Ein Buch als Kinderhemd

Christian Kortmann belebt in „Happy Hour Schopenhauer“ den Philosophen wieder und das ganz unpessimistisch

Von Peer JürgensRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peer Jürgens

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arthur Schopenhauer gilt als einer der einflussreichsten Denker für die deutsche Literatur. Thomas Mann, Hermann Hesse, Kurt Tucholsky und andere zählten zu seinen Verehrern. Dabei ist es nicht nur seine philosophische Welt, die andere Denker*innen faszinierte. Auch seine Beiträge zur Erneuerung der deutschen Schriftsprache und seine Schriften zur Ästhetik haben die Literatur im 19. und 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt. Für Christian Kortmann, seines Zeichens Kulturwissenschaftler, offenbar Gründe genug, Schopenhauer ins Gedächtnis zu rufen.

Kortmann nutzt dabei das Mittel der Collage, um ein spannendes Experiment durchzuführen. Um zahlreiche Original-Zitate von Schopenhauer herum strickt er einen Text, den er selbst Roman nennt, der aber eher als Novelle daherkommt. Die Handlung ist kurz erzählt: Ein ausgebrannter Mann aus der Werbebranche kommt kurz nach seinem 40. Geburtstag in eine Klinik, um sich zu erholen. Hier lernt er den „großen Geist“ des Hauses kennen, eine Inkarnation Schopenhauers, mit dem er Spaziergänge unternimmt, Gespräche führt und über das Leben philosophiert. Diese Gespräche sind von Kortmann grandios konzipiert, die Zitate Schopenhauers passen nicht nur zu den Situationen, sie berühren tatsächlich auch oft Probleme der heutigen Zeit. Zahlreiche Denkansätze Schopenhauers sind aktueller denn je und das zeigt das Buch sehr schön auf. Man würde sich Philosophie-Vorlesungen in diesem Stil wünschen.

Zugleich schafft Kortmann es sehr geschickt, Schopenhauer in seinen menschlichen (und realen) Eigenschaften zu porträtieren. Sei es die Physiognomie, die Vorliebe zu Hunden, der Hass auf Hegel, seine Tagesablauf inklusive Flötenspiel oder die Tatsache, dass er stets auswärts gegessen hat – die Figur des Textes scheint wie ein Abbild der Person Arthur Schopenhauer.

Das Buch, analog zu den sechs Therapie-Wochen des Ich-Erzählers in sechs Kapitel unterteilt, ist unter dem philosophischen Aspekt eine unbedingte Empfehlung. Literarisch gesehen ist es keine große Offenbarung, die Handlung ist vorhersehbar, die Charaktere blass. Fast scheint es, als wollte Kortmann die Intensität und Wucht der Zitate durch möglichst seichte textliche Begleitung hervorheben. Zuweilen sind gute Ideen dabei, zum Beispiel wenn der Ich-Erzähler Schopenhauer bei Tinder anmeldet und diese Dating-Plattform mit dem Bild einer rotierenden Scheibe beschrieben wird oder wenn die Funktion der Therapie-Klinik mit einem Kriegslazarett zur Wiederherstellung für die Frontabteilung des Kapitalismus verglichen wird.

Für Schopenhauer-Liebhaber*innen ist das Buch wie eine spannende Schnitzeljagd, für Interessierte an seiner Philosophie eine toller Einstieg in seine Gedankenwelt. Dafür ist das Buch eine dringende Empfehlung. Über den Rest kann man als schmückendes Beiwerk hinwegsehen. Daher muss die Überschrift ein wenig eingeschränkt werden. Schopenhauer hat gesagt, das Leben gleiche einem Kinderhemd – es sei kurz und beschissen. Dieses Buch ist zwar kurz, aber beschissen ist es bei weitem nicht. 

Titelbild

Christian Kortmann: Happy Hour Schopenhauer. Roman einer Bibliotherapie.
Turia + Kant Verlag, Wien 2022.
188 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783985140305

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch