Mediale Schnittstellen, intermediale Kontakte
Der von Joachim Hamm und Dorothea Klein herausgegebene Sammelband „Text – Bild – Ton“ versammelt und vernetzt die Forschung zu „Spielarten der Intermedialität in Mittelalter und Früher Neuzeit“
Von Simone Loleit
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIntermedialität, also das Zusammenwirken verschiedener Medien beziehungsweise die Überschreitung medialer Grenzen, ist nicht erst in den heutigen Medienkulturen, sondern bereits in der Vormoderne ein allgegenwärtiges Phänomen. Mit den Großepochen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit nimmt der Band Text – Bild – Ton den Zeitraum vom 9. bis zum 17. Jahrhundert in den Blick und zeigt zudem regelmäßig Bezüge zur antiken Kultur auf.
Der behandelte Zeitraum ist dabei selbst von erheblichen medialen Umbrüchen und Wechseln geprägt. Die oft als Epochenzäsur zwischen Mittelalter und (Früher) Neuzeit verstandene Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg in Mainz Mitte des 15. Jahrhunderts gilt als Medienrevolution. Besonders für die Schriftliteratur gehen mit der Umstellung auf das neue Medium Druck erhebliche Veränderungen einher: Individuelle Lektüre löst nach und nach die vom mündlichen Vortrag bestimmte mittelalterliche Textrezeption ab. Auch die Text-Bild-Relationen verändern sich mit den neuen Möglichkeiten des Buchdrucks. Epochale Bedeutung hat zudem der den Übergang von der Antike zum Mittelalter prägende Medienwechsel von der Schriftrolle (Rotulus) zum blätterbaren Buch (Codex), der im 4. Jahrhundert einsetzt und die aus Pergament und Papier gefertigten Handschriften (Manuskripte) zum dominierenden Überlieferungsträger des Mittelalters werden lässt. Augenfälligstes Beispiel für die mit der mittelalterlichen Manuskriptkultur verbundenen Formen von Intermedialität sind die illuminierten, also bebilderten Handschriften.
Mangels technischer Möglichkeiten für Ton- und Filmaufnahmen sind zwei zentrale ‚Medien‘ – Stimme und Körper – überhaupt nur noch anhand von Schrift- und Bildmedien rekonstruierbar. Neben dem Bereich der Musik ist es insbesondere auch der Bereich der Literatur, für den die Präsenz von Stimme und Körper der Vortragenden von entscheidender Bedeutung war. Dabei vollzieht sich im Laufe des Mittelalters eine entscheidende Veränderung von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit beziehungsweise schriftgestützten Vortragsmündlichkeit.
Der kurze Überblick mag verdeutlichen, welch komplexes Themen- und Problemfeld in dem von Joachim Hamm und Dorothea Klein herausgegebenen Band verhandelt wird, wenn intermediale Beziehungen in einem von großen medialen Veränderungen geprägten Zeitraum untersucht werden. Die Beiträgerinnen und Beiträger stammen überwiegend aus dem Bereich der germanistischen Mediävistik und Frühneuzeitforschung, ergänzt durch einen romanistischen Beitrag und zwei kunstgeschichtliche Beiträge. Die Aufsätze gehen größtenteils auf Vorträge der im Wintersemester 2018/19 an der Universität Würzburg veranstalteten Ringvorlesung TextBildMusik zurück.
Eingeleitet wird der Band durch eine von Elisabeth Lienert verfasste Einführung in die Grundlagen mittelalterlicher (Inter-)Medialität und ihrer Erforschung. Zwar kann, wie Lienert anmerkt, das sehr weite und vielfältige Feld der vormodernen (Inter-)Medialitätsforschung damit nicht erschöpfend behandelt werden; doch als Einstieg in die Lektüre der mit konkreten Themen- und Fragestellungen befassten folgenden Aufsätze, aber auch generell als Einführungsliteratur in das Themenfeld eignet sich die kompakte Darstellung in jedem Fall vorzüglich.
Der Band gruppiert die Beiträge in drei Einheiten um die medialen Schnittstellen „Körper, Stimme Schrift“, „Text und Bild“ sowie „Text, Bild, Ton“. Der an den Anfang gestellte Beitrag Florian Kragls diskutiert die im 9. Jahrhundert entstandenen althochdeutschen Texte Georgslied und Muspilli als Experimente mit volkssprachlich-mündlichen und lateinisch-buchliterarischen Traditionen. Neben einer akribischen Auseinandersetzung mit den beiden untersuchten Texten wird zugleich ein methodisch-inhaltlicher Überblick über den breiteren Forschungskontext geboten und zudem der Forschungsimpuls gegeben, den experimentellen Charakter der althochdeutschen Literatur stärker zu berücksichtigen. Diese Mischung aus Bestandsaufnahme der Forschungslage, gründlichen Detailanalysen einzelner Werke oder alternativ kursorischem Überblick über einen bestimmten Bereich sowie Anstößen zu neuen Forschungsperspektiven zeichnen den Band auch als Ganzes aus.
Die Beiträge des Bereichs „Körper, Stimme, Schrift“ loten die Alterität und Ambiguität mittelalterlicher Medialität aus. So diskutiert Christian Buhr an zwei Prologpartien des Wigalois, dass Hören und Lesen im mittelalterlichen Kontext weniger als getrennte, denn als miteinander vernetzte Rezeptionsmodi zu verstehen sind – ein Ansatz, der sowohl für die Wigalois-Forschung als auch weiterführend für die Rezeptions- und Performanzforschung von Interesse scheint.
Dorothea Klein bietet mit ihrem Beitrag zur Transmedialität mittelalterlicher (literarischer) Brief- und Botenkommunikation einen profunden Überblick über ein, insbesondere durch die Arbeiten Horst Wenzels, insgesamt schon breit erforschtes Feld. Christian Kiening verfolgt das auratische Schriftmodell in einer Reihe von Werken der geistlichen und weltlichen Literatur und vernetzt unter dieser Fragestellung unter anderem Texte aus dem Bereich der Mirakelliteratur, der Mystik und der Großepik (Parzival, Reinfried von Braunschweig), die sonst eher selten im Zusammenhang betrachtet werden. Im Beitrag von Urban Küsters geht es, ausgehend von einem (nach Jacques Derrida) erweitert gedachten Schriftbegriff um das Motiv der Körper-Schrift, das anhand der Legenden- und Mirakelliteratur, mystischem Schrifttum und einigen Bildbeispielen analysiert wird. Die unter den Leitbegriff der Intermedialität gestellten zehn Thesen zu Synergien zwischen Körper und Schrift, mit denen Küsters seinen Aufsatz beschließt, bilden zugleich den Abschluss der ersten Großeinheit des Bandes. In dieser werden die Zusammenhänge von Körper, Stimme und Schrift aus vielfältigen Perspektiven und auf Basis einer breiten Auswahl an Text- und auch Bildbeispielen diskutiert. Jeder einzelne Beitrag ist für sich genommen lesenswert; im Zusammenhang betrachtet ergeben sich zudem interessante Vernetzungen.
Der Abschnitt „Text und Bild“ behandelt in den ersten drei Beiträgen Text-Bild-Beziehungen in der mittelalterlichen Manuskriptkultur (Henrike Manuwald), in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Architekturtraktaten als Beispiel für die Fachliteratur (Stefan Bürger) sowie in den religiösen Genres Biblia pauperum, Ars moriendi und Stundenbuch (Brigitte Burrichter). Manuwald und Bürger gelangen dabei auf Basis ihrer unterschiedlichen Untersuchungsgegenstände zu einem ähnlichen Ergebnis: nämlich dass keine allgemeingültigen Aussagen zu Text-Bild-Beziehungen getätigt werden können, sondern diese jeweils fallbezogen diskutiert werden müssen. Verallgemeinerbar sind laut Manuwald die Analysefaktoren, sodass ihr Beitrag sowohl einen interessanten Einstieg in das Thema als auch ein Instrumentarium für die weitere Forschung bietet. Wie sich an Bürgers Untersuchung zu Architekturtraktaten wie an Burrichters Ausführungen zu religiösen Buchgattungen zeigt, ist jeweils der Gebrauchskontext – bei der Baufachliteratur im Spannungsfeld von Architekturtheorie und Baupraxis liegend, bei den religiösen Genres bezogen auf die laienhafte oder theologische Nutzung – gerade auch mit Blick auf das Bildprogramm und die Text-Bild-Beziehungen von großer Bedeutung.
In den folgenden Aufsätzen zum Oberthema „Text und Bild“ werden Einzelphänomene in den Blick genommen: die Frage nach Anfängen der Emblematik vor Andrea Alciatos 1531 erschienenem Emblematum liber (Seraina Plotke [†]); exemplarische Betrachtungen zum Konnex von Intermedialität und Poetologie anhand von Kunstbeschreibungen in höfischen Romanen des 12. und 13. Jahrhunderts, anknüpfend an Haiko Wandhoffs Arbeiten zur Ekphrasis und im Vergleich zu den modellgebenden Schildbeschreibungen in Ilias und Aeneis (Joachim Hamm); zuletzt die Frage nach der ‚Verständlichkeit‘ von Bildern als zeitgenössischer Kategorie in theoretischem Diskurs und bildkünstlerischer Praxis im 16./17. Jahrhundert (Eckhard Leuschner). Die konstitutive Text-Bild-Konstellation der Emblematik, die Visualisierung abwesender bildkünstlerischer Werke mit sprachlichen Mitteln und das Ideal eines Bild-Verstehens ohne Schriftunterstützung werden durch die Anordnung der Beiträge in einen Zusammenhang gestellt. Dies verdeutlicht die Beweglichkeit der (virtuellen) Text-Bild-Beziehungen und ihre eminente Bedeutung für die Selbstreferenzialität von Literatur und bildender Kunst.
Im Abschnitt „Text, Bild, Ton“ verlagert sich der Untersuchungsfokus auf die Bühnenwerke der Frühen Neuzeit: Thomas Balling widmet sich der Interaktion von Musik und (non-)verbalen Elementen in geistlichen Spielen und Bibeldramen am Beispiel von Johannes Aals Tragödie über Johannes den Täufer (1549) und legt hierfür die von Johannes Janota für die hessische Passionsspielgruppe erarbeiteten Funktionen musikalischer Einheiten zugrunde Irmgard Scheitler verortet die Anfänge der Oper als inter- beziehungsweise polymediales Kunstwerk in der im 16. Jahrhundert aufkommenden dramatischen Gattung des Schäferspiels. Wenn auch weder von der Epoche noch vom Genre her vergleichbar, ergibt sich als interessante Parallele zu Kragls Aufsatz über die althochdeutsche Literatur die Beobachtung, dass es sich auch bei der Entstehung des Musiktheaters zunächst um ein Herantasten und Erproben gehandelt habe. Die Beiträge von Kragl und Scheitler als Eröffnung und Beschluss der thematischen Einheiten des Bandes schlagen somit in doppelter Hinsicht einen Bogen: chronologisch gedacht von der Frühphase der deutschen Literatur im 9. Jahrhundert zur frühneuzeitlichen Epoche in Italien und im Raum nördlich der Alpen; strukturell gedacht verbindet beide die sich aus dem deskriptiv-analytischen Ansatz, der den Band generell prägt, ergebende Beobachtung des Erprobens und Experimentierens als Charakteristikum medial noch nicht verfestigter Literatur- und Kunstformen.
Die zahlreichen Vernetzungen, die sich bei einer Gesamtlektüre des Bandes zwischen den einzelnen Beiträgen ergeben, sind zwar nur in Teilen durch Querverweise kenntlich gemacht, lassen sich aber zumindest bezüglich der behandelten Autorinnen, Autoren, Werke, Handschriften und Drucke leicht mit Hilfe der gut aufbereiteten Register erschließen. Insgesamt ist es dem Herausgeberteam Joachim Hamm und Dorothea Klein unter Mitwirkung der Beiträgerinnen und Beiträger gelungen, mit diesem Band ein methodisch-theoretisch anspruchsvolles und durch die Fülle von Beispielen zugleich anschauliches Grundlagenwerk vorzulegen, das sehr gut als Einführung in das facettenreiche Feld vormoderner Spielarten der Intermedialität dienen kann. Der Band ist sorgfältig redigiert und bietet durch die insgesamt 109 Abbildungen ein auch intermediales Rezeptionsvergnügen.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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