Mit Grübelei und Kunstaufwand

Friedrich Rückerts Lyrikproduktion der Jahre 1819 bis 1821 erscheint historisch-kritisch bearbeitet von Claudia Wiener und Rudolf Kreutner

Von Karin S. WozonigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karin S. Wozonig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Willibald Alexis, später als Verfasser historischer Romane in der Nachfolge Walter Scotts erfolgreich, gab als Rezensent den Lesern von Rückerts Oestlichen Rosen den Rat, „nicht allzulang hintereinander bei ihnen zu verweilen“ – eine vorsichtige Warnung vor einer gewissen Monotonie, die sich beim Gang durch diese Gedichtsammlung einstellen könnte. Es ist in den Worten des Autors die freie „Reproduktion“, und nicht die Nachbildung, „geschweige Übersetzung“ der persischen Vorlage, Gedichte des um 1315 geborenen Hafis (Šams ad-Dīn Moḥammad Ḥāfeẓ-e Šīrāzī),um die es ihm geht; eine Reproduktion, die sich dem Geist der persischen Dichtung anverwandelt und sich mit Akribie dem Metrum nähert.

Ende 1818 besuchte Rückert den Orientalisten Joseph von Hammer in Wien und war ein eifriger Leser des Dichters Hafis, dessen Diwan Hammer metrisch frei übersetzt und mit häufigem Bezug auf die griechische und lateinische Dichtung kommentiert hatte. Rückert transponiert nicht nur die persische Liebeslyrik, sondern auch die Kritik an der Obrigkeit in das nachromantische und politisch desillusionierte Biedermeier. Für sein Publikum, das gerade die Folgen der Restauration wie die verschärften Zensur- und Überwachungsmaßnahmen Metternichs zu spüren bekommt, ist ein Gedicht wie das folgende (Nr. 13 aus der ersten Lese der Oestlichen Rosen) nicht nur eine der vielen Lobpreisungen von Wein und Gesang des persischen Dichters, sondern ein Zeitkommentar:

Oftmal haben wir geschwärmet
Gegen Zwang und Kutte,
Oftmal uns umsonst gehärmet
Ueberm Erdenschutte.

Die die Welt verschüttet haben,
Mögen sie entschütten;
Und was sie zerrüttet haben,
Soll uns nicht zerrütten.

Sehet, wie ihr ungehudelt
Bleibet in der Schenke;
Und was draußen wird gepudelt,
Hofft, daß Gott es lenke.

Laßt Hafis, den Gottesstreiter,
Euch ein Frohes singen.
Was da machet Herzen heiter,
Hilft die Weltnoth zwingen.

Jeder Ton aus reiner Kehle,
Wehrend, daß im Sumpfe
Dieser Zeit nicht sinkt die Seele,
Führet zum Triumphe.

Bei seiner Anverwandlung der Form legt Rückert ganz besonderes Augenmerk auf das Ghasel und reagiert entsprechend ungehalten, als sein Freund August von Platen als erster deutscher Ghaselendichter wahrgenommen wird, verdankte der die Kenntnis der Gedichtform doch ihm, Rückert. 

Neben den Oestlichen Rosen, einer Sammlung in drei Teilen („Lesen“ genannt) mit insgesamt über 350 Gedichten, enthält der vorliegende Band der historisch-kritischen Ausgabe der „Schweinfurter Edition“ Rückerts Ghaselen-Dichtungen nach dem Vorbild des Dichters Rumi. Außerdem liegen einige Ghasele vor, die den Tod von Rückerts Lieblingsbruder Heinrich zum Thema haben. Hier findet der Autor aus dem etwas mechanischen Befolgen des Musters heraus und der Formwille erscheint durch den tragischen Anlass weniger angestrengt. Gleichzeitig bleibt das autoreflexive poetologische Element erhalten, Rückert schreibt sich selbst als Dichter „Freimund“ ein.

Warum willst du kleinen Vögeln Federn stehlen,
Wenn, o Geist, dir selbst nicht Adlerschwingen fehlen?

Schön ist es im Sold zu haben Geisterscharen,
Die mit ihren Stimmen mir mein Leid erzählen.

Sieh! ich will zum Dienste meines Schmerzes dingen
Aller Himmelsstriche Nachtigallenkehlen.

Die Zypressen, die in Welschlands Lüften dunkeln,
Will ich deutschen Trauerbirken hier vermählen.

Pinien, unter deren Schatten ich gewandelt,
Diesem Grab zu schatten, will ich euch empfehlen.

Rosen Pästums, die ihr längst habt ausgeblühet,
Diesem Staub will ich euch zu entblühn, befehlen.

Aschen des Vesuvs, die ich betreten habe,
Eure Tränen sollt ihr diesem hier nicht hehlen.

Und wo Hekla flammt, will ich zu suchen gehen,
Grabgerät aus alten Heldenhügeln wählen.

Dem zu Ehren, der hier ruht, in jedes Klimas
Tracht und Art einkleiden will ich Liederseelen.

Ostwind, sprich: Den Freimund sah ich heut‘, er weidet
Auf dem Grab des Bruders persische Gaselen.

Es ist ein beachtliches Konvolut, das sich aus Rückerts literarischer Produktion in den Jahren 1819 bis 1821 ergibt und das hier, auf das Genaueste kommentiert, vorliegt. Neben den Wort- und Sacherklärungen sind die Hinweise auf die Übersetzungen von Joseph v. Hammer aufschlussreich (neben dem Diwan des Hafis auch seine Geschichte der schönen Redekünste Persiens mit einer Blütenlese aus 200 persischen Dichtern), die Rückert als Inspiration dienten. Die Bedeutung dieser Übersetzungen und der Rezeptionszusammenhang mit Goethes West-östlichem Divan werden im „Editorischen Bericht“ erläutert. Darüber hinaus bietet die Ausgabe einen Überblick über die zeitgenössische Aufnahme der Almanach- und Buchausgaben der hier versammelten Gedichte.

Eine „Lebenstafel“ 1819 bis 1821 steht am Anfang des Buches und zeichnet monatsweise mit vielen Originalzitaten und gelegentlichen Hinweisen auf relevante politische Ereignisse wie die Karlsbader Beschlüsse ein deutliches Bild von dem fleißigen Dichter und Sprachgelehrten. Rückert ist am Beginn dieser beiden produktiven Jahre gerade dreißig, zieht von Wien zurück nach Ebern in Oberfranken und dann quasi den Büchern für seine Studien hinterher in die Stadt Coburg. Er studiert und dichtet nicht nur und droht dabei laut seinem Reisegefährten, dem Dichter Wilhelm Müller, „das Leben seiner Muse in Grübelei und Kunstaufwand“ zu vergraben, sondern bahnt auch Verlagskontakte an, bemüht sich um eine Stelle als Bibliothekar, begegnet seiner zukünftigen Frau, streitet mit seiner zukünftigen Schwiegermutter, kümmert sich um die Hochzeitsgarderobe und heiratet.

Chronologisch schließt dieser Band an die Zeitgedichte und Gedichte von Rom der Werkausgabe an, die ebenfalls von Claudia Wiener bzw. von Wiener und Rudolf Kreutner bearbeitet wurden und die Texte aus den Jahren 1813 bis 1818 enthalten. Die Lyrik dieser Jahre ist geprägt von den Folgen der Napoleonischen Kriege und von aufkeimenden nationalen Bestrebungen. Als Johann Wolfgang von Goethe 1822 über Rückerts Oestliche Rosen urteilt, betrachtet er das Interesse an der persischen Dichtung als eine Zeiterscheinung, die im Frieden „abkühlend erfrischte und zugleich uns der herrlichen Sonne, des reinen blauen Aethers genießen“ ließen.

Rückerts Ahnung, dass die Ghaselenform ihren Platz in der deutschsprachigen Literatur finden würde wie die „welsche[…] Stanze“, hat sich erfüllt, wenngleich zuerst einmal als Startpunkt des Streits zwischen dem Ghaselendichter August von Platen und Heinrich Heine, der Karl Immermanns unfreundliche Xenien veröffentlichte, in denen „Ghaselen“ sich auf „stehlen“ reimt. Aber bis zu Hugo von Hofmannsthal und weiter gibt die von Rückert für die deutsche Dichtung angepasste persische Form Anlass, über poetologische Prämissen, das Eigene und das Fremde und über den Zusammenhang von Form und Inhalt nachzudenken. So zum Beispiel im ersten Gedichtband der österreichischen Lyrikerin Betty Paoli (1814–1894), der 1841 mit einem Motto von Rückert erschien. Auch ihre Ghaselen sind ein Echo auf Rückerts Dichtung und sie führt zu guter Letzt die Essenz der Gattung auf den erotisch-mystischen Gehalt zurück:

„Ghasel! was magst du wohl, so fragt‘ ich lange, sein?
Soll ich, dein Wesen zu ergründen, bange sein?“ –
So fragend hab ich dich erkannt und du kannst nun
Kein dunkles Räthsel mehr dem Dichterdrange sein.
Ich weiß nunmehr: du sollst, aus tiefster Brust gehaucht,
Ein frischer West um glüh‘nde Liebeswange sein,
Du sollst dem schönen Freund, zu dessen Preis du tönst,
Ein fürstlich reicher Schmuck, womit er prange, sein.
Sollst seines edlen Schatzes köstlichster Demant,
Und seines königlichen Purpurs Spange sein,
Ein unzerreißbar Netz, aus laut‘rem Gold gefügt,
In das sich Reiz und Huld für stets verfange, sein!
Du sollst, Ghasel! mit deinem süßen Echospiel
Ein Wiederhall vom ew‘gen Liebesklange sein!

Titelbild

Rückert, Friedrich: Oestliche Rosen. Werke der Jahre 1819-1821.
Wallstein Verlag, Göttingen 2022.
477 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783835351301

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch