Gendertraining in Weimar

Amalie Berg macht in ihren Erzählungen höheren Töchtern die Ehe schmackhaft

Von Karin S. WozonigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karin S. Wozonig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit diesem Buch können wir Amalie Berg (Pseudonym von Caroline Ludecus, geb. Kotzebue, 1755–1827) wiederentdecken, eine Unterhaltungsschriftstellerin, die um 1800 ihren späten literarischen Auftritt hatte und knapp zwei Jahrzehnte lang regelmäßig Beiträge für Zeitschriften und Almanache lieferte. Die Herausgeberin und Biografin Anna Ananieva ergänzt die Texte um eine vorläufige Werkliste, die zur weiteren Beschäftigung mit Amalie Berg anregen soll. Im vorliegenden Band finden wir vier Prosatexte und einige Briefe, die schon einen deutlichen Eindruck von der literarischen Verortung des Werks geben und Amalie Berg in die Traditionslinie der frühen Literatur von Frauen nach Sophie von La Roche stellen.

Der Band wird mit der Brieferzählung Elise Grünfeld eröffnet. Der noble Carl von B begegnet auf einer Poststation dem „jungen Frauenzimmer“ Elise, das „unbeschützt und unempfohlen“ unterwegs ist – eigentlich eine Unmöglichkeit und höchst verdächtig. Aber der Protagonist verlässt sich auf seine Menschenkenntnis, ist sich sicher, dass hier nichts Unsittliches vorgefallen ist, bietet Elise zuerst einen Platz in seiner Kutsche an, bringt sie dann in das Haus seiner Schwester und empfiehlt sie schließlich brieflich als Hauslehrerin für die Töchter eines Freundes; mit letzter Bemühung um Elises Wohl ist auch die Kommunikationssituation konstruiert, aus der heraus die Geschichte von Elise Grünfeld erzählt wird. Mit dieser Protagonistin begegnet uns eine Verkörperung der verfolgten und standhaften Unschuld, die zum typischen Personal der frühen psychologisierenden Prosa von Autorinnen gehört. Der Plot mit seinen ebenso unerwarteten wie unwahrscheinlichen Wendungen dient der Spannung, die von den Prosabeiträgen in den Unterhaltungsblättern und Almanachen der Zeit erwartet wurde. Nicht nur, dass Elise beinahe das Opfer eines mit ihrem Retter verwandten Heiratsschwindlers geworden wäre, dem sie sich durch eine gut getimte Ohnmacht und anschließende hektische Aktivität entzieht; die beiden musterhaften Charaktere Elise und Carl finden auch am Ende zueinander und wir erfahren: „Dieses Paar lebt jetzt sehr glücklich in einer Provinz Schlesiens, wo Herr von B… ansehnliche Güter besitzt.“ Mit diesem Ausgang der Geschichte dürfte die gebildete Leserschaft ebenso zufrieden gewesen sein wie die Weimarer literarische Welt, in der Amalie Berg sich bewegte, und wohl auch der Cousin der Autorin, der Erfolgsautor August von Kotzebue.

In der zweiten Geschichte mit dem Titel Die Reise ins Bad (Erstveröffentlichung 1808) angelt sich die städtisch erzogene, eigentlich charakterfeste Leonore den Edelmann Herrn von Hold, den es wegen der Verschwendungssucht seiner Mutter aufs Land verschlagen hat. Er heiratet die leichtsinnige Achtzehnjährige, die er wohl von der Stadt fernhalten, nicht jedoch vor den Verführungen im eleganten Badeort bewahren kann. Unter dem schlechten Einfluss einer Gräfin vernachlässigt Leonore den Haushalt und verschuldet sich beim Spiel. In letzter Sekunde verhindert Herr von Hold den Sturz seiner Frau ins sittliche Verderben und sichert sich damit lebenslanges Eheglück. Leonore wurde „in der Folge die beste Gattin und Mutter“. Caroline Kotzebue war vor ihrer Heirat mit dem Geheimsekretär Johann August Ludecus selbst am Weimarer Hof als Kammerfrau angestellt und wusste, wovon sie schrieb, wenn sie die praktischen Notwendigkeiten des Landlebens den Intrigen am Hof gegenüberstellte. Ihr nicht korrumpierbarer Herr von Hold ist der bürgerlicher Held par excellence.

Die in der Unterhaltungsliteratur der Zeit häufige, turbulente Verwechslungsgeschichte mit obligatem cross dressing darf in Amalie Bergs Werk nicht fehlen (Der Jokey). Auch hier kommt es am Ende zur Vereinigung des (adeligen) Personals in der gutbürgerlichen Idealkonstellation: „Ihre Ehe ward ein Muster von gegenseitiger Liebe und Zutrauen.“

Die letzte der in diesen Band aufgenommenen Erzählungen (Caroline Gräfin von Thorenberg, oder die Erbin des stillen Thales) schließt nicht nur die Geschichte einer idealen Kolonie in einem stillen Tal ein, die Protagonistin Caroline wird darin von ihrem würdigen Verehrer vor dem Ertrinken gerettet, nachdem sie – nota bene „sich selbst vergessend“ – beim Ausflug vom „Schiffchen“ gefallen war. Dem war der Versuch ihrer bösen Verwandtschaft in der Stadt vorangegangen, sie zugunsten der Geschäfte ihres Vaters in eine Affäre mit einem Prinzen zu drängen. Caroline widersteht, ihre berechnende Cousine Henriette springt quasi ein und der idyllischen Szenerie um die tugendhafte Heldin wird eine knappe Parallelerzählung hinzugefügt, die sich in der Kunst des Auslassens übt: „Auch Henriette brachte den Frühling auf dem Lande zu. Die Folgen ihrer unglücklichen Leidenschaft hatten es ihr zur Notwendigkeit gemacht, sich vor der Welt zu verbergen.“ Auch diese Erzählung, veröffentlicht 1816 und ein zweites Mal aufgelegt 1826, stellt in didaktischer Absicht die ihrem Herzen folgende und ihre Tugend bewahrende Heldin auf die Probe des städtischen Gesellschaftslebens in der Nähe des Hofes.

Wer nachlesen möchte, mit wie viel Fiktionalisierungsaufwand die Leserin, ob bürgerlich oder adelig, im „langen“ 19. Jahrhundert – seit dem Fräulein von Sternheim von Sophie La Roche (1771) bis weit in den Realismus hinein – auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter eingeschworen wird; wer sich über die Instrumentalisierung der Literatur als Orientierungs- und Normierungsapparat bei der Festschreibung von Geschlechterrollen informieren möchte, ist mit dieser Wiederentdeckung gut bedient. Und trotz der schematischen Handlungen und stehenden Figuren ist die Lektüre lohnend, wenngleich der ungefähr zur gleichen Zeit von Jane Austen literarisch und vor allem satirisch perfektionierte courtship plot hier etwas gestelzt im Weimarer Ton vorgetragen wird.

Verdienstvoll ist die Rekonstruktion der Biografie Amalie Bergs, die Anna Ananieva im Detail leistet – wobei sie so manchen lang tradierten Irrtum bereinigt –, wenngleich sie sich bei der Bewertung und Interpretation der Prosa zurückhält. Für den Publikationskontext und das Selbstverständnis der Autorin bilden die beigefügten Briefe eine willkommene Quelle. Im März 1801 schickt Caroline Ludecus die Brieferzählung Elise Grünfeld (sie nennt sie eine „kleine Geschichte“) an den Herausgeber der Erholungen Wilhelm Gottlieb Becker und zeichnet den Brief mit ihrem Pseudonym und „wohnhaft bei dem Herrn Steuer-Rath Ludecus in Weimar“. Der literarische Almanach Beckers wird der häufigste Publikationsort für Amalie Bergs Prosa. Die Folie im Faktischen für das in den Texten vertretene und vermittelte moralische Programm wird aus den Briefen ersichtlich, wenn Caroline Ludecus an den Gelehrten Carl August Böttiger über die Erbherzogin von Weimar-Sachsen-Eisenach schreibt (1810): „Mit aller Sorgfalt einer bürgerlichen Mutter pflegt die erhabene Mutter ihr krankes Kind.“ Ottilie von Goethe schreibt sie ins Stammbuch:

Die Tage des Lebens Gehen vorüber. Du hast heute das Gestern nicht mehr, Morgen nicht mehr das Heute. Alles schwindet, Nur die Lilie der Unschuld, nur die Rose der Anmuth Die die Unsterblichen selbst Dir in die Seele gepflanzt, Werden das Alter Dir einst, so wie die Jugend izt schmücken So Du treulich sie pflegst, die holden Blumen der Seele.

Frau von Goethe, kein Kind von Traurigkeit, wird die Botschaft verstanden haben, so wie die Leserinnen von Ludecus‘ Erzählungen.

Der Herausgeber Becker mag von seiner Publikation sagen: „Sie weicht von andern periodischen Schriften dieser Art darin ab, daß sie alles politische und wissenschaftliche ausschließt.“ (Vorrede zur ersten Nummer 1796); die Frage nach den Geschlechterrollen und der Ausgestaltung des Zusammenlebens ist im neunzehnten Jahrhundert jedoch hochpolitisch und das literarische Trainingsprogramm für höhere Töchter, in das sich die Prosa von Amalie Berg einreiht, ist es daher auch.

Titelbild

Amalie Berg: Erzählungen und Briefe.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2021.
298 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783865258823

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