Neues zu Thomas Mann

Der Sammelband „Persönliche Erinnerungen an Thomas Mann“ präsentiert überraschende Fundstücke, die zum hundertjährigen Jubiläum der „Nordischen Woche“ in Lübeck 1921 ediert wurden

Von Wolfgang BühlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wolfgang Bühling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vorliegende Band wurde von Dirk Heißerer für das Thomas-Mann-Forum München als Band 9 der Schriftenreihe „Fundstücke“ herausgegeben – „Drei Erstdrucke erinnern an Thomas Mann in Lübeck und München bis 1933. Sie sind besondere Fundstücke, zeigen sie doch Thomas Mann ganz unmittelbar, aus persönlicher Nähe, und spiegeln zugleich die politischen Diskussionen um den Dichter vor und nach 1933“. In der Einleitung skizziert der Herausgeber zunächst die Beziehungen der Autoren der edierten Erstdrucke zu Thomas Mann. Im Sinne einer kritischen Betrachtung weist er darauf hin, dass diese persönlichen Erinnerungen „subjektiv, mit Fehlern und Schwächen, chronologischen Unschärfen und Lücken“ behaftet sind.

Carl Georg Heise: Persönliche Erinnerungen an Thomas Mann

Den Auftakt macht ein im Original verschollenes 22-seitiges Typoskript von Carl Georg Heise, wovon eine Fotokopie aus dem Nachlass von Jörg Träger überkommen ist. Der Kunsthistoriker Heise (1890–1979) hatte 1920 das St.-Annen-Museum in Lübeck übernommen, durch seine Initiative wurde 1921 das dortige Behnhaus als Museum der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts eingerichtet. Sein Engagement für die moderne Kunst (Nolde, Munch, Barlach) musste nach der Machtübernahme schon fast zwangsläufig zu seiner Entlassung führen.  Zunächst beziehen sich die Ausführungen auf die Bekanntschaft mit den Manns in den 1920er Jahren. Bezüglich des lübeckischen Vorwurfs der Nestbeschmutzung nach der Veröffentlichung von Buddenbrooks bezeichnet sich Heise als „Vorkämpfer für die beginnende Rehabilitierung des Dichters in der Stadt“. Heises persönliche Erinnerungen an Thomas Mann dürfen nicht verwechselt werden mit „persönlichen Begegnungen“, sehr viel vom hier Dargelegten bezieht sich auf Rezeption und Auseinandersetzung mit den Werken Manns. So beschreibt er ausführlich, dass er Buddenbrooks „mit zitternder Erregung“ las, aber bei Der Zauberberg nie bis zum Ende gekommen sei.

Die erste wirkliche persönliche Begegnung geschah bei einem Essen, welches Ida Boy-Ed für die Manns in Lübeck gab. Heise bezeichnet die Romanschriftstellerin als „schöngeistige Provinzpute“, welche die Manns als prominente Staffage missbraucht hätte. Katia Mann gibt ihm anderntags diesbezüglich recht. Ein Besuch bei Manns im Exil am Zürichsee 1934, von dem sich Heise ein tiefgehendes Gespräch über die politische Lage dringend erhofft hatte, endet damit, dass Frau Katia die Teestunde für beendet erklärt. Immerhin begleitet Thomas Mann Heise zur Busstation und rät ihm auf Nachfrage, in Deutschland zu bleiben, da Leute wie er jetzt dort gebraucht würden. Ein Rat des „mentor germaniae“, den Heise retrospektiv nicht mehr gutheißen kann. Es entsteht der Eindruck, dass Heise sich 1945 – anlässlich des 70. Geburtstags Thomas Manns – Reminiszenzen von der Seele schreiben musste, die nicht ohne Widerspruch sind, um dann abschließend aber doch den Dichter, besser gesagt sein Werk, in schon fast hagiographischer Weise zu würdigen.

Im Anhang zu diesem Abschnitt findet sich ein im Wortlaut abgedruckter, bisher unbekannter und  eingehend kommentierter Briefwechsel aus dem Jahr 1933, der sich um Manns Wagner-Essay dreht. Nicht zuletzt sind diese Funde ein aufschlussreicher Beitrag zur Biographie des Carl Georg Heise.

Viktor Mann: „Fliegertröpfe, Blut und Schande“

Bei Fundstück Nummer zwei geht es um die Angelegenheit mit den Fliegertröpfen, das bislang verlorene Kapitel zu Wir waren fünf. Viktor Mann wollte eigentlich in diese 1949 publizierte Familiensaga eine Episode aus dem Jahr 1928 einfügen. Die überschwänglichen Töne, die bei den massenhaft besuchten Empfängen der Ozeanflieger Köhl, Hünefeld und Fitzmaurice, nicht zuletzt in München, angeschlagen wurden, hatten schon Tucholsky zu einem Spottgedicht in der Weltbühne angeregt. Tatsächlich lässt sich in der erhaltenen Tonaufnahme einer Rede des Hauptmanns a.D. Hermann Köhl eine schwarz-weiß-rote Diktion erkennen, welche wohl eher als retrospektiv-kaiserlich denn als nationalsozialistisch einzuordnen sein dürfte. Thomas Mann äußerte sich zu diesen Vorgängen in einem Privatbrief an Arthur Hübscher, Schriftleiter der Süddeutschen Monatshefte, unter Verwendung des Passus: „wo unsere gute, aber mißgeleitete Stadt zu Ehren der beiden Flieger-Tröpfe den nationalistischen Kopfstand vollführt“. Ein Artikel in den Münchner Neuesten Nachrichten wirft daraufhin Thomas Mann die Entehrung der deutschen Fliegerhelden vor, ein erneuter Vorwurf von Nestbeschmutzung! Einen Beleg dafür, dass dieser Beitrag aus der Feder Hübschers stammt, gibt es nicht. Viktor Mann verfasst das Kapitel hierzu im Mai/Juni 1948, der Verlag lehnt die Veröffentlichung ab. Dirk Heißerer hat es im Heinrich Mann-Archiv der Akademie der Künste in Berlin aufgespürt.

Manfred Sturmann: Spaziergänge mit Thomas Mann (1950)

Man benötigt schon die Hilfestellung des Herausgebers, um mit dem Namen Manfred Sturmann etwas anfangen zu können. Der aus Königsberg (Ostpreußen) stammende Lyriker und Erzähler (1903–1989) war Sohn des jüdischen Goldschmieds Hermann Sturmann. Nach Studien der Nationalökonomie und der Geisteswissenschaften, zuletzt in München, arbeitet er zunächst in einem Buchverlag, später als kaufmännischer Mitarbeiter in der Tabakgroßhandlung seines Schwiegervaters. 1938 emigriert er zusammen mit seiner Frau nach Palästina. Die hier abgedruckten Erinnerungen betreffen die 1920er Jahre in München, als Sturmann zunächst seinen Prosa-Erstling und einige Gedichte an Mann schickt. „Die Gedichte lassen aufhorchen, sie zeugen von einer ansprechenden Begabung“ schreibt dieser zurück, äußert jedoch, dass der Prosa noch „der eigentliche erzählerische Nerv“ fehle. Sturmann beschreibt sehr lebendig die Begegnungen mit Mann auf Spaziergängen im Herzogpark oder bei einer hochoffiziellen Feier im Hotel „Vier Jahreszeiten“, bei dem der „geliebte Meister“ (so Bruno Frank) Mario und der Zauberer vorträgt. Der gebürtige Ostpreuße Sturmann berichtet auch von seinen Bemühungen, die Manns zu einem Aufenthalt in seiner Heimat zu bewegen, was dann bekanntlich zum Bau eines Sommerhauses in Nidden auf der Kurischen Nehrung führte. Der Fund bestätigt einmal mehr die Rolle des literarischen Mentors Thomas Mann, mit der er sich niemals aufgedrängt hat, aber in der er immer wieder in Anspruch genommen wurde.

Dirk Heißerer hat die drei Erstdrucke in sorgfältigster Weise herausgegeben. Zu jedem findet sich eine akribische „editorische Notiz“ zur Darlegung der Textüberlieferung, außerdem jeweils ein sehr umfangreicher Anmerkungsapparat mit kenntnisreichen Erläuterungen zu Personen, Stichworten und Publikationen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Carl Georg Heise / Viktor Mann / Manfred Sturmann: Persönliche Erinnerungen an Thomas Mann. Herausgegeben und kommentiert von Dirk Heißerer.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2021.
160 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783826074424

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