Umgebung.
Die Depression und/oder die Medikamente führten zum Verlust der Libido, nicht aber der Mitmenschlichkeit. Den Dachdecker Rudi kennt man aus dem „Jasper“-Buch. Für ihn ist Bekker erstmals an ein Sterbebett getreten. Der einem Hirntumor erlegene Rudi wird als sanfter und gutmütiger Mensch erinnert, der vielleicht zum Freund geworden wäre.
Einer, der Bekkers Freund geworden ist, empfiehlt ihm Versöhnung mit sich selbst. Das erinnert ihn an den Rat seines Therapeuten, die Depression als „alten Kameraden“ zu betrachten. Bekker findet, dass beides auf Akzeptanz hinausläuft, wodurch der Kampf an Schärfe verliert.
Wenn man das Buch nicht ohne Hoffnung liest, dann liegt das auch am gar nicht dramatischen letzten Satz. Kurz zuvor ist von einem unerwarteten Honorar die Rede und davon, dass Gerbrand Bekker im deutschen Fernsehen als „Schriftsteller und Naturschützer“ vorgestellt wurde: „Aber gut, wenn man schon einen neuen Job angedichtet bekommt, darf der auch ruhig etwas einbringen.“
Der erfahrene Übersetzer Andreas Ecke hat wieder vorzügliche Arbeit geleistet. Mehr über Gerbrand Bekker und sein neues Buch erfährt man in einem Hörfunkgespräch des Autors mit Katharina Borchardt.
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