Irritierendes literarisches Meisterwerk

In „Pornographie“ umkreist Witold Gombrowicz in meisterlicher Manier die Lust an der Manipulation von Menschen und am Überschreiten moralischer Grenzen

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Witold Gombrowicz gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Polens und ebenso als großer Provokateur wie auch als großer Stilist. Die Hälfte seines Lebens verbrachte er im Exil und starb 1969 als Kosmopolit. Der Schweizer Kampa-Verlag hat jetzt sein Spätwerk Pornographie in neuer Übersetzung herausgebracht – eine wunderbare Gelegenheit zur Wieder- und Neuentdeckung dieses außergewöhnlichen Schriftstellers.

Gombrowicz hat seinen Roman in der Zeit der Besatzung Polens im Zweiten Weltkrieg durch die Deutschen angesiedelt und sein Ich-Erzähler Witold (!) versucht in Warschau sein Leben im Kreise seiner Freunde als „Schriftsteller und Denker“ aufrechtzuerhalten. In seinem Stamm-Café lernt er den schweigsamen und sich vollendet benehmenden Fryderik kennen und ahnt bald, „dass dieses Etwas neben mir […] radikal war, radikal bis zum Wahnsinn. Ja, das war ein Extremist! Unberechenbar extrem!“

Um ein bisschen Abwechslung zu haben und ein paar Geschäfte anzubahnen, fahren die beiden auf das Landgut des mit Witold bekannten Hipolit. „Hier, in dieser steinernen Ewigkeit, in der alles zu sich selber zurückkehrt“, lernen sie auch Hipolits Tochter Henia, die mit einem gut situierten Juristen verlobt ist, und den Knecht Karol kennen. Sie sind elektrisiert von der jugendlich-unschuldigen Erotik zwischen Henia und Karol und beginnen die beiden zu manipulieren und einen Keil zwischen das verlobte Paar zu treiben. Und dann kommt es zu einem unerwarteten fatalen Vorfall, „der in höchstem Maße verwickelt, sonderbar und unheimlich war“ und der tödlich endet.

Witold Gombrowicz hat, wie er selbst anmerkte, Pornographie in der Art eines Provinzromans und in „einer einfachen, sogar naiven Form“ geschrieben. Er zeigt sich dabei als großer Stilist, der mit wenigen existentialistischen Federstrichen, Aussparungen und Andeutungen eine zutiefst abgründige und philosophische Spannung erzeugt.

Der fein komponierte Roman entwickelt sich bald zu einem subtilen Kammerstück, in dem Witold und Fryderik die Lust an der Manipulation von Menschen, an Verrat und Lüge kultivieren. Vor dem Hintergrund der Kriegsereignisse und einer allgemeinen Verrohung wird hierbei auch ihre existentielle Leere und der dunkle Trieb nach jugendlicher Schrankenlosigkeit und Vitalität deutlich. Sie überschreiten dabei alle moralischen Grenzen und werden schließlich mit tödlichen Konsequenzen konfrontiert. Pornographie ist ein literarisches Meisterwerk, das irritiert und beklemmt und den Leser mit vielen Fragezeichen zurücklässt.

Titelbild

Witold Gombrowicz: Pornographie. Roman.
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall.
Kampa Verlag, Zürich 2022.
256 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783311101048

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch