Das süße Leben?

In Federico Fellinis „La Dolce Vita“ ist das Kino noch die Kunst aller Künste

Von Johanna ItterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johanna Itter

Alle Wege führen nach Rom, so sagt man, und kein Weg vorbei an Filmklassikern im Open-Air-Kino in diesem Sommer. Es laufen Der Pate, anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Filmpremiere, Pulp Fiction und Léon – der Profi, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es kehrt aber auch, dank der Reihe „Best of Cinema“, die in Kooperation mit Studiocanal cinematische Meisterwerke zurück auf die Leinwand bringt, ein weiterer Klassiker deutschlandweit in die Kinos zurück, einer der berühmtesten italienischen Filme und ein Prototyp des Autorenfilms: La Dolce Vita (1960), zum ersten Mal als 4K-restaurierte Fassung.

„La Dolce Vita“, da denkt man an ein lebensbejahendes Konzept, an laue Sommerabende, Aperitivo, Italo-Pop, Streifzüge durch die Nacht. Und Fellinis Film fängt genau diese Stimmung ein, ist Sinnbild für das italienische Lebensgefühl der 1960er Jahre, Ausdruck jeder noch so verklärten Italien-Sehnsucht, die einen jeden Sommer aufs Neue erfasst. Das Tempo des Films wird bestimmt von seinem Inhalt, es ist eine Jagd nach „süßen“ Geheimnissen der Prominenz auf der Via Veneto, welche gesäumt ist von Cafés und Nachtclubs, in denen das Leben pulsiert.

Federico Fellini (1920–1993), ebenso berühmt für Filme wie La Strada (1953) und Otto e mezzo (1963), bringt dieses Gefühl in nur einer einzigen Szene bereits auf den Punkt, mittlerweile eine filmhistorische Begebenheit: Denn schon hier führen nicht nur alle Wege nach Rom, sondern in dem nächtlichen Streifzug von Marcello Rubini (gespielt von Marcello Mastroianni, für den dieser Film wie für Anouk Aimée der Startschuss einer internationalen Karriere war), römischer Klatschjournalist, auch zum Trevi-Brunnen. Die ausgelassene Planscherei im Brunnen mit Sylvia – verkörpert von Anita Ekberg – ist Kult – sie im schwarzen Abendkleid und mit tiefem Dekolleté natürlich durchweg übersexualisiert. Typisch Fellini wird diese Szene gebrochen, indem Marcello in das Bild hinzutritt, sichtlich unbeholfen auf Sylvia reagiert und im Angesicht dieser übersinnlichen erotischen Ausstrahlung stark verunsichert wirkt, während er sich die Schuhe auszieht, um auf ihre Aufforderung hin mit in den Brunnen zu steigen.

Der Film beginnt damit, dass der schwedisch-amerikanische Filmstar Sylvia in Rom eintrifft und von einem Schwarm Reportern begrüßt wird, darunter Marcello. Später schafft er es, einen Moment mit ihr allein zu sein, da nur er schnell genug ist, ihr auf den Balkon des Petersdoms zu folgen. Er hilft ihr dann auch – weiterhin auf der Suche nach Insider-Informationen und gleichzeitig von ihr angezogen – von einer Party vor ihrem Verlobten und den Reportern zu fliehen. Zusammen fahren sie daraufhin in einem Sportwagen-Cabrio durch die römische Nacht. Hier wird Sylvia einmal selbst primär zur Schauenden, statt zum ewigen Objekt der Schaulust. Fellini erlaubt es ihr, für einen kurzen Moment aus der Rolle herauszutreten. Marcello blickt sich mehrmals um, um zu schauen, ob sie die Verfolger bereits abgeschüttelt haben, aber es scheint, als fixiere er auch uns Filmschauende.

Denn auch wir kommen bei diesen rasanten Szenen und den schnellen italienischen Dialogen kaum noch hinterher. Vor allem Marcello selbst ist fasziniert und geblendet von dem verführerischen Lebensstil der Reichen und Schönen. In jedem Raum, den er betritt, und auf jeder Party kennt man ihn. Er genießt die Rolle des Frauenschwarms, während seine eifersüchtige Verlobte stets darauf wartet, dass er sie zurückruft. Es ist damals ein Kunstgriff Fellinis gewesen, diese Welt mitsamt ihrer journalistischen Entourage zu porträtieren. Die Klatschpresse befriedigt auch hier nicht nur das Interesse des Publikums, sondern heizt es geradezu an. Ziemlich passend ist es da, dass die Bezeichnung des Berufs als Paparazzo eben aus jenem Film stammt, und der Name einer der Reporter zum Synonym dieses Berufes wurde.

Wie so oft in Autorenfilmen dieser Zeit wird schonungslos in soziale Milieus geblickt und ein Mosaik-Porträt der (italienischen) Gesellschaft gezeigt. Von der Erbin und den Intellektuellen bis zu den Arbeiter:innen, Bäuer:innen und der Sexarbeiterin – in La Dolce Vita wird den Zuschauenden ein großes gesellschaftliches Spektrum präsentiert. Die finale Szene, in der sich die gehobene Gesellschaft nach einer durchfeierten Nacht am Strand befindet, entlarvt die Sinnlosigkeit und Leere dieses vermeintlich schönen Lebens. Marcello kann durch die Lautstärke des Meeres ein Mädchen am Strand nicht verstehen, Sinnbild für sein orientierungslos gewordenes Leben und zugleich eine Brücke zur Anfangsszene im Hubschrauber. Auch hier versteht er die Frauen nicht, die ihm von einer Dachterrasse aus zuwinken und -rufen.

Fellini wirft nicht nur einen satirischen Blick auf die soziale Welt, sondern auch auf den Medienbetrieb. Auf dem Höhepunkt des Kinos, deutet er bereits in der Szene, in der ein Fernsehteam die Begebenheit einer Marienerscheinung dokumentieren will, den Medienwandel an.

Fakt ist: Der Topos des sinnentleerten Medienspektakels bleibt. Er ist überzeitlich, in Zeiten des Kinos, Fernsehens und von Sozialen Medien. Da La Dolce Vita aber eben im Goldenen Zeitalter des modernen Kinos entstanden ist, zeigt der Film neben einer zeitlosen Message auch zeitlos schöne Bilder, die auf eine große Leinwand gehören. Und dort sollte man sie dann einfach genießen.