Der Verlag mit den breiten Schwingen

Michele K. Troy hat in „Die Albatross Connection“ die spannende Geschichte des Albatross Verlags geschrieben

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wie und warum konnte mitten im aggressiven völkischen Klima Deutschlands der Dreißigerjahre ein jüdisch dominierter, britisch finanzierter Verlag englischsprachige Literatur drucken und verkaufen?“ Das ist die Leitfrage der Geschichte des Albatross Verlags, die Michele K. Troy bereits 2017 auf Englisch vorgelegt hatte und die nun endlich in deutscher Sprache in einer hervorragenden Übersetzung vom Europa Verlag publiziert wurde. 

Albatross veröffentlichte in seiner recht kurzen Geschichte Belletristik in englischer Sprache von modernen Autorinnen und Autoren wie James Joyce, Virginia Wolf, D. H. Lawrence, Katherine Mansfield und Ernest Hemingway im preisgünstigen Medium des Taschenbuchs. Gedruckt wurden die Bücher zunächst bei Mondadori in Mailand und später bei Brandstetter in Leipzig und über eine Hamburger Verlagsauslieferung dem Buchhandel angeboten.

Gegründet haben Albatross Max Christina Wegner, der nach nur zwei Jahren als Geschäftsführer der Tauchnitz Edition gefeuert worden war, und John Holroyd-Reece (geboren als Johann Hermann Rieß), der in Paris einen Verlag gegründet hatte und den manche für einen „Glücksritter“, manche für einen genialen Verleger mit internationalen Beziehungen, manche für einen Mitarbeiter des britischen Geheimdiensts hielten. Als Dritter im Bund kam Kurt Enoch hinzu, der in Hamburg das Pressehaus Enoch, ein Vertriebsunternehmen, leitete und damit zum deutschen Standbein der jungen Firma wurde. Formell war Albatross ein deutsches Unternehmen, da im deutschen Handelsregister eingetragen, finanziert wurde es über eine Luxemburger Dachgesellschaft, gestützt auf den Engländer Sir Edmund Davis, der sein Vermögen mit Kupfer gemacht hatte.

Der neue Verlag trat 1932 zu einem Zeitpunkt in den Markt ein, als der Vorläufer (gegründet 1841) und Konkurrent Tauchnitz wegen finanzieller Schwierigkeiten und Managementfehlern strauchelte, obwohl gerade der 5000. Band der Collection of British Authors (später Collection of British and American Authors) erschienen war und insgesamt mehr als 40 Millionen Exemplare verkauft worden waren. 

Albatross positionierte sich als die modernere, zeitgemäßere Linie, und es gelang dem Verlag in weniger als einem Jahr, aus dem Nichts eine neue Marke zu schaffen –die mit dem Vogel mit den weit ausgebreiteten Schwingen. Gestützt auf 24 Vertreter vor allem in Deutschland, Frankreich und Italien, auffällig durch die moderne Covergestaltung durch Hans Mardersteig, im eleganten Format von 11 x 18 cm und preislich deutlich unter dem Niveau der Konkurrenz, gelang es dem Verlag, sich schnell zu etablieren. In seiner besten Zeit, etwa bis 1939, belieferte das Unternehmen rund 6000 Buchhandlungen in Kontinentaleuropa mit fast 500 Titeln, ein Drittel des Geschäftsvolumens entfiel auf Deutschland.

Michele K. Troy, die an der University of Hartford (USA) lehrt, schildert diese Anfangszeit, aber auch die Folgejahre mit der Verschmelzung mit Tauchnitz, die Probleme unter der nationalsozialistischen Diktatur – Holroyd-Reece und Enoch waren Juden –, die Emigrationssituation im besetzten Frankreich, die Konkurrenz durch den schwedischen Verlag Bonnier und vor allem ab 1935 durch die Penguin Books sowie die Nachkriegsgeschichte bis zum Absturz des Vogels im Jahr 1955 in bester angelsächsischer Sachbuchtradition – romanhaft, bestens recherchiert und ungeheuer faktenreich.

Doch das Buch ist keine Hagiografie der drei im Zentrum stehenden Personen; sie werden pointiert charakterisiert. Über Holroyd-Reece schreibt die Autorin, er habe „in der Liebe wie im Geschäftlichen […] eine bestens eingespielte Amoral“ gepflegt, und zu der Frage der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen System heißt es:

Rückblickend führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass auch das Führungspersonal von Albatross […] seine Instrumente in Goebbels Orchester stimmte, insbesondere indem es sich auf Selbstzensur und verlegerische Kompromisse einließ, um die eigenen wirtschaftlichen und propagandistischen Ziele nicht zu gefährden. Enoch verkaufte Bücher von Albatross und Tauchnitz, wovon die deutsche Wirtschaft noch in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre profitierte, als ihn das Regime aus dem Geschäft ‚arisierte‘. Holroyd-Reece verhandelte bis einen Monat vor Ausbruch des Krieges mit Beamten der Reichsschrifttumskammer. Wegner kaufte Enochs Unternehmen im Zuge ebenjener ‚Arisierungen‘ im Deutschen Reich und klärte später als Wehrmachtsoffizier den Verwalter des feindlichen Albatross-Vermögens über die internationalen Verbindungen der Firma auf.

Wer nur irgendein Interesse an Verlagsgeschichte und Verlagsgeschichten hat, MUSS dieses Buch lesen. Die 534 Seiten einschließlich ausführlichem Anmerkungsapparat und Literaturverzeichnis sind es unbedingt wert.

Titelbild

Michele K. Troy: Die Albatross Connection. Drei Glücksritter und das »Dritte Reich«.
Aus dem Englischen von Herwig Engelmann.
Europa Verlag, Hamburg 2021.
544 Seiten , 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783958903807

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch