Opulent und weitschweifig

Shahla Ujayli entwirft im Roman „Unser Haus dem Himmel so nah“ ein Kaleidoskop aus persönlichen Erinnerungen und Ereignissen der syrischen Geschichte

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Mittelpunkt des Romans steht die Figur der promovierten Anthropologin Djumana Badran, die einige Parallelen zur Autorin aufweist. Ebenso wie Shahla Ujayli stammt Djumana aus der syrischen Stadt Raqqa und wuchs später in Aleppo auf. Beide flohen vor dem Syrienkrieg nach Jordanien, wo die Autorin an der Universität in Amman lehrt und Djumana eine Stelle bei der deutschen Botschaft innehat. Im Gegensatz zu den Flüchtlingen in den jordanischen Lagern und zu ihrer Familie, die in Raqqa dem Regime des IS ausgesetzt ist, führt Djumana ein finanziell unabhängiges Leben in sicherem Umfeld. Doch das zu genießen fällt ihr schwer – zu groß ist die Sorge um die Lieben, um die Kultur ihrer Heimat und um die politische Lage dort.

Ebenso wie das Haus, das die Familie in Aleppo bewohnte, scheinen die heimatlichen Städte und das ganze Land immer mehr zu „Lost Places“ zu werden, die es in Wirklichkeit nicht mehr gibt. Doch Shahla Ujayli versteht es, diese durch Djumanas Stimme wieder auferstehen zu lassen. In deren Erinnerung leben die Menschen, Gerüche, Geräusche und Farben der Heimat weiter. Dazu trägt auch Nasser bei, den Djumana auf den ersten Seiten des Romans in einem Flugzeug kennenlernt. Genau wie sie wuchs er in Aleppo auf. Wie beim Blättern in alten Fotoalben lassen die Erinnerungen der beiden die Lesenden in einen bunten Reigen an Porträts von Familienmitgliedern, Nachbarn und Bekannten aus rund 100 Jahren syrischer Geschichte eintauchen.

Doch leider bleiben deren Schicksale häufig relativ unverbunden nebeneinander stehen oder werden nur skizzenhaft angedeutet, ohne dass man hier eine Einordnung durch die Protagonistin erfährt. Dabei wäre es überaus interessant zu erfahren, wie sie ihre einstige Begegnung mit dem rumänischen Diktator Nicolae Ceaușescu aus heutigem Blick sieht; was sie fühlt, als sie in einem IS-Ausbilder im Fernsehen einen Cousin wiedererkennt – oder was sie dabei empfindet, dass Onkel Faisal als junger Mann ein Dienstmädchen verführte, welches daraufhin von seiner Familie ermordet wurde. Dies alles bleibt seltsam unvermittelt, ohne in irgendeinen Kontext eingebunden zu werden. Dazu trägt bei, dass wir von den Figuren oft mehr über Äußerlichkeiten als über deren Gefühle erfahren. So legt die Protagonistin offenkundig großen Wert auf ausführliche Schilderungen eleganter Kleidung und sportlicher Körper. Das Innenleben offenbart sich leider aber genauso wenig in den Dialogen zwischen den Figuren, die oft sprachlich hölzern und angestrengt daherkommen.

Das ändert sich auch nicht, als sich der Fokus im 2. Teil des Buches auf die Krebserkrankung der Protagonistin verlagert. Djumana muss sich durch eine lange, schwere Zeit der Chemotherapie und Bestrahlungen kämpfen und mit der eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen. Währenddessen steht ihr Nasser, der längst vom Freund zum Geliebten wurde, zur Seite und unterstützt sie, wo er nur kann. Doch Djumana kann das kaum anerkennen, da sich alles bei ihr nur noch um sich selbst und ihre bedrohliche Krankheit dreht. Tief versinkt sie in ihrem persönlichen Leid und hat für Nasser oft nur Ungeduld aufzubieten. Ihr Schicksal wiegt für sie weit schwerer als alles, was in der Außenwelt um sie herum passiert – sogar das Kriegsgeschehen in Raqqa, was zu einem ungeheuerlichen Ausbruch gegenüber ihrer Schwester führt:

Aber ihr atmet, euer Körper hat genug Kraft, euch an einen anderen Ort zu tragen, vom Wohnzimmer in den Keller zum Beispiel, wo ihr bei Angriffen Schutz suchen könnt. (…) Ich dagegen hätte nicht die Kraft aufzustehen, wenn jemand käme, um mich abzuschlachten, ich könnte mich nur seinem Messer überlassen.

Doch gerade dieser Ausbruch zeigt in seinem unverhohlenen Egoismus, dass hier bei Djumana etwas im Gange ist: Was sie allein durch ihr unabhängiges Leben fernab von der Familie nicht geschafft hat, dazu verhilft ihr die Krankheit. Sie führt sie als ein Akt der Selbstermächtigung aus den Schatten der familiären Bande und der Vergangenheit und ist so ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer selbstbewussten, freien Frau. – Und das versöhnt dann wieder etwas mit den Schwächen und Längen, die der Roman auf dem Weg dahin zu bieten hat.

Titelbild

Shahla Ujayli: Unser Haus dem Himmel so nah. Roman.
Aus dem Arabischen von Christine Battermann.
Kupido Literaturverlag, Köln 2022.
320 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783966750240

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