Negative (Selbst-)Kritik

Katharina Lux’ Studie „Kritik und Konflikt“ legt die (unterschiedlichen) Positionen im Kritikprogramm der Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ detailliert dar

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange Zeit wurde die mit einer Unterbrechung von 1976 bis 1987 erschienene Zeitschrift Die Schwarze Botin wenig beachtet. Das änderte sich erst, als Vojin Saša Vukadinović 2020 eine Auswahl der in dem feministischen Periodikum erschienenen Texte zusammenstellte und als Buch herausgab.

Nun, keine zwei Jahre später, hat Katharina Lux eine umfangreiche „Studie zum Kritikprogramm der Schwarzen Botin und zu den Auseinandersetzungen um feministische Kritik und Theoriebildung in der autonomen Frauenbewegung“ vorgelegt. In ihr verfährt sie zweigleisig. Zum einen arbeitet sie eng „am historischen Material“, zum anderen bewegt sie sich entlang des Leitfadens der „theoretischen Fragen nach Motiven und Verfahren der Kritik und der Theoriebildung“. Denn Lux’ Erkenntnisinteresse zielt auf die Beantwortung der Frage ab, „was feministische Kritik und Theorie in der deutschsprachigen autonomen Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre ist und wie sie vorgeht“. Dabei bilden die in der Zeitschrift selbst und vor allem mit anderen Journalen aus der autonomen Feminismus-Szene der Zeit ausgetragenen „Konflikte um feministische Kritik und Theorie“, zu denen nicht zuletzt die „Auseinandersetzung um das Denken der sexuellen Differenz“ zählte, den Mittelpunkt von Lux’ Arbeit. Hinzu tritt die Rekonstruktion der konkreten „feministische[n] Kritik der Geschlechterbilder, ihrer Entstehung und kulturellen Funktion“ sowie der von der Zeitschrift geübten grundsätzlichen Ideologiekritik. Die Schwarze Botin trug ihre negative Kritik ebenso in wissenschaftlichen, essayistischen und literarischen Texten wie in Glossen und Rezensionen vor. Dabei gingen verschiedene ihrer Beiträge von einem dekonstruktiven Ansatz aus. Prägend für die Zeitschrift waren außerdem die zahlreichen Collagen sowie Abbildungen der Werke von KünstlerInnen wie Meret Oppenheim, Sarah Schuhmann und Max Ernst.

Neben der negativen Kritik bildete die „Suche und Entwicklung neuer Denk- und Wahrnehmungsformen […] ein weiteres Feld des Kritikprogramms“ der Zeitschrift. Die Autorinnen der Schwarzen Botin nahmen „unterschiedliche Wirklichkeitsebenen in den Blick und befrag[ten] die Grenzen des Denk- und Sagbaren und d[er] ästhetischen Ausdrucksformen, um die Vorstellungswelten zu überschreiten“.

Die Schwarze Botin trat mit dem Anspruch an, „‚aus der Frauenbewegung die Kritik der Frauenbewegung’ leisten zu wollen“. Ihre intendierte Leserinnenschaft bestand mithin nicht in den Frauen schlechthin, sondern in den Intellektuellen innerhalb der autonomen Frauenbewegung. Dass die Zeitschrift die damals in der Frauenbewegung weitverbreitete Annahme negierte, „eine gemeinsame Erfahrung aller Frauen sei unvermittelt gegeben, direkt erkenn- und sprachlich ausdrückbar und könne daher als Grundlage einer weiblichen Identität dienen“, dürfte dabei allerdings nur eine nachrangige Rolle gespielt haben. Jedenfalls sah die Zeitschrift nicht „im Frausein an sich“, sondern im „feministische[n] Bewusstsein“ den Ausgangspunkt für eine autonome Frauenbewegung, die zur „Avantgarde der Gesellschaftskritik“ werden könne.

Die Schwarze Botin war zugleich Teil der Bewegung und ging doch auf „kritische[.] Distanz“ zu ihr. Der damit einhergehende „Kritikmodus“ war stets „ein negativer“. So negierte sie selbst den Kampf gegen das im Paragraph 218 des StGB festgeschriebenen Abtreibungsverbots. Der Schwarzen Botin zufolge lag den Protesten ein „affirmative[s] Verhältnis der Bewegung zum Staat“ zugrunde, da sich die Forderung, das Abtreibungsverbot aufzuheben, an den Staat richte, statt die Begriffe der Politik und Macht grundsätzlich infrage zu stellen. Damit erkenne die Bewegung gegen den § 218 „die androzentrische bürgerlich kapitalistische Form des Gemeinwesens“ an. Diese „abstrakte[.] Absage an den Staat“ war eine der „Kontinuität[en] der Zeitschrift“.

Lux’ Studie macht deutlich, dass die Schwarze Botin „strukturelle Unabgeschlossenheit, Inkohärenz und Antisystematik“ zur Tugend und „den Widerspruch zu ihrem Grundsatz [machte]“, und zwar nicht nur denjenigen zur autonomen Frauenbewegung. Dies führte dazu, dass sich ihre „Theoriebildung“ kaum „als kohärenter Gegenstand be- und umgreifen“ lässt. Festgehalten werden kann jedoch immerhin, dass „[d]as Programmatische“ ihres „Kritikprogramm[s]“ darin liegt, zu „verhandeln, was feministische Theorie und Kritik sein und wie sie vorgehen soll“ und mehr noch, „wie sie nicht vorgehen und sein soll“. Denn die Kritik formulierte vielfach, „was dem feministischen Ziel der Abschaffung ,jeglicher Herrschaft’ nicht diene“.

Bevor sich Lux der Schwarzen Botin, ihrer Geschichte und den in ihr vertretenen theoretischen Positionen zuwendet, rekonstruiert sie die „Entstehung der autonomen Frauenbewegung“ und umreißt, wie sich diese „als Prozess der Anknüpfung und Abgrenzung zur Bewegung von 1968“ vollzog. Als dessen Beginn kann mit einigem Recht die von Helke Sander auf der 23. Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes am 13. September 1968 in Frankfurt am Main gehaltene Rede gelten.

In den anschließenden Kapiteln verschränkt Lux eine chronologische mit einer thematischen Anordnung. So geht sie zunächst auf die 1976 und 1977, also in der Gründungsphase der drei feministischen Zeitschriften ebenso polemisch wie intransigent ausgetragenen Kontroverse mit der Courage und der EMMA ein, die schließlich in gegenseitigen Boykott-Aufrufen mündete. Die Auseinandersetzung drehte sich um drei Streitpunkte: „erstens, wer die Leserinnenschaft der Zeitschriften sei, zweitens, wie und welche Öffentlichkeit hergestellt würde und drittens, wie feministische Kritik auftreten solle“.

Sodann zeichnet Lux den Konflikt nach, den die Schwarze Botin 1977 mit dem Kommunistischen Bund (KB) austrug, der in seinem Zentralorgan Arbeiterkampf mit der Faschismus-Keule auf die feministische Zeitschrift eindrosch und ihr „perverse Ideen“ vorwarf, die sich im „Randbereich des Krankhaften“ bewegten und darauf zielten, die Männer ausrotten zu wollen, um eine „Diktatur der Frauen“ errichten zu können. Dieser verleumderischen Offensive war die „Weigerung“ der beiden Herausgeberinnen der Schwarzen Botin Brigitte Classen und Gabriele Goettle vorausgegangen, „mit Mitgliedern des KB zusammen eine Dokumentation über Alice Schwarzer und deren Projekt Emma zu erstellen“. Diese Weigerung kann nicht verwundern, da Die Schwarze Botin zwar heftige innerfeministische Kritik übte, aber grundsätzlich „‚jede Form der Zusammenarbeit mit K-Gruppen oder sonstigen Linken […] und mit Frauen aus K-Gruppen’ ab[lehnte]“.

Ebenfalls im Jahr 1977 äußerten sich Autorinnen der Schwarzen Botin mehrmals zu Terrorismus und Staatsgewalt. Zumeist führten sie jedoch einen Metadiskurs, der sich „eher zu Diskursen über den Terrorismus [positionierte]“, oder sie „macht[en] sich ihren Spaß aus der Staatskrise und der Aufregung, die 1977 die Öffentlichkeit erfasst hatte“.

Fast über den gesamten Erscheinungszeitraum der Zeitschrift hinweg zieht sich hingegen ihre Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus (und welche Rolle die Frauen in ihm und für ihn spielten). Wie Lux zeigt, war dies ein „integral[er]“ Bestandteil ihres „Kritikprogramm[s]“. So erörterten die Mitarbeiterinnen der Zeitschrift nicht nur wiederholt die, wie sie analysierten, in den 1970er und 19080er Jahren immer noch bestehenden Gründe für das Aufkommen des Nationalsozialismus und wie diese beendet werden könnten, sondern behandelten auch die Themen „Mutterkult und Nationalsozialismus“, „Sexualität und Faschismus“ und immer wieder den mit dem Nationalsozialismus keineswegs untergegangenen „Antisemitismus“ in Deutschland. Fast immer wurde dabei ein „Bezug zur Gegenwart der Autorinnen her[gestellt]“.

Als „exemplarisch für das Kritikprogramm der Zeitschrift“ macht Lux den 1983 veröffentlichten Artikel Wünsche nach Kraft durch Freude aus. Seine Sprache sei „scharf, das Urteil vernichtend und die Charakterisierung dessen, was Kritik sei“, werde unmissverständlich klar. Sie müsse „negativ [sein], oder sie sei keine Kritik“.

Diese Haltung drückte sich auch in der „literarische[n] Sprachkritik der Zeitschrift“ aus und schlug sich nicht nur in der vehementen Ablehnung der damals hohe Verkaufszahlen erreichenden feministischen Selbsterfahrungsliteratur nieder. So füllten etwa Verena Stefans Häutungen, Karin Strucks Klassenliebe und Svende Merians Der Tod des Märchenprinzen die Regale sämtlicher feministischer Wohngemeinschaften.

In der zweiten Hälfte ihrer Untersuchung wendet sich Lux der Auseinandersetzung der Zeitschrift mit den drei französischen Theoretikerinnen Hélène Cixous, Julia Kristeva und Luce Irigaray zu, wobei die Unterschiede ihrer Positionen von der Schwarzen Botin allerdings nicht verwischt wurden, wie dies sonst allzu oft geschah. Ebenso wie mit dem Nationalsozialismus beschäftigte sich die Zeitschrift Zeit ihres Bestehens mit den drei Denkerinnen. So findet sich bereits in der 1977 erschienenen zweiten Ausgabe der Schwarzen Botin ein Gespräch, das Brigitte Classen und Gabriele Goettle mit Hélène Cixous und Maren Sell führten.

Wie Lux zeigt, waren sich die Autorinnen der Schwarzen Botin in der Interpretation von Cixous’ Texten und dem Konzept der écriture féminine allerdings keineswegs einig. Lux arbeitet zwei „Deutungen“ heraus, deren eine „von einer weiblichen Substanz ausgeht, die sich im Schreiben und in ästhetischen Produktionen Ausdruck verleihen soll“, während die andere genau diese Lesart kritisierte. Einig waren sich die Vertreterinnen beider Positionen jedoch darüber, dass Cixous ebenso wie sie selbst „die Vorstellung eines unvermittelten Zugangs zum Körper und seinen Erfahrungen [kritisierte]“.

Luce Irigarays Arbeiten erfuhren in der Schwarzen Botin sowohl Einverständnis wie auch Kritik. An ihnen „entzündet[e]“ sich eine Auseinandersetzung unter den Autorinnen über das Kritikprogramm der Zeitschrift. Lux macht „drei Positionen“ aus, deren erste das „poststrukturalistische Paradigma“ ablehnte, während das zweite die „Bestimmung einer nichtandrozentrischen Subjektposition“ negierte und auf dem „Weibliche[n] als Ungreifbares und als Negativität“ beharrt. Es war dies die Position, die in der Zeitschrift die größte Zustimmung erhielt. Die dritte schließlich lotete die „Möglichkeiten einer nichtandrozentrischen Subjektposition“ aus. Die im Rahmen dieser Kontroverse publizierten Artikel von Sibylle Klefinghaus, Rita Bischof, Eva Meyer und der kürzlich verstorbenen Elisabeth Lenk machten Die Schwarze Botin zu „einem Ort der konfliktreichen Auseinandersetzung um die Frage, wie das Weibliche zu denken ist“. Einig waren sich die „Kritikerinnen und Befürworterinnen des Differenzdenkens“ jedoch darin, dass „ein neues Selbstverhältnis und Körperverhältnis der Frau“ nicht „unmittelbar hergestellt und ausgedrückt werden“ kann.

„[E]in Denken, das die Funktion der Frau in der symbolischen Ordnung als Negativität betont“ und das sich mit Julia Kristeva an der dritten der französischen Theoretikerinnen „orientiert“, bildete nicht nur einen „Gegensatz zur Position von Cixous“, sondern war damit zugleich auch dasjenige, das dem Kritikprogramm der Schwarzen Botin am nächsten kam. In den 1980er Jahren wurde in der Zeitschrift nicht nur unter Rückgriff auf Irigarays Schriften, sondern auch anhand der im „Umfeld des Mailänder Frauenbuchladens“ geübten „Praxis des affidamento“ diskutiert, ob es möglich sei eine „andere[.] Strukturierung der symbolischen Ordnung zu denken und zu praktizieren“.

Zum Ende ihrer umfangreichen Studie arbeitet Lux auf erhellende Weise „zwei Motive, zwei Entwürfe und zwei Verfahrensweisen der Subjektkritik und Subjekttheorie“ heraus, „die „unterschiedliche, teils sich wiedersprechende Positionen vertreten“. Es sind erstens „das Motiv des Phantasmas des männlichen Subjekts“, sodann „ein Selbstentwurf“, „in dem das Weibliche als Statthalter des Mangels zur Funktion des Subjekts wird“, drittens ein „satirische[s] Verfahren“, das, wie Lux sich die Polemik der Schwarzen Botin aneignend formuliert, „die Psychoanalyse zum Groschenroman der Geschlechter macht“, viertens eine „Verfahrensweise“, „die eine Pastiche der strukturalen Subjekttheorie ist“, fünftens „das Motiv der Zerstörung des Subjekts anhand der Lesarten, die in der Schwarzen Botin zum Prosawerk von Ingeborg Bachmann entwickelt werden“, und sechstens der „Entwurf eines Subjekts der sexuellen Differenz im Kritikprogramm der Zeitschrift“.

Lux’ verdienstvolle Studie legt die (unterschiedlichen) Positionen des Kritikprogramms, dessen Kontinuitäten und Wandlungen detailliert dar. Die wenigen zu monierenden Kritikpunkte sind eher marginaler Natur. So nennt sie den von Helke Sander mitbegründeten Aktionsrat zur Befreiung der Frauen fälschlicherweise stets „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“. Die von Silvia Bovenschen und anderen Frauen gegründete feministische Gruppe nannte sich Sozialistische Frauen Frankfurts. Die von Lux übernommene Bezeichnung „Frankfurter Weiberrat“ ist nur eine ‚inoffizielle’ Fremdbenennung. Das französischsprachige Original des Buches Das andere Geschlecht wiederum erschien bereits 1949 und wurde daher nicht „in den 1950er Jahren von Simone de Beauvoir verfasst[.]“. Eine weitere Kritik betrifft das nicht ganz vollständige Literaturverzeichnis, so fehlt dort die Entsprechung zu der in einer Fußnote erwähnten Quelle „Maurer 2015“. Bedauerlich ist schließlich, dass Lux, abgesehen von den Titelblättern, kaum auf die Ästhetik der Zeitung eingeht und darauf, welche Bedeutung diese für das ästhetische Konzept der Schwarzen Botin hatte.

Titelbild

Katharina Lux: Kritik und Konflikt. Die Zeitschrift »Die Schwarze Botin« in der autonomen Frauenbewegung.
Mandelbaum Verlag, Wien 2022.
474 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-13: 9783854769156

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