Ästhetisch die Welt retten?
Volker Demuth entdeckt angesichts der Ökokrise „Unruhige Landschaften“ und hofft auf poetische Sprache
Von Sönke Abeldt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLandschaft – Ästhetik – Ökologie: Angesichts von Umwelt- und Klimakrise kann es lohnend sein, literarische Texte und Imaginationen, wie Natur- und Landschaftslyrik, auf ihr Verhältnis zum so genannten Anthropozän abzuklopfen. In diese Diskussion greift der Schriftsteller Volker Demuth mit seinem Buch Unruhige Landschaften. Ästhetik und Ökologie ein.
Nach Demuth können Landschaften unterschiedlich – beispielsweise „romantisch“, „geometrisch“ oder „erinnernd“ – dargestellt werden, je nachdem, wie Menschen Natur, Zeit und Orte sinnlich erfahren und sich selbst darin verorten. Heute, so Demuths Diagnose, werden Landschaften mehr und mehr „dramatisch“ oder „unruhig“. Globale technisch-industrielle Verwertungsprozesse greifen ausbeuterisch in die Ökosphäre ein, die Lebensgrundlagen der Menschheit drohen vernichtet zu werden. So das Szenario. Die Klimakrise ist ein Beispiel, die Abholzung der Regenwälder, die Verödung von Naturräumen, das Artensterben, die Verstädterung von Landstrichen sind andere.
Dagegen hält Demuth eine nicht-anthropozentrische Deutung: „balancierte“ Landschaft. Dieses Konzept bindet Menschen neben andere Lebewesen und biologische Organismen in die Stoffkreisläufe der Biosphäre ein und strebt eine gleichberechtigte Gestaltung der Beziehungen an. Es bedeutet: die Aufmerksamkeit „zurück auf den Beziehungsreichtum der erdigen Erde mit ihren kostbaren Landschaften“ zu richten, wie der Autor mit viel Pathos formuliert. Kreislaufwirtschaft, Recht und Eigenwert von Natur, „Ausgewogenheit“, Neuordnung von Stadt-Land, Reformulierung von „Fortschritt“, Entschleunigung, Global Commons … – Demuth nennt Versatzstücke dieses umweltethischen Programms einer „Revolution der menschlichen Lebensweise“. Und in literarischer Sprachkunst sieht er das Potential, Landschaften in diesem ökologischen Sinne erfahrbar zu machen. Sie könne berühren, irritieren, aufwecken, neue Denkweisen alternativ zu dominierenden Interpretationen anregen – Demuth spricht sogar von einer „lyrische(n) Pioniersprache“.
Auf welche Weise dies passieren kann – dem geht der Autor unter anderem bei Günter Eich („Wer möchte leben, ohne den Trost der Bäume!“) und Peter Huchel („Die Öde wird Geschichte.“) nach. Außerdem reiht er exemplarisch zwölf Gedichte aus aller Welt aneinander, die einen Eindruck vermitteln sollen, was er meint. Hier zwei schöne Beispiele (zitiert aus dem Band):
„Doch die Natur ist ungerührt, beugt sich der Menschenhände / grimmiger Tüchtigkeit beim Verschwenden.“ (Wole Soyinka)
„Und was soll die Dichtung jetzt tun? / was wird sie am Leben erhalten das das Leben / abzuschütteln bereit ist.“ (Jorie Graham)
Seine Thesen hat der Autor in den 2021 und 2022 im Deutschlandfunk ausgestrahlten Radioessays Unruhige Landschaften – Von der Neuerfindung von Kultur und Natur und Landscape Writing – brauchen wir eine ökologische Poetik? vorgetragen – kompakt aufbereitet für die Hörerschaft.
Das Buch hingegen holt weit aus. Die sieben Essays oder Ideen dafür sind – in Teilen so oder ähnlich – schon andernorts erschienen, ab 2011 gedruckt in Lettre International oder eben gesprochen im Rundfunk. Die Themen sind: die symbolische Ausdrucksfähigkeit von eiszeitlichen Höhlenmenschen, Landschaftskonzeptionen, Fluss-Semantiken bei Hölderlin, Zeitbewusstsein, Inselbeschreibungen, Fotografie und Landscape Writing. Aufgrund der Themen- und Veröffentlichungskontexte hätte dem Band ein Vorwort darüber gutgetan, wie all dies zusammenzubringen ist, ob und wie der Autor revidiert, ergänzt, umgeschrieben hat. Das Literaturverzeichnis enthält hauptsächlich Philosophie und Literarisches, was eine fachwissenschaftliche Rückkopplung erschwert. Es geht offenbar ums Grundsätzliche.
So manche Nebenher-Bemerkung des Schriftstellers lässt aufhorchen: Etwa, wenn er mit Blick auf die „flüchtige Moderne“ (liquid modernity, Zygmunt Bauman) allgemein formuliert: „die globalisierte Liquidität spült inzwischen nie dagewesene Mengen an Menschen von hier nach da: Geflüchtete, Migranten, Arbeitskräfte, Exilsuchende, Abenteurer der Ungebundenheit“. Ist das ästhetisierend verwendete Wort „spülen“ – angesichts massenhaften Sterbens von Flüchtlingen im Mittelmeer – angemessen, ist die Aufzählung sachgerecht? Merkwürdig übergriffig mutet auch dieser Satz an: „Die geborenen Insider der Insel zeichnen sich leicht erkennbar dadurch aus, an Ort und Stelle zu bleiben und nur herumzufahren, wenn eine Notwendigkeit dafür besteht.“ Liest man Demuths Radio-Feature Inselbesessenheit von 2015 nach, kommt die Sprechervielfalt besser durch.
Insgesamt präsentiert das Buch einen umtriebigen Gedankenmix aus tieftheoretischen Überlegungen, literarischen Selbsterfahrungen, persönlichen Einwürfen und pessimistisch klingenden Diagnosen. Es konfrontiert die Leserinnen und Leser mit einer intellektualisierenden, schwer verständlichen Sprache.
Der Verfasser deutet die „destabilisierende“ Kraft lyrischer (Neu-)Deutungen von Landschaften an. Und folgert: „Deswegen sollte, wer an jener Welt, wie sie ist, Interesse hat oder Gefallen findet, Sprachkunstwerke dieser Art auch lieber nicht an die breite Öffentlichkeit gelangen lassen und nicht in Schulen oder Seminaren ausbreiten.“ Dass Landschaftslyrik zu den Randerscheinungen im Literaturbereich zählt, erwähnt Demuth selbst. Aber steckt hinter dieser allerallgemeinsten Äußerung nicht ein Zensurverdacht? Abenteuerlich.
Letztlich erfasst der Konflikt um Interpretationen die Einlassungen von Demuth selbst. Wie wäre es denn zu erforschen, wie welches Publikum welche literarischen Werke rezipiert und warum. Und welche Lernprozesse dies mit sich bringt (oder eben nicht)? Ohne Erkenntnisse darüber bleiben Wirkungsannahmen spekulativ und in programmatischer Selbstverständigung stecken. Und die Umweltkrise schreitet voran. Was wohl herauskäme, wenn man den ganzen Überbau mit Demuths eigener lyrischer Arbeit – beispielsweise seinem Gedichtband Fossiles Futur (Passagen Verlag, 2021) – abgleicht?
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