Otto Kleiber und die Basler Verdienste um das Exil-Feuilleton
Bettina Brauns Studie zur Rolle der National-Zeitung zwischen 1933 und 1940 schließt eine wichtige Forschungslücke
Von Marc Reichwein
Siegfried Kracauer, Else Lasker-Schüler, Erika Mann, Robert Musil, Alfred Polgar, Max Brod, Hans Natonek, Irmgard Keun… – die Mitarbeiterliste der in Basel ansässigen National-Zeitung in den 1930er und 1940er Jahren liest sich heute wie ein Who-is-who der Literatur- und Feuilletongeschichte. Das Blatt war während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ein bedeutendes Organ des Exil-Feuilletons; in dieser Funktion wird es nun mit einer einschlägigen Monografie gewürdigt. Bettina Brauns Studie mit dem Titel Das Feuilleton des Exils. Veröffentlichungen in der Basler National-Zeitung 1933–1940 betritt in dreifacher Hinsicht Neuland: Sie nimmt erstens ein bislang nicht untersuchtes Organ der Exilpresse in den Blick. In Gestalt von Otto Kleiber, der als Feuilletonredakteur zwischen 1919 und 1953 bei der National-Zeitung tätig war und dort eine ganze Epoche geprägt hat, lässt Brauns Studie zweitens historische Feuilletonpraxis hochgradig anschaulich werden: am Beispiel von Akteuren, Korrespondenzen und Artikeln. Damit leistet sie drittens einen substanziellen Beitrag zu einer Feuilletonforschung, die nach wie vor zu den notorisch vernachlässigten Wissenschaftsfeldern gehört. Das kann kaum am faszinierenden Gegenstand (Feuilleton) liegen, eher schon an seiner mangelhaften Verfügbarkeit in den Bibliotheken, vor allem aber an seiner fehlenden Institutionalisierung: Zwischen Literatur-, Kultur- und Medienwissenschaft scheint sich für Kulturjournalismus und seine besonderen Traditionen im deutschen Sprachraum oft keine universitäre Disziplin so richtig zuständig zu fühlen.
Die einzige Periode, in der Feuilletonforschung jemals grundsätzlich betrieben wurde, fällt frappierenderweise in die Zeit der nationalsozialistischen Zeitungswissenschaft. Ein Vertreter des Fachs war Wilmont Haacke, dessen zweibändige, antisemitisch aufgeladene Feuilletonkunde 1943/44 als Habilitationsschrift publiziert wurde. Diese wurde als dreibändiges Handbuch des Feuilletons in den Jahren 1951–1953 quasi entnazifiziert neu aufgelegt und ist bis heute das einzige Grundlagenwerk seiner Art. Wenn Bettina Braun nun eine Schweizer Zeitung und ihre Rolle als Exilorgan während der Zeit des Nationalsozialismus untersucht und in diesem Rahmen auch auf Haacke zu sprechen kommt, beleuchtet sie eine für die deutschsprachige Feuilletongeschichte und Feuilleton-Wissenschaft gleichermaßen neuralgische, bis heute nicht hinreichend aufgearbeitete Zeit.
Brauns Arbeit gliedert sich in fünf große Kapitel, wobei das Großkapitel I Kontexte und Diskurse ein rundes Drittel des gesamten Buchumfangs ausmacht. Darin rekapituliert Braun die Produktionsbedingungen für das deutsche Feuilleton, das (in seiner Doppelbedeutung als Zeitungsressort und Textsorte) nach der großen Blütezeit der 1920er Jahre ab 1933 durch die nationalsozialistische Presse- und Kulturpolitik eine weitreichende Gleichschaltung erfuhr. Das bedeutete zum einen die systematische Vertreibung und Verbannung sämtlicher Juden und Systemgegner aus den publizistischen Organen Deutschlands, später auch Österreichs und der Tschechoslowakei. Zum anderen entfaltete sich, wie Braun nachzeichnet, ein reger und von der NS-Zeitungswissenschaft namentlich in Gestalt von Wilmont Haacke ausgetragener Diskurs um die Berechtigung und Konzeption des Feuilletons, als Ressort, Schreibweise und Textsorte im Rahmen des NS-Regimes.
Der Fall Haacke
Haacke, der als problematische Figur der Publizistikwissenschaft längst Stoff für eine kritische Tagung oder eine grundlegende Monografie abgäbe, wird bei Braun in angemessenem Umfang problematisiert (vgl. S. 37–61). Danach hat Haacke den Gattungsbegriff „Kleine Form“ gezielt in die Zeitungswissenschaft eingebracht – auch und nicht zuletzt als Alternativbegriff zur negativ konnotierten Bezeichnung der spezifischen Textsorte ‚Feuilleton‘. Deutlich wird aber auch, dass die Rede von der Kleinen Form im praktischen Diskurs längst verbreitet und etabliert war – etwa bei Polgar.
Präzise arbeitet Braun heraus, wie Haackes Diskurs um die Kleine Form sich in der nationalsozialistischen Feuilletonkunde von 1943/44 in argumentative Volten verstrickt. Denn Haacke stellt die Kleine Form einerseits als quasi ‚jüdisch veruntreut’ dar, will die traditionsreiche Textgattung unter dem Strich andererseits aber rehabilitiert und quasi ‚arisch‘ neu erfunden wissen. Das bewerkstelligt er auch dadurch, dass er sich als Herausgeber von Feuilleton-Anthologien in Buchform betätigt. Die Luftschaukel (1939) und Das Ringelspiel (1940) verstehen sich als Muster-Sammlungen zur Kleinen Form. 1941 folgen unter dem Titel Das heldische Jahr zwei weitere von Haacke mitherausgegebene Bände mit „Kriegsfeuilletons“. Darüber hinaus, so Haacke in der Feuilletonkunde (Bd. 1, S. 9), müsse man „die Herausschälung der Juden aus der Geschichte des deutschen Feuilletons“ vollziehen, sprich sich seiner jüdischen Genealogie „von Sonnenfels und Mendelsohn [sic!] im 18. Jahrhundert bis hin zu Kerr, Polgar und Tucholski [sic!]“ entledigen.
Ob Haacke ein überzeugter Antisemit war oder ob er im Rahmen seiner Position, die er als Nachwuchsforscher in der NS-Zeitungswissenschaft innehatte, ‚nur‘ eine systemkonforme, opportunistische Sprecherhaltung einnahm, kann mit neuesten Erkenntnissen beantwortet werden. Ein jüngst in der Zeitschrift Euphorion (1/2021) erschienener Aufsatz von Heidrun Ehrke-Rotermund, der in Brauns 2018 abgeschlossener Studie leider keine Berücksichtigung mehr finden konnte, wertet erstmals auch private Haacke-Korrespondenz aus – und zeigt, dass Haacke in persönlichen Briefen jüdische Feuilletonisten wie Polgar und Kerr wertschätzend bis verdeckt begeistert thematisierte – für Ehrke-Rotermund steht dies „in eklatantem Widerspruch zu seinem gleichzeitigen Bemühen um Abwertung und Aussonderung dieser Verfasser in der Feuilletonkunde“ (Ehrke-Rotermund in Euphorion 1/2021, S. 91).
Wie Haacke seine beiden Hauptwerke – also die zweibändige Feuilletonkunde (1943/44) und das darauf basierende dreibändige Handbuch des Feuilletons (1951–53) – erst in der antisemitischen Diktion der nationalsozialistischen Machthaber vorgelegt und dann stillschweigend an die entnazifizierten Verhältnisse nach 1945 angepasst hat, hat die Feuilletonforschung bereits mehrfach problematisiert. Ehrke-Rotermunds Aufsatz bescheinigt Haacke nun so deutlich wie nie ein „schizophrenes Nebeneinander“ (a.a.O., S. 97), was seinen divergierenden Antisemitismus im öffentlichen und privaten Bereich anbelangt, und erklärt diesen Widerspruch damit, dass Haacke mitten im Krieg vom Militärdienst befreit und dass seine Universitätskarriere durch einen im NS-Propagandaministerium beschäftigten Regierungsrat namens Wilfrid Bade protegiert worden war: Der Fall Haacke, so Ehrke-Rotermund, sei jedenfalls nur durch Wilfrid Bade zu verstehen (vgl. a.a.O., S. 108). Bade umgekehrt war – wie bereits Christian Härtel in seiner Dissertation Stromlinien (2004, S. 174 f.) dargestellt hat – „ein Kulturbürokrat im Hauptberuf“, der dank Haackes Herausgeberschaften seine persönlichen Neigungen zum praktischen Feuilletonismus ausleben konnte.
Haacke und Bade profitierten in Sachen Feuilleton während des ‚Dritten Reiches‘ also gegenseitig voneinander, wobei Haacke eindeutig von Bade abhängig war und Bades Neigungen, sich als Feuilletonist zu fühlen, insoweit entgegenkam, dass er dem Buch Einer bläst die Hirtenflöte (einer Sammlung mit Feuilletons von Victor Auburtin) als Herausgeber im Jahr 1940 ein leicht kitschiges Motto von Bade voranstellte. Die Beziehung Haackes zum NS-Kulturbürokraten Bade war also von gefälligem Opportunismus geprägt; ein besonderer Ausweis dieser Beziehung ist die gemeinsame Herausgeberschaft der oben erwähnten Kriegsfeuilletons Das heldische Jahr.
Braun wiederum weist an Beispielen für ihr Themenfeld nach, wie kaschierend Haacke die in der Feuilletonkunde von 1943/44 diffamierten jüdischen und Exilautoren in sein Nachkriegs-Handbuch reintegriert hat (grosso modo durch Auflistung im katalogartigen dritten Teilband). Vermutlich lassen auch die von Braun aufgezeigten Fehler und Schludrigkeiten auf ein wenig intrinsisches Engagement Haackes schließen. Wenn Haackes Handbuch, wie Braun konstatiert, „jede explizite Erwähnung von Exil und Vertreibung“ (S. 60) vermeidet, passt das natürlich nur zu gut in die gesellschaftliche Gesamtsituation der Nachkriegszeit, die Hermann Lübbe einmal als „kommunikatives Beschweigen“ apostrophiert hat. Ein Hinweis auf dieses Paradoxon, das die durch Täterschaft, Mittäterschaft und Mitwisserschaft geprägte Bundesrepublik noch bis in die späten 1970er Jahre treffend charakterisiert, wäre in einer stärker diskursiv angelegten Studie an dieser Stelle durchaus angebracht gewesen. Fokus und Ertrag der gründlichen Arbeit liegen insgesamt auf nüchterner Dokumentation, nicht auf einer thesenfreudigen Diskussion von Recherchen.
Die Rolle der Basler National-Zeitung
Ein letztes, sehr wertvolles Teilkapitel im Abschnitt I (Kontexte und Diskurse) erläutert, erstmalig in dieser Form, historische Strukturen der Schweizer Feuilletonlandschaft. Dass diese im Vergleich zu Deutschland und Österreich bis in die 1930er Jahre „wenig ausgebaut“ war, begründet Braun mit der Tatsache, dass der Schweiz eine Metropole vom Schlage Wiens oder Berlins fehlte. Deswegen, so Braun, stelle sich die Zeitungslandschaft der Schweiz zwar vielfältig, aber eben schlichtweg bescheiden dar. Sie sei hauptsächlich durch Provinzblätter mit sehr kleinen Auflagen und entsprechend marginalen Räumen für ein spezifisches Feuilleton geprägt.
Diese wenig feuilletonfreundlichen Bedingungen lassen das Organ, dem Kapitel II und III von Brauns Quellenstudie gelten, nur umso heller strahlen: Die im Jahr 1842 gegründete National-Zeitung in Basel, abgekürzt NZ oder auch BNZ, existierte bis 1977, als sie mit den Basler Nachrichten zur (bis heute erscheinenden) Basler Zeitung (BaZ) fusionierte. Dass die National-Zeitung während der NS-Zeit zu einem der wichtigsten Organe des Exil-Feuilletons avancierte, ja von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) sogar als Konkurrenz empfunden wurde (vgl. Braun S. 132), geht ganz wesentlich auf das Wirken des umtriebigen Feuilleton-Reakteurs Otto Kleiber zurück. Er war von 1919 bis 1953 fürs Feuilleton der NZ zuständig. Indem er Ansehen, aber auch Umfang der NZ mehrte, etwa durch literarische und literaturkritische Beilagen (vgl. Braun S. 25), prägte er für das dortige Feuilleton eine Ära.
Und dabei gehört Kleiber als Feuilletonist zu den klassisch eher unterbeleuchteten Figuren, die weniger durch eigene Texte oder gar Textsammlungen in prestigeträchtiger Buchform Feuilletongeschichte schreiben als durch redaktionelles, also kuratorisches Talent und Engagement. Was diese Blattmacher-Rollen angeht, also Blattlinie, Themensetzung, Autorenpflege, Leser-Blatt-Bindung, präsentiert die Studie erstklassiges Material, denn Braun hat das seit 2006 in der Universitätsbibliothek Basel befindliche Archiv Otto Kleibers ausgewertet. Darüber hinaus konnte sie Einblick in ein bis heute nicht öffentliches Notizbuch mit persönlichen Erinnerungen Kleibers nehmen (vgl. S. 113 f.).
Das Wirken von Otto Kleiber
Kleiber hatte, wie Braun anhand von Korrespondenzen darstellt, auch eine soziale Ader. Sein Gespür für die ökonomischen Nöte der zahlreichen, teilweise prominenten Feuilletonschreiber, die bei ihm anklopften, ließen ihn aber dennoch nicht ohne publizistische Kriterien agieren. Im Gegenteil: Kleiber lehnte auch ab, bemühte sich um gute Themenmischungen der von ihm verantworteten Seiten und vertröstete Autoren, die von sämtlichen redaktionellen Sachzwängen keinen blassen Schimmer haben und störrisch bis egoistisch nur am Abdruck ihrer eigenen Texte interessiert sind. Zu den schönsten Quellen der ganzen Studie gehört Kleibers Beitrag zum 100. Geburtstag der National-Zeitung im Jahr 1943. Unter dem dialogischen Titel „Leser, wie gefall ich dir? Leser, wie gefällst du mir?“ Plaudereien am Feuilleton-Kaminfeuer setzt sich Kleiber mit Konventionen seines Ressorts sowie typischen Erwartungen und Vorurteilen seiner Leser gegenüber bestimmten Textsorten auseinander. Der launige Meta-Text entfaltet seine Plaudereien über die Poetik des Feuilletons und seine Vorzeige-Textsorte, die Kleine Form, so galant, dass sich Kleiber damit auf Anhieb für künftige Anthologien über die Kleine Form empfehlen dürfte.
Brauns Untersuchung der Mitarbeit von Exilanten in der NZ beschränkt sich auf die Kleine Form. In welchem Umfang auch andere Textsorten (etwa Rezensionen, Würdigungen) in der National-Zeitung stattfanden, erschließt sich bei der Lektüre der Studie nicht; die Beleuchtung dieses Bereichs bleibt weitergehenden Untersuchungen am Korpus der NZ vorbehalten. Wie überhaupt Textsortenwissen und Statistiken zu historischen Feuilleton-Inhalten ein Desiderat darstellen, das neben den qualitativen Analysen ausgebaut werden sollte.
Inhaltsanalysen zu Alfred Polgar und Hans Natonek
Gegenüber den Kapiteln I bis III, die den Haacke-Diskurs, die Feuilleton-Strukturen in der Schweiz und bei der National-Zeitung sowie Kleibers Agieren im Redaktionsalltag und briefliches Interagieren mit Exil-Autoren nachzeichnen, bieten die Abschnitte IV und V von Brauns Studie vergleichsweise klassische Zugänge, sprich: Inhaltsanalysen, Lesarten und Kontexte zu ausgewählten Feuilletons von Exilanten. Am Beispiel von Alfred Polgar und Hans Natonek, also einer berühmten und einer weniger berühmten Figur, zeigt Braun zentrale Topoi der Exilerfahrung in der Reflexion der Kleinen Form auf: Es geht um Verlust von Status und Geltung, Schreibkrisen, Sprachverlust, Heimatverlust und den Kampf um einen legitimen Aufenthaltsstatus: „so landstreicherhaft habe ich mich noch nie gefühlt, wie Hänschen klein geht allein in die weite Welt hinein, aber ohne Stock und Gut“, schreibt Hans Natonek in seinem Feuilleton Lachender Grenzbahnhof (NZ vom 24.9.1940) über den Verlust jeglicher Sicherheit (zitiert nach Braun, S. 291). Indem Brauns Studie aufzeigt, wie konkret bestimmte, heute ins kollektive Gedächtnis eingegangene Erfahrungen bereits als zeitgenössisches Zeitungsthema manifest waren, zumindest im bescheidenen Reservat der Exilpresse, und dort im wiederum bescheidenen Raum des Feuilletons, leistet sie einen wertvollen Quellen-Beitrag zur Soziografie des Exils. Bei mehreren in der gesammelten Natonek-Publizistik bei Lehmstedt enthaltenen Feuilleton-Manuskripten kann Brauns Auswertung der National-Zeitung überdies dazu beitragen, bislang nicht bekannte Druckbelege beizusteuern.
Kritische Anmerkungen
Der Fußnotenapparat der Arbeit ist so mustergültig gründlich gehalten, dass man nur zaghaft monieren möchte, dass manches durchaus eine ausführlichere Erläuterung im Haupttext vertragen hätte. So dürfte dem nicht hinreichend mit Schweizer Gegebenheiten vertrauten Leser nicht klar sein, für welches nazifreundliche Schweizer Milieu eine Person wie Renée Schwarzenbach-Wille stand und warum sie so sehr gegen die NS-kritische National-Zeitung eingenommen war (vgl. S. 133f.).
Wenn Braun an einer anderen Stelle das hohe Prestige der NZ und ihres Feuilleton-Redakteurs Otto Kleiber thematisiert, sollte sie zumindest in Rechnung stellen, dass einige der von ihr zitierten, an Kleiber gerichteten Schreiben (vgl. S. 107–110) auch deshalb NZ-Lobhudelei in Reinform sind, weil sich die Absender in prekären Zeiten mit schmeichelnden Zeilen etwas erhofften: Chancen auf konkrete Artikelpublikation oder Mitarbeit allgemein.
Im hermeneutischen Teil der Studie, also bei der Inhaltsanalyse ausgewählter Feuilletons in den Kapiteln IV und V, entfaltet Braun einen gewissen Ehrgeiz, Texte in nominelle Subsparten der Kleinen Form zu klassifizieren. Das Denkbild nach dem Vorbild Walter Benjamins, das Städte-/Reisebild, die Erzählung, die Skizze, die historische Miniatur – all diese Genre-Kategorien, die feuilletonistisches Schreiben zwischen Journalismus und Literatur etikettieren, kann man bemühen, ohne dass die Endlos-Taxonomie der alles umfassenden, schillernden Kleinen Form jemals an ein plausibles Ende käme.
Ergiebiger geraten ist Brauns Untersuchung von Schreibweisen da, wo sie den feuilletontypischen Modus der Fiktionalisierung und Verfremdung sowie das feuilletonistische Selbstverständnis, ein Kontrapunkt zu den politischen Nachrichten zu sein, mit den literaturwissenschaftlichen Forschungen zur „Verdeckten Schreibweise“ im ‚Dritten Reich’ engführt.
Fazit
Brauns Arbeit ist rundum lobenswert, weil sie gleich mehrere Forschungsdesiderate zur Zeit- und Feuilletongeschichte bedient: Sie knüpft an bisherige Untersuchungen zur Feuilletongeschichtsschreibung an und beleuchtet deren personelle Verstrickung in den Nationalsozialismus in Gestalt von Wilmont Haacke kritisch. Ferner rückt die Studie ein Medium ins Rampenlicht, das als publizistischer Exilort Epoche gemacht hat; hier leistet sie einen substanziellen Beitrag zur Kartierung des literarischen und journalistischen Feldes im Exil, das mit Blick auf beteiligte Medien, Strukturen und Akteure der 1930er Jahre durch nach wie vor mangelhafte Korpussichtung und bruchstückhafte Erschließung auf bibliographischer Ebene gekennzeichnet ist. Indem Braun Literarisierungs- und Feuilletonisierungsmuster von Exil-Autoren beschreibt, trägt ihre Studie zur Gattungsforschung der Kleinen Form bei.
Mit Blick auf das literarische Feld wird aber vor allem eines überragend deutlich: Medienprofile haben stets ganz wesentlich mit den für sie handelnden Personen zu tun. Am Beispiel des umtriebigen Feuilletonredakteurs Otto Kleiber macht Brauns Arbeit anschaulich, wie sehr das, was in der Medienwissenschaft „Kommunikatorforschung“ heißt, eben nicht nur feuilletonistische Edelfedern, sondern auch Ermöglicher und Netzwerker in den Zeitungsredaktionen in den Blick zu nehmen hat. Jenseits von Redaktions- oder persönlicher Korrespondenz wird solches Wirken freilich selten manifest – auch deswegen ist die Sicherung und Erschließung von Nachlässen wie dem Otto-Kleiber-Archiv in der Universitätsbibliothek Basel für Feldforschung so zentral. Liebhaber von Pressekürzeln dürfen sich abschließend merken: In der Schweiz hat nicht nur die NZZ Prestige, sondern auch die NZ, zumindest historisch.
![]() | ||
|
||
![]() |