Paddeln in Dunkeldeutschland
In Dirk Kurbjuweits Roman „Der Ausflug“ wird aus der Kanutour von vier Freunden ein Kampf ums Überleben
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWie jedes Jahr soll es werden, wenn sich vier junge Menschen um die dreißig aus dem Westen des Landes zu einer Kanutour in den dünn besiedelten Nordosten aufmachen. Die angehende Historikerin Amalia hat das Abenteuer akribisch geplant. Bodo, ihr jüngerer Bruder, ist genauso wieder mit von der Partie wie Josef, ihr Schwarzer Ex-Freund, Apotheker und inzwischen verheiratet, sowie Gero, der mit Josef und Amalia gemeinsam das Gymnasium besuchte und inzwischen beim Hamburger Senat im Referat für Wirtschaftsförderung arbeitet. Doch von Anfang an ist klar: Ähnlich harmonisch und erholsam wie im vergangenen Jahr, als die Bergwelt der Dolomiten das Ziel der vier Freunde war, wird es wohl diesmal nicht werden.
Es beginnt schon in dem Gasthof, den Amalia für ihre letzte Übernachtung gebucht hat, bevor man sich – in zwei gemieteten Booten und mit allem Notwendigen für ein paar Nächte unter freiem Himmel versehen – ins Unbekannte aufmacht. Von grummeligen Einheimischen misstrauisch beäugt und zunehmend offener angefeindet, eskaliert die Situation schließlich, als Josef rassistisch beleidigt wird und ihm einige Gäste und Wirt die Benutzung der öffentlichen Toilette verweigern. Soll man sich wehren, die Tour gar abbrechen oder die Feindseligkeit ignorieren und darauf hoffen, dass sich der Erholungseffekt, wenn man erst einmal auf dem Wasser und unter sich ist, doch noch einstellt?
Das Quartett entscheidet sich für Letzteres und scheint zumindest fürs Erste die richtige Wahl getroffen zu haben. Denn die Landschaft, durch die man auf sich verzweigenden Wasserwegen unterwegs ist, hält, was man sich in der fernen Großstadt von ihr versprochen hat. Und sofern man den kleinen Dörfchen und einzelnen Anwesen, an denen man vorüberpaddelt, nicht zu nahe kommt, darf man die Idyllik von sich unter blauem Himmel bis zum Horizont erstreckenden Wiesen und Wäldchen vorbehaltlos genießen. Auch wenn man nicht in den neuesten Booten unterwegs ist und entgegen allen vorherigen Absprachen eine deftige Kaution beim Verleiher hinterlegt werden musste.
In seinen letzten beiden Romanen – Die Freiheit der Emma Herwegh (2017) und Haarmann (2020) – hatte der 1962 geborene Spiegel-Journalist und Autor Dirk Kurbjuweit Ausflüge in die Geschichte unternommen und zwei eng mit ihrer jeweiligen Zeit verbundene historische Gestalten porträtiert. Nun ist er wieder in unserer Gegenwart angekommen, und zwar dort, wo sie richtig wehtut. Was seine vier Protagonisten auf ihrer Fahrt in die ostdeutsche Provinz erleben, sind Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, offene Gewalt und eine geradezu schockierende Ignoranz allen für sie selbstverständlichen zivilisatorischen Gewissheiten und Verabredungen gegenüber.
Bald jedenfalls mehren sich die Zeichen, dass die drei Männer und die junge Frau nicht so allein unterwegs sind, wie sie sich das wohl gewünscht haben. Man trifft auf einen Straußenzüchter, der bereits schlechte Erfahrungen mit den alles Fremde ablehnenden Ortsansässigen gemacht hat. Verstockte Kinder weigern sich, den Freunden bei der Passage einer Schleuse behilflich zu sein. Ein dubioser Gottesmann lädt das Quartett für eine Nacht in sein Domizil ein, das er mit vier Frauen teilt. Und immer wieder machen sich Beobachter des Quartetts, deren Absichten nicht die besten zu sein scheinen, in Sichtweite der Boote bemerkbar. Als man sich schließlich entscheidet, die Gegend zu verlassen und die Rückreise anzutreten, wird schnell klar, dass man in eine Falle geraten ist. Plötzlich sehen sich die Freunde vor eine Entscheidung gestellt, die jeden der vier auf ganz eigene Weise herausfordert und an seine moralischen Grenzen führt.
Der Ausflug lässt seine Leser genauso im Unklaren darüber, wo genau er spielt, wie auch seine Helden gegen Ende selbst die Orientierung verlieren und immer hektischer umherirren. Weder dem Gewässer, in dessen Delta man auf sich verzweigenden Wasserläufen unterwegs ist, hat der Autor einen Namen gegeben, noch den kleinen und kleinsten Ortschaften, die man mit den Booten passiert. Das ist einerseits geschickt gemacht, bekommt die Geschichte doch dadurch eine Allgemeingültigkeit, die sie nicht hätte, wenn Namen genannt würden – „Dunkeldeutschland“ war und ist eben nicht nur da, wo der Begriff, der es fast zum Unwort des Jahres 1994 gebracht hätte, es ursprünglich verortete. Andererseits gibt es freilich genug Anhaltspunkte dafür, wo Amalia, Bodo, Gero und Josef ihre Bootstour unternehmen. Deutliche – wenn auch vielleicht inzwischen ein wenig zu plakative – Zeichen dafür sind das Faible der Einheimischenfür süße ungarische Weine, das hauptsächlich aus Sülze und Bratkartoffeln bestehende Essensangebot des Landgasthofs, in dem man gezwungenermaßen übernachtet, die für Schnellfahrer nicht ungefährlichen Alleen und der zunehmend schlechter werdende Handyempfang in der Gegend.
Dass die Geschichte der vier Freunde nicht gut ausgehen wird, ahnt der Leser zwar ziemlich schnell. Allein Dirk Kurbjuweit lässt die Paddelpartie der vier Großstädter noch drastischer enden, als man das erwartet. Es ist ein filmreifes Ende, das er präsentiert, wenn auch kein realistisches. Klar aber wird zum Schluss eines: Auch die, die sich den Bewohnern der Gegend von Beginn an überlegen fühlen, politisch korrekt agieren und kommunizieren, sind nicht gefeit vor ihrem eigenen latenten Rassismus.
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