Der kurze Weg zur ukrainischen Identität
Von Claudia Erdheim
Über den Ukraine-Krieg kann ich aus aktueller Anschauung nicht berichten, Meinungen und Diskussionen dazu gibt es in den Medien und so möchte ich anhand meiner eigenen Erfahrungen und Erzählungen von Freunden exemplarisch den radikalen gesellschaftlichen Wandel beleuchten.
Ich habe Asja im Jahr 2000 in Lviv – für uns Österreicher immer noch Lemberg – kennen gelernt, als ich mich dort zu Recherchezwecken längere Zeit aufhielt. Seither sind wir befreundet, besuchen uns immer wieder wechselseitig und verreisen auch manchmal gemeinsam. Aufgrund meiner Russischkenntnisse gibt es keine Sprachprobleme. Da ich in den 90er Jahren zwei Jahre in Russland gelebt habe, habe ich auch gewisse Vorstellungen von der Zeit des Umbruchs und aus vielen langen Gesprächen auch eine Ahnung vom Leben in der Sowjetunion. Letzteres natürlich entsprechend fragmentarisch.
Vorausgeschickt sei, dass der Unterschied zwischen der Westukraine und dem übrigen Land (also Zentral-, Ost- und Südukraine) sowohl sprachlich als auch kulturell sehr groß ist. Die Westukraine war nach der Teilung Polens knappe 150 Jahre das östlichste und ärmste Kronland des Habsburgerreiches „Galizien und Lodomerien“. Knapp die Hälfte der Bevölkerung waren Ruthenen, wie die Ukrainer damals latinisiert genannt wurden, sie sprachen verschiedene Dialekte und konnten sich den Umständen entsprechend entfalten. Im Gegensatz dazu wurde in der Ukraine, die zum zaristischen Russland gehörte, Russisch forciert, bis Alexander II. 1876 endgültig verbot, ukrainische Druckschriften zu verbreiten.[1] Nach dem Ersten Weltkrieg kam Galizien zu Polen, nach dem Hitler-Stalin-Pakt zur Sowjetunion, nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion wurde es als Distrikt Galizien dem Generalgouvernement zugeschlagen und fiel schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder an die Sowjetunion. Diese knappen Hinweise lassen schon erkennen, wie sehr ein Konflikt zwischen dem Westen und dem übrigen Land vorprogrammiert war. Viele Polen wurden nach dem Krieg „repatriiert“, wie die Behörden die Vertreibung euphemistisch nannten. Viele flohen auch vor dem Terror der Ukrainischen Aufständischen Armee, die eine unabhängige Ukraine erzwingen wollte. Es begann sofort eine intensive Russifizierung und die sogenannte zweite Sowjetisierung – die erste war nach dem Hitler-Stalin-Pakt von 1939 bis 1941. Selbstverständlich wurde Russisch zur Amtssprache, Ukrainisch als Umgangssprache wurde aber nicht verboten und es gab selbstverständlich ukrainisch-sprachige Schulen. Prinzipiell halten sich (und hielten sich immer) die Westukrainer für etwas Besseres im Vergleich zu den anderen Ukrainern, sie sind näher am Westen dran, fast schon Wessis und somit „kultivierter“ und die Lemberger glauben überhaupt, dass Lemberg eigentlich immer noch Klein-Wien sei. Dies zeigt sich z. B. am Wiener Kaffeehaus (Videnska kavjarna) oder dem Bild Kaiser Franz Josefs in einigen Cafés.
Asja wurde 1945 in Nischni Nowgorod geborenen. Ihr Stiefvater war Russe (ihr richtiger Vater war Jude und fiel 1944), Offizier der Roten Armee und wollte nach dem Krieg den Militärdienst quittieren, was ihm verwehrt wurde. Stattdessen wurde er in ein kleines ukrainisches Dorf in der Westukraine versetzt. Stalin hatte in nichtrussischen Gegenden, die er für eine Gefahr hielt, massiv Russen an- bzw. umgesiedelt. In der Westukraine kämpften noch von 1947 bis 1954 in Banderas[2] Nachfolge Partisanen für eine unabhängige Ukraine. Dieses Partisanenkriegs wurde selbst Stalin nicht Herr.[3] Asja hat als Kind erlebt, wie sich ihr Vater beim Öffnen der Wohnungstür hinter der Tür versteckte, falls geschossen würde, oder wie er sich unter dem Bett verkroch, wenn die Banderisten die Wohnung stürmten.
Asja ging in dem Dorf in die Schule, in der selbstverständlich Ukrainisch die Unterrichtssprache war. Außer ihr gab es nur noch ein weiteres russisches Kind. Da sie genauso gut Ukrainisch sprach wie die anderen Kinder, gab es keine Konflikte. Sie hatte Verwandte in Moskau und verbrachte dort das zweite und neunte Schuljahr. Die Bevölkerung im Dorf war arm. Nur die Reichen trugen Mäntel, die anderen dicke Wolljacken, erinnert sich Asja. Aber in Moskau war zu sowjetischen Zeiten sowieso immer alles anders. Sie studierte in Lwow, wie Lemberg auf Russisch heißt, Medizin. Die Lehrenden der höchsten Stufe (vergleichbar bei uns etwa mit Professoren und Dozenten) kamen vielfach aus Leningrad, aber auch aus der übrigen Sowjetunion. Sie waren schon älter und hoch qualifiziert, aber aus irgendeinem Grund „verdächtig“ – einige hatten noch unter dem Zaren studiert. Die Versetzung nach Lwow war eine Art Verbannung. Unterrichtet wurde auf Russisch. Die Dozenten kamen aus der Ostukraine, waren sozusagen „zweite Klasse“, sprachen aber Russisch und die untersten Lehrer waren Ukrainer, die vor dem Krieg in Polen, zumeist in Krakau studiert hatten und deren Studium nostrifiziert worden war. Diese Lehrer sprachen auf der Universität auch Ukrainisch. Das Doktoratsstudium (Aspirantura) absolvierte Asja in Charkow (jetzt ukrainisch: Charkiv), wo ausschließlich Russisch gesprochen wurde.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion brachen andere Zeiten an. Asjas gute Freunde, mit denen sie immer Russisch gesprochen hatte, erklärten, dass ab jetzt nur mehr Ukrainisch gesprochen werde. Sprachlich war es für Asja selbstverständlich kein Problem, trotzdem war sie verärgert, aber auch gekränkt. Auch ich, obwohl Ausländerin aus dem Westen, bekam die Abneigung gegen alles Russische zu spüren. Als ich zwischen 2000 und 2003 mehrere Monate in Lemberg und Drohobycz verbrachte, erlebte ich geradezu Abscheu vor allem Russischen. Kaum angekommen fragte mich im Bus eine alte Frau „яка година?“ (jaka hodina?), ich verstand nicht und fragte auf Russisch „was?“, woraufhin sie mich angewidert anschaute und sich von mir abwandte. Einige Minuten später war mir klar, dass sie wissen wollte, wie spät es ist, – eine Angewohnheit von Sowjetmenschen, ständig jemanden irgendetwas zu fragen – weil es auf Polnisch ganz ähnlich, nämlich „która godzina?” heißt. Später habe ich dann begriffen, dass man zwar Russisch antworten darf, aber Ukrainisch verstehen muss. Auf der Straße und in Geschäften kam ich aufgrund meiner Russisch- und Polnischkenntnisse gut zurecht, aber einem Gespräch konnte ich nicht folgen. (Ukrainisch ist eine eigene ostslawische Sprache, die Russischsprachige so wenig verstehen wie etwa Deutschsprachige Niederländisch.) Der Direktor der Universitätsbibliothek meinte, es sei jetzt endlich für mich an der Zeit, Ukrainisch zu lernen und im historischen Archiv hat man prinzipiell nur Ukrainisch mit mir gesprochen, obwohl alle Russisch konnten. „Wenn Sie hier arbeiten wollen, lernen Sie gefälligst Ukrainisch!“ Meine Weigerung, Ukrainisch zu lernen, hat mir den Vorwurf eingebracht: „Sie wollen uns unsere Sprache nicht lassen.“ Ein wahrhaft absurder Vorwurf. Einmal hat mich eine junge Frau schüchtern auf Russisch nach einem Weg gefragt, woraufhin ich auf Russisch antwortete. Sie erkannte, dass ich Ausländerin war und war glücklich, dass ich Russisch sprach. Sie erzählte mir, dass sie aus Odessa komme und hier für ihre Aspirantur forsche, dass sie aber nicht Ukrainisch könne, und beklagte sich über die Verachtung, die man ihr entgegenbrachte. In einem Gespräch mit der Direktorin der Stefanik-Bibliothek erzählte sie, dass die Renovierung der Bibliothek durch Spenden von Exilukrainern aus Kanada und Amerika finanziert wurde. Ich bemerkte, dass die Toiletten aber schon wieder ganz verdreckt seien, worauf sie antwortete, dass daran die russischen Studentinnen schuld seien. Einmal wurde mir sogar erklärt, dass Ivan Franko[4] bedeutender sei als Puschkin. Natürlich bin ich auch mit Antisemitismus konfrontiert worden, worin sich aber die Ukrainer nicht von den Russen unterscheiden. Ich hatte damals den Eindruck, dass alles Russische schlecht sei und dass alle Russen an allem schuld seien, was immer es war. So auch ich, weil ich nur Russisch konnte. Diese Abneigung, ja geradezu der Hass auf die Russen ist nach dem Zerfall der Sowjetunion aufgebrochen. Sie seien ja immer benachteiligt gewesen, die Russen hätten schöne Wohnungen bekommen, während sie in ihren Kommunalkas[5] hausen mussten. Und sowieso sei das Russische ja dominant gewesen. Naturgemäß sind das Halbwahrheiten bzw. Lügen, wie man sie z.B. auch aus den baltischen Staaten kennt. Alle waren Sowjetbürger und wenn ein Sowjetbürger versetzt wurde, bekam er eine Wohnung, was immer für eine Nationalität in seinem Pass stand. Natürlich gab es ukrainische Schulen, natürlich wurden die ukrainischen Traditionen gepflegt, außer den religiösen Festen in der Kirche, was aber alle Sowjetbürger betraf, egal welcher Ethnie oder Religion sie angehörten.
Zehn Jahre später hatte sich viel verändert, alles war entspannter und man konnte sozusagen „ungestraft“ Russisch sprechen. Viele wohlhabende Russen machten in den Karpaten Urlaub und hinterließen Geld. Allerdings können jetzt die Jungen kaum mehr Russisch. Jedoch gibt es mittlerweile in vielen Städten eine Stepan-Bandera-Straße oder einen Stepan-Bandera-Platz.
Als Putin an der ukrainischen Grenze 100.000 Mann aufmarschieren ließ, war für mich eigentlich klar, dass er einmarschieren wird und dass es Krieg geben würde. Niemand glaubte mir. Meine Wiener Freunde fühlten sich von meiner Nervosität genervt, meine ukrainischen Freunde beteuerten, dass es nie und nimmer Krieg geben würde – in meinem Alter, alle Sowjetmenschen. Als einige Zeit, bevor der Krieg begann, merkwürdige Leute in Lemberg geortet wurden, war Asja zwar sehr beunruhigt, glaubte aber immer noch nicht an Krieg. Nur ein Freund aus Drohobycz, der allerdings schon seit vielen Jahren Professor in Polen ist, fand die Lage auch sehr bedrohlich. Meine Kiewer Freunde waren immer noch davon überzeugt, dass es sicher keinen Krieg geben würde. Auf Spekulationen, warum das so war, möchte ich mich an dieser Stelle nicht einlassen. Die merkwürdigen Leute in Lemberg waren offenbar sowohl ukrainische als auch russische Spitzel. Asja hatte Angst, auf ihre Datscha nahe der polnischen Grenze zu fahren. Alle wissen dort, dass sie Russin ist, und sie fürchtete in Erinnerung an ihre Kindheit, erschossen zu werden. Nach Kriegsbeginn änderte sich die Situation schlagartig und die Flüchtlinge aus dem Osten und Süden wurden und werden sehr herzlich aufgenommen. Es herrschen Einverständnis und Einigkeit wie nie zuvor. Asja fährt wieder auf die Datscha und alle „lieben“ sich. Allerdings können die Flüchtlinge nicht Ukrainisch und wollen es auch nicht lernen, wobei die meisten auch nicht das Potenzial dazu haben und eigentlich nur zurück wollen. Einige sprechen Surschyk[6], ein merkwürdiges nur mündlich gesprochenes Gemisch aus Russisch und Ukrainisch, ein Ergebnis der Russifizierung. Es gibt keine Regeln und jeder spricht, wie es ihm gerade in den Sinn kommt, was die Einheimischen lustig finden. Sie haben keine Ahnung von der Westukraine, nennen ihre Gastgeber Banderisten, ohne zu wissen, was das bedeutet, fühlen sich als Opfer und wollen nicht arbeiten, machen Dreck, den die Einheimischen geduldig wegräumen, und werden deshalb oft als unkultiviert erlebt. Diese Flüchtlinge sind über die westukrainischen Dörfer verteilt, die Gebildeteren gehen im Allgemeinen ins Ausland. So erzählt es Asja. Hier macht sich einerseits wieder der Unterschied zwischen der Westukraine und dem Rest des Landes bemerkbar, was allerdings auch ein gesellschaftlicher Unterschied ist.
Asja hat immer von sich gesagt, dass sie Russin wäre. Als ich einmal meiner Verwunderung Ausdruck verlieh, dass Putin in Charkiv ja Russen, sozusagen sein eigenes Volk umbringen würde, antwortete sie spontan: „Nein. Das sind Ukrainer. Russischsprachige Ukrainer. Ich bin Ukrainerin, russisch-sprachige Ukrainerin.“ Und nach unserem letzten Gespräch hat sie sich mit „Slava Ukraina“ verabschiedet.
Anders verhält es sich in der Ost-, Süd- und Zentralukraine, wo vorwiegend Russisch gesprochen wird, vor allem in den Städten. Seit 1991 gab es mehrere Sprachgesetze, an die sich kaum jemand hielt. Eine Ausnahme bildet die Westukraine, wo seit der Unabhängigkeit rigoros Ukrainisch die Hauptsprache ist. Seit 1996 ist Ukrainisch Staatssprache im ganzen Land, 2019 wurde das Gesetz noch einmal präzisiert. Alle Beamten sowie Arbeitnehmer, die das Land als Staat vertreten, müssen Ukrainisch sprechen. „Bürger der Ukraine sind verpflichtet, über Grundkenntnisse der ukrainischen Sprache zu verfügen. Falls sie kein Ukrainisch beherrschen, drohen ihnen dafür aber keine Strafen.“[7] Mehr als die Hälfte der Bevölkerung spricht im Alltag Surschyk.[8] In manchen Dörfern und kleinen Städten ist es sogar Unterrichtssprache. Mittlerweile gibt es aber einen Kampf gegen Surschyk, es gilt als minderwertig, nicht vornehm. Es findet ein Umstieg auf Ukrainisch statt und inzwischen sind auch alle Lehrbücher auf Ukrainisch. Auch sind in der gesamten Ukraine alle Bezeichnungen im öffentlichen Raum auf Ukrainisch oder zumindest zweisprachig. Als ich vor fünfzehn Jahren in Odessa war, war noch alles auf Russisch. Manche trauen sich nicht zu sagen, dass sie nicht Ukrainisch können. Manche Ukrainer sind so kühn und behaupten, dass sie lieber Russisch sprechen, weil die Sprache schöner und deshalb die Literatur, die sie lesen, vorwiegend auf Russisch sei.
Abschließend möchte ich noch kurz auf die Spaltung innerhalb von Familien und Freunden selbst im Westen eingehen. Asjas Cousine, eine gebildete Frau, die in Moskau lebt, glaubt, dass die Zerstörungen, von denen Asja erzählt, Märchen seien. Ebenso eine Freundin, Ärztin in Tomsk. Geschichten, wie sie auch immer wieder in den Medien berichtet werden. Extremer noch sind meine eigenen Erlebnisse. Eine zehn Jahre ältere russische Freundin, die seit den 50er Jahren in Warschau lebt, schickte mir ein russisches Video aus Isreal[9], in dem behauptet wurde, dass das Massaker in Butscha von Dritten organisiert worden wäre. Es wäre geschehen, als Verhandlungen gerade in Gang kamen und außerdem wäre die Erde nass gewesen und die Leichen trocken. Ich meinte nur, dass es noch keine internationale Untersuchung dazu gebe, ließ mich aber weiter nicht darauf ein, sondern schrieb nur, dass Putin den Krieg begonnen hat und dass es nichts gibt, was diesen Krieg rechtfertigt. Darauf bekam ich eine Nachricht, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will, begleitet von einer groben Beschimpfung[10], wie sie sie mit ihren 86 Jahren noch niemandem gesagt hätte. Ich gab meiner Verwunderung Ausdruck, worauf sie antwortete, dass ihr der Hass der Polen auf die Russen genüge und sie nicht noch den des kollektiven Westens brauche. Eine Freundin, die in den 70er Jahren aus der Sowjetunion nach Wien emigriert war, vermied es lange, mit mir zu sprechen, und ich ebenso mit ihr, weil uns jeweils klar war, dass das entsprechend ihrer Affinität zu Putin zu einem Ende unserer Freundschaft führen würde. Schließlich rief sie doch an, erzählte unendlich lang über familiäre Probleme, bis sie es nicht lassen konnte und loslegte: Was diese Journalisten erzählen, da zeigen sie ein kaputtes Haus und behaupten, die ganze Stadt sehe so aus. Auch sie spricht von Spezialoperation. Die Ukrainer hassen die Russen, das weiß sie von ihrer Putzfrau aus Lviv nach dem Majdan. Kurzer Einwand meinerseits, dass in Charkiv fast nur Russen leben. Darauf sie: Die seien manipuliert, und überhaupt sind an allem die Amerikaner schuld, das weiß man schon seit der Kubakrise 1962, da standen ja schon die Raketen in der Türkei. Meine vorsichtigen Versuche, etwas einzuwenden, endeten damit, dass sie auflegte. Bald darauf schickte sie mir allerdings eine Nachricht und entschuldigte sich, dass sie sich so aufrege, dass ihr Blutdruck steige. Immerhin hat sie nicht unsere Freundschaft aufs Spiel gesetzt.
Es ist nicht bloß der gemeinsame Feind, der die Bevölkerung eint, es ist diese ungeheuerliche Aggression, die sinnlose Zerstörungswut, die zu einer so raschen Einigkeit und bei jedem einzelnen spontan zu einer ukrainisch-patriotischen Identität geführt hat. Damit ist der dreißig Jahre andauernde Prozess, eine ukrainische Identität zu bilden, praktisch spontan zum Abschluss gekommen und die alten Konflikte haben ihre Bedeutung verloren. Gänzlich unverständlich bleiben angesichts der Zerstörung und des immensen Leids die Reaktionen mancher im Westen lebenden russisch-patriotischen Putinversteher.
Anmerkungen
[1] Emser Erlass.
[2] Stepan Bandera (1909-1959) war ein ukrainischer Nationalist, der mit den Deutschen kollaborierte, aber in Ungnade fiel, weil er einen eigenen ukrainischen Staat errichten wollte. Seine Anhänger kollaborierten weiterhin mit den Deutschen und beteiligten sich von Anfang an auf besonders grausame Weise an der Ermordung der Juden. Gleich nach dem Überfall auf die Sowjetunion öffneten sie die Gefängnisse, in die die Sowjets die Juden sperrten, weil sie Kapitalisten waren, und massakrierten sie auf schreckliche Weise. Siehe Tobias Friedmann, Jakub Zak: Zusammenstellung der Begebenheiten über die Vernichtung des Judentums in Ostgalizien (Kolomea, Stanislawow, Stryi und Umgebung), aufgrund von Materialien, die durch Tobias Friedmann gesammelt worden sind, bearbeitet von Jakub Zak, hg. von der Jüdischen Historischen Dokumentation Wien, Wien o.D.
[3] Siehe Gerhard Gnauck: Zweiter Weltkrieg. Viele Partisanen kämpften nach Kriegsende weiter (https://www.welt.de/kultur/history/article13360072/.html, 25.05.2011).
[4] Ivan Franko (1850-1916) war ein ukranischer Schriftsteller aus Galizien, der sowohl Ukrainisch als auch Deutsch schrieb.
[5] Eine Kommunalka ist eine Wohngemeinschaft bestehend aus mehreren Familien, die sich Toilette, Bad und Küche teilen. Oft wohnt eine zwei-, drei-, manchmal sogar vierköpfige Familie in einem Zimmer. Die Wohnverhältnisse haben sich mittlerweile gebessert und die Kommunalkas somit stark verringert.
[6] Surschyk ist ein Gemisch von Roggen und Weizen. Siehe auch en.m.Wikipedia.org/Wiki/Surzhyk.
[7] Details siehe https://uacrisis.org/de/.
[8] Siehe ausführlich die Ringvorlesung „Vom Rand ins Zentrum: Perspektiven auf die Ukraine“, 16.5.2022, Sprachrealitäten in der Ukraine/Suržik. Vortragende: Tilman Reuther, Yevheniia Lytvyshko, Anna Abramova.
[9] In Israel leben ungefähr eine Million russische Emigranten.
[10] Пошла ты на хер