Zerrissene und verwehte Schicksale

Leonardo Padura erzählt in seinem neuen Roman „Wie Staub im Wind“ eine packende Geschichte über eine Freundes-Clique im Kuba der 1990er Jahre, die das Schicksal in alle Himmelsrichtungen verstreut

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leonardo Padura ist hierzulande insbesondere als Kriminalschriftsteller (z. B. Havanna-Quartett) bekannt, schreibt aber auch eifrig Erzählungen, Reportagen, literaturwissenschaftliche Studien und auch voluminöse Romane, unter anderem über das Leben Trotzkis in Mexiko (Der Mann, der Hunde liebte). Immer wieder kreisen seine Schriften um das Leben in Kuba, um die Identität eines zerrissenen Landes und seiner zerrissenen Bewohner und Exilanten. Dies ist auch das Herzthema seines neuen Romans Wie Staub im Wind.

Anfang der 1990er bilden Clara und Darió, Elisa und Bernardo, Irving, Joel, Horacio und weitere einen verschworenen Freundeskreis, den „Clan“. Ihr Zentrum ist ein großzügiges Haus in Fontanar, das Clara von ihren früh verstorbenen Eltern, einem Architekten-Ehepaar, geerbt hat. Die Freunde gehören zu Jeunesse dorée und ihre Eltern sind Diplomaten oder Funktionäre im revolutionär-diktatorischen Kuba: „Die Zukunft hält für sie ein großes, glasklares Versprechen bereit“ und im Grunde glauben noch alle an die kubanische sozialistische Gesellschaftsutopie.

Doch dann fällt 1989 die Mauer in Deutschland, der Ostblock löst sich auf und die Karibikinsel wird von harten Umbrüchen und Entbehrungen getroffen. Ein lähmender Schleier scheint sich über die Insel zu legen und das Leben findet nun in einer Mischung aus Angst, Not und einer trotzigen Lebenslust statt. Immer mehr Kubaner verlassen ihre Insel und ihre Familien, darunter Darió, der Mann von Clara und der Vater zweier gemeinsamer Kinder. Und dann verschwindet auch Elisa urplötzlich, Bernardo ergibt sich dem Alkohol, Irving und Joel gehen nach Spanien und Horacio nach Costa Rica. Nur Clara bleibt mit ihren Söhnen im Haus in Fontanar.

Leonardo Padura erzählt seinen Roman in einer komplexen Verschränkung aus Gegenwart und Vergangenheit sowie aus verschiedenen Perspektiven. Eine Spur der Spannung legt er durch den Tod eines Clan-Mitglieds und dem Verschwinden Elisas, die offenbar schwanger war und später an ganz anderer Stelle wieder auftaucht. Er entfaltet in einer sinnlich-süffigen Prosa die ganz unterschiedlichen Lebensläufe seiner Protagonistinnen und gibt tiefe Einblicke in ein Land, dass durch Repression und Korruption gelähmt ist und das doch tief in den Herzen der Menschen steckt. Und so sind auch die in der Welt verstreuten Exilanten dazu verurteilt, nie ganz von ihrer Vergangenheit los- und nie vollständig in ihrer Gegenwart anzukommen. Sie können nie wirklich Wurzeln schlagen und bleiben immer „nur Fremde, Flüchtlinge, Außenseiter, Exilanten, Heimatlose.“

Geschickt führt Leonardo Padura die vielen, generationsübergreifenden Fäden seines Romans zu einem versöhnlich-melancholischen Ende zusammen. Er, der selbst in Havanna lebt, bietet dem Leser einen differenzierten Blick auf sein Heimatland und dessen gescheiterte Utopie und lässt die Spannung zwischen inniger Verbundenheit und der Sehnsucht nach Aus- und Aufbruch in jeder seiner Zeilen spüren.

Titelbild

Leonardo Padura: Wie Staub im Wind. Roman.
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen.
Unionsverlag, Zürich 2022.
608 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783293005792

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