Brav gewühlt, Maulwurf!
Jörg Auberg schreibt die mäandrierende Geschichte der sogenannten „New Yorker Intellektuellen“ von den 1930er Jahren bis heute
Von Rolf Parr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie von Jörg Auberg seit 2015 herausgegebene Online-Zeitschrift Moleskin Blues (Literatur, Kunst und essayistisches Schreiben) spielt mit ihrem Titel „auf die Figur des subversiven Maulwurfs (engl. ‚mole‘) an, der sich im Untergrund seine Gänge gräbt, dann und wann einen Blick nach oben wirft, ohne sich vom ‚Minieren‘ abhalten zu lassen“ (Homepage). Liest man das programmatisch, dann können Auberg und seine Zeitschrift als moderne Nachfahren jener kritischen Zeitschriften für Literatur und Politik bzw. jener Gruppierungen von Schreibenden im New York der 1930er bis 2020er Jahre verstanden werden, die sich selbst später als „New Yorker Intellektuelle“, aber auch als „Gruppe“ und „Familie“ bezeichneten und deren Geschichte Auberg mit seiner Monografie New Yorker Intellektuelle. Eine politisch-kulturelle Geschichte von Aufstieg und Niedergang, 1930–2020 in genauer historischer Rekonstruktion in den Blick genommen hat.
Nachgezeichnet wird nicht weniger als die mäandrierende Geschichte dieser „New Yorker Intellektuellen“-Gruppe, ihrer politischen Ideen, Einstellungen, Gegnerschaften, Kämpfe und Verwerfungen rund um Zeitschriftenprojekte wie Partisan Review, Politics, Commentary, Dissent, The New York Review of Books und andere mehr. Dabei geht Auberg in einem ersten Schritt stets von den großen, weltpolitischen Entwicklungen (Kommunismus, Erster Weltkrieg, Große Depression, Zweiter Weltkrieg, Vietnamkrieg, Konservatismus) aus, um dann in einem zweiten die spezifische Perspektive der amerikanischen Politik, Gesellschaft, Kultur und nicht zuletzt auch der Literatur einzunehmen (z.B. nach den veränderten Marktmechanismen für das Publizieren in den 1950er und 1960er Jahren in New York zu fragen) und schließlich in einem dritten Schritt aufzuzeigen, wie die New Yorker Intellektuellen auf diese politischen und gesellschaftlichen Ereignisse und Irritationen in ihren Publikationen jeweils reagiert haben.
Für die Struktur des Buches ergibt sich daraus eine Abfolge von Einzelanalysen mit im Schnitt etwa einem Dutzend Seiten Umfang, die stets aus dem Quellenmaterial heraus entwickelt werden. Das macht es zum einen möglich, den dargestellten Entwicklungen, Positionierungen und auch Verwerfungen bis zu einer Mikroebene zu folgen, erhöht zweifellos den Authentizitätsgrad des Dargebotenen und zeigt zudem, wie souverän Auberg ,seine‘ Materie beherrscht. Es geschieht andererseits jedoch auch um den Preis einer Fülle von Details, Namen, Buch- und Beitragstiteln sowie Zitaten, die die Leser:innen zur Kenntnis nehmen und im weiteren Verlauf des Textes parat haben müssen. Das macht die Orientierung im Text spätestens dann nicht immer leicht, wenn auch noch Vor- und Rückblenden hinzukommen. Die jedoch sind immer wieder nötig, um zeigen zu können, welchem Wandel die New Yorker Intellektuellen und ihre Zeitschriftenprojekte im Berichtszeitraum unterlegen sind. Denn in den 1930er Jahren noch vielfach aus kommunistischen Diskussionszusammenhängen kommend und sich gleichermaßen als kulturelle wie auch (noch) proletarische Avantgarde verstehend sowie „den kulturellen Diskurs über die späte Moderne“ maßgeblich führend, konnten sie „während des Kalten Krieges über verdeckte Finanzierungen“ durch amerikanische Geheimdienste „Einfluss auf intellektuelle Diskussionen im globalen Maßstab nehmen“. Nach den „Revolten der 1960er und frühen 1970er Jahre“ fanden sich „ehemalige ‚Linke‘ aus dem Umfeld der New Yorker Intellektuellen“ in den „Administrationen von Richard Nixon, Ronald Reagan, George W. Bush und Donald Trump“ und agierten gegen Massenkultur, Massengesellschaft sowie – darin der Frankfurter Schule nahestehend – gegen diejenige Kulturindustrie, von der sie längst selbst ein Teil waren. Ihr Selbstbild war das einer geistigen Elite, die nicht selten Stellen an führenden amerikanischen Universitäten annahm.
Hinter der Fülle (und manchmal Überfülle) an Material scheint die ordnende und vor allem die Einzelbefunde auf einer Metaebene zusammenfassende Stimme des Verfassers manchmal ein wenig zu verschwinden; dies zumal, da auch die Zwischenüberschriften und mit ihnen das Inhaltsverzeichnis wenig Strukturierungshilfe bieten, sind doch auch die Kapitelüberschriften eher literarisch-essayistischer Art und auf rhetorisch ‚schöne Formulierungen‘ hin ausgerichtet, denn als Navigationshilfe für die Leser:innen geeignet. So ist das Kapitel „Hellos & Goodbyes“ in die Abschnitte „Leftward Ho“, „Writing Red“, „Die Waffe der Kritik“ und „Abschied von gestern“ gegliedert. Das ergibt durchaus Sinn, lässt sich oft aber erst nach einer ersten Lektüre verstehen.
Als Ersatz für die fehlende Orientierung treten an einer ganzen Reihe von Stellen stark metaphorische resümierende Bilder und Formulierungen, oft auch in Kombination mit deutlichen Wertungen: „Die Greise verschanzten sich in den Unterständen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten gebaut hatten, und verteidigten die alten Stellungen mit allen Mitteln und gegen alle Attacken. Der intellektuelle Soldat […] stirbt wutverzerrt im Gefecht oder zumindest im schlammigen, vom Kadavergeruch überhangenen Schützengraben, nicht an Gicht oder Hirnverkalkung auf einem weichen Bett“; „Hatte Rahv zwei Jahre zuvor selbst noch als Ultralinker bürgerliche Autoren kräftig gezüchtigt […]“; „kleiner Zoo intellektueller Sonderlinge“; „Generalangriff der Kulturindustrie“; „Der süße Geruch des Erfolgs ging über in den Gestank der Verwesung“; „Wie ein fanatischer Steißtrommler prügelte er auf die anderen ein“; „Wildnis der Massenkultur“; „Die New Yorker Intellektuellen wurden als alte Männer betrachtet, die den jungen Dichtern den Strom abzapften, um die eigenen Hirnbatterien aufzuladen.“ Wichtige Hilfsmittel für die Lektüre sind zudem das Verzeichnis der Abkürzungen für Gruppierungen und Parteiungen und die drei Appendizes („Bibliografischer Essay“, „Die New Yorker Familie“, „Glossar“).
Doch auch wenn es nicht ganz einfach ist, in Aubergs Buch so hineinzukommen, dass man alle kleinen und großen Entwicklungslinien der New Yorker Intellektuellen genau nachvollziehen kann, lohnt sich doch die Mühe der Lektüre und auch die der Re-Lektüre. Belohnt wird man nämlich durch die ungeheure Detailkenntnis, mit der hier im besten Sinne des Wortes kongenial zur analysierten Materie geschrieben und – um die Maulwurfsmetapher noch einmal aufzugreifen – ‚zu Tage gefördert‘ wird. Von daher wird Aubergs umfassende Geschichte der New Yorker Intellektuellen sicher auch als eine Art implizites Nachschlagewerk zu diesem Thema fungieren: Man muss es nicht gleich ganz lesen, sondern kann seine Lektüre auch gezielt nach einzelnen Namen, Zeitschriftenprojekten oder politischen Ereignissen anlegen. Wo man dabei auch ansetzt, wird man es mit Gewinn tun.
Was ein wenig verwundert, ist, dass in Aubergs Buch der wichtigste Bezugsbegriff, nämlich der des Intellektuellen, nicht näher bestimmt wird. Legitimiert ist die Rede von Intellektuellen zwar ohne Zweifel durch die vielen Zeugnisse von Selbstzuschreibung dieser Qualität, die bei zahlreichen Autor:innen zu finden ist und in die Kanonisierung der Formulierung ‚New Yorker Intellektuelle‘ in den 1960er Jahren einmündet. Diese vielfältigen Selbstbeschreibungen als Intellektuelle, zu denen die in ihrer Menge etwas manieriert wirkenden Zitate bekannterer Autor:innen über Intellektuelle an den Kapitelanfängen noch hinzukommen, geben jedoch keine Antwort auf die Frage, wie man den Begriff analytisch fassen könnte.
Denkbar wäre etwa folgende Überlegung: Konstitutive Merkmale des Intellektuellen sind seine gesamtgesellschaftliche Sprecherrolle (Intellektuelle sind ‚gehörte Stimmen‘ oder wollen es zumindest sein) und damit verbunden ein Anspruch auf Zusammenführung verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche und Praktiken. Daher sind „die Intellektuellen“, wie Georg Jäger formuliert hat, „‚Fachleute eines integrierenden Dilettantismus‘“ auf vielen Gebieten. Gerade als „Spezialist[en] für das Wort“ schließen sie die verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche sprachlich miteinander kurz.
Wenn es aber offensichtlich um sprachliches Zusammenführen von Spezialwissensgebieten zu Synthesen geht, dann liegt es nahe, die Spezifik des Intellektuellen diskurstheoretisch zu reformulieren und ihn als ‚Spezialisten für diskursverbindende, inter-diskursive Synthesen‘ zu charakterisieren, also als jemanden, der Breitenwirkung dadurch erzielt, dass er als nicht-spezieller Ort der Bündelung von im Alltag immer nur arbeitsteilig verfolgten Spezialgebieten fungiert und auf diese Weise vielfältig anschlussfähige und attraktive Publikumsprojekte in Form von imaginären Totalitäten anbietet, etwa die Projekte von Zeitschriften. Genau dies haben Intellektuelle aber wiederum mit der ebenfalls hochgradig interdiskursiven modernen Literatur gemeinsam, sodass es nicht von ungefähr kommt, dass zum einen Schriftsteller vor Vertretern anderer Berufsgruppen wie Politikern und Wissenschaftlern immer wieder als Intellektuelle wahrgenommen und bezeichnet werden, zum anderen die Literatur bei der Zusammenführung mit Politik und Gesellschaft tendenziell dominant bleibt.
Mit der hier nur grob skizzierten Konzeption von ‚Intellektuellen‘ ließe sich erklären, warum die ‚New Yorker Intellektuellen‘ gerade Literatur und Politik verknüpft haben, warum der Essay (als per se verschiedene Spezialdiskurse integrierende Form des Schreibens) von ihnen bevorzugt wurde, welche Totalitäten (im Sinne von integrierenden Publikumsprojekten) sie zu welchem Zeitpunkt mit welchem ihrer Zeitschriftenprojekte entworfen haben und welche gesellschaftlichen Teilbereiche damit integriert wurden.
Alles das kann Aubergs Monografie noch nicht leisten, man wird es aber zukünftig nur auf Basis seiner fulminanten Darstellung tun können.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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