Flatterhafte Flapper?

Judith Mackrells Band „Die Flapper“ stellt sechs Vertreterinnen des kulturellen Phänomens vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

War im deutschsprachigen Raum vor hundert Jahren allerorten von der Neuen Frau die Rede, so waren im angloamerikanischen die It-Girls und die Flapper in aller Munde. Während sich erstere zumindest als Begriff ins 21. Jahrhundert retten konnten, sind die Flapper weitgehend in den Tiefen der Kultur- und Sozialhistorie versunken.

Nun aber ist ein mit einigen Fotografien ausgestattetes Sachbuch erschienen, das den Begriff im Titel trägt und das kulturelle Phänomen der roaring twenties wieder etwas bekannter machen könnte. Wie die Autorin einräumt, waren die Flapper zwar „nicht die erste Generation in der Geschichte, die nach einem Leben jenseits von Ehe und Mutterschaft strebte“, doch seien sie Angehörige einer „noch nie dagewesene Generation von unverheirateten, unabhängigen Frauen“ gewesen, „die alles daransetzten, selbstbestimmt zu leben“, und dabei „eine enorme subversive Kraft“ entwickelten. Damit habe das „kurzlebige Phänomen“ der Flapper einen „historische[n] Paradigmenwechsel“ ausgelöst, in dem viele eine „gesellschaftliche Bedrohung“ sahen.

Tatsächlich behandelt das Buch allerdings nicht, wie der Titel verspricht, Die Flapper überhaupt, sondern nur sechs damals und heute teilweise immer noch prominente kunstschaffende Frauen, die Mackrell nicht nur den Flappern zurechnet, sondern die ihr zufolge allesamt die „klassische[n] Flapper-Tugenden“ teilten, nämlich „unabhängige, charmante und couragierte Mädchen“ zu sein: Diana Cooper, Nancy Cunard, Tamara de Lempicka, Tallulah Bankhead, Zelda Fitzgerald und Josephine Baker.

In zwölf Kapitel geht die Autorin den Biographien ihrer sechs Protagonistinnen von deren Kindheit bis zum Ende der 1920er Jahre nach. Die ersten sechs Abschnitte widmen sich – nicht immer ganz chronologisch – Kindheit und Jugend jeweils einer der Frauen bis hin zu der Phase ihres Lebens, in der sie sich zur Flapper entwickelte. Die folgenden sechs nehmen wiederum jeweils eine der Protagonistinnen in den Blick, widmen sich nun jedoch deren Flapper-Dasein in den 1920er Jahren. In einem angefügten Epilog wird das weitere Leben aller nach dem Ende „der wilden Zwanziger“ skizziert.

Ungeachtet des von Mackrell konstatierten Flapper-Ideals eines ehe- und kinderfreien Lebens haben es alle der sechs vorgestellten Frauen ein- oder mehrmals „mit der Ehe versucht“. Allerdings konnte nur Diana Cooper „auf Dauer mit den damit verbundenen Kompromissen leben“. Drei von ihnen (Cooper, Lempicka und Fitzgerald) waren zudem Mütter. Josephine Baker wiederum hat sich eine ganze Schar von Adoptivkindern zugelegt.

Die Umstände, unter denen die Frauen ins Leben starteten, waren keineswegs gleich oder auch nur ähnlich. Kindheit und Jugend zumindest von zwei der Frauen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Wurde Diana Cooper als eine Viscountess von Norwich geboren und konnte sich schon in jüngsten Jahren im Licht der höchsten Kreisen der englischen Monarchie sonnen, so erblickt Josephine Baker als uneheliche Tochter der Waschfrau Carrie McDonald in den schwarzen Armenvierteln von St. Louis das dort eher trübe Licht der Welt.

Die Mehrzahl von ihnen kam jedoch aus besser gestellten Verhältnissen. Ähnlich wie diejenigen Coopers gehörten auch Cunards Eltern der englischen High Society an. Bankheads Vater war Sprecher des US-amerikanischen Abgeordneten-Hauses und derjenige von Zelda Fitzgerald immerhin Richter am Supreme Court von Alabama. Nicht ganz so gut hatte es de Lempicka getroffen. Sie wurde zwar in eine besser gestellte Familie Warschaus geboren, doch nahm ihr Leben eine jähe Wendung, als die inzwischen in St. Petersburg verheiratete Frau nach der bolschewistischen Revolution aus Russland fliehen musste. Dabei musste sie einem sadistischen schwedischen Konsul über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt sexuell zu Willen sein, damit er sie mit einem falschen Pass außer Landes brachte.

Gemeinsam war vielen von ihnen zudem, dass sie multitalentiert waren. Reüssierte Cooper als Schauspielerin und Schriftstellerin, so Baker als Tänzerin, Sängerin, Komödiantin und ebenfalls als Schauspielerin. Zelda Fitzgerald war gleichfalls eine begabte Tänzerin, malte zudem und blieb als Schriftstellerin nicht ganz unbekannt. Allerdings wurde sie von Presse und Publikum schon bald, nachdem sie sich 18-jährig in Scott Fitzgerald verliebte und ihn später heiratete, in dessen Schatten gestellt. Bankhead wiederum war ebenso auf den Brettern der Theaterbühnen zu sehen wie auf den Leinwänden der Lichtspielhäuser. De Lempicka brillierte zwar ‚nur’ als Malerin, dafür aber wurde sie in ihrem Metier weltberühmt.

Das künstlerische Schaffen der Frauen kommt bei Mackrell zwar in einiger Ausführlichkeit zur Sprache, doch wird es in seiner Qualität nicht immer angemessen gewürdigt. Immerhin verschweigt die Autorin nicht die geistige und intime Enteignung, die Scott Fitzgerald an seiner Geliebten und späteren Ehefrau beging. Allerdings kleidet Mackrell den Diebstahl in verharmlosende Worte, indem sie schreibt, er habe sich in seinen fiktionalen Werken „ungeniert an ihren Briefen und Tagebüchern bedient“. Tatsächlich ging die Enteignung sogar so weit, dass Scott Fitzgerald ihre kurze Erzählung Our Own Movie Queen in der Chicago Tribune 1925 unter seinem Namen veröffentlichte, „weil dieser“ wie Mackrell den Vorgang rechtfertigend meint, „natürlich ungleich mehr Zugkraft hatte“.

Cunard wiederum habe zwar „hart“ und mit „schriftstellerische[r] Disziplin“ an ihren Gedichten gearbeitet, doch sei sie „im Vergleich zu [Scott] Fitzgerald, Hemingway und Pound“ nichts weiter als „eine privilegierte Dilettantin“ gewesen, wie sie selbst sehr wohl gewusst habe. Der großartigen Malerin Tamara de Lempicka bescheinigt die Autorin, ein zwar „gottgegebenes“, allerdings nur „amateurhafte[s] Maltalent“ besessen zu haben. Ansonsten sind Mackrells Auslassungen zu de Lempickas Kunst(fertigkeit) nicht immer ganz widerspruchsfrei. So berichtet die Biographin einerseits, de Lempicka habe „schon als Mädchen sowohl in Russland wie im Ausland Malunterricht“ bekommen, andererseits spricht sie davon, dass die Künstlerin bis ins Jahr 1922 „nicht einmal zwei Jahre Ausbildung“ als Malerin genossen habe. Dass ihre Bilder in diesem Jahr dennoch „für den Salon d’Automne angenommen“ wurden, erklärt Mackrell denn auch nicht mit der Qualität von de Lempickas Bildern, sondern damit, „dass Freunde von ihr in der Jury saßen“. Überhaupt hat de Lempicka ihren künstlerischen Erfolg bei Mackrell nicht etwa ihrem Talent, ihren künstlerischen Fähigkeiten und Kunstfertigkeit zu verdanken, sondern schlicht den Zeitumständen. Es seien die zwanziger Jahre gewesen, die ihr „einen Stil, ein Thema und einen Markt geboten“ haben, so dass „[i]hre Malerei […] als beispielloses Register des Zeitgeists“ dienen konnte. „In den folgenden Jahrzehnten“ habe de Lempicka denn auch nur noch „meist kitschig[e], sentimental[e] oder krude“ Werke zustande gebracht.

Mehr als für die jeweilige künstlerische oder schriftstellerische Tätigkeit ihrer Protagonistinnen interessiert sich die Autorin für die jeweilige Persönlichkeit der Frauen, ihr Auftreten, ihr Image und ihre Liebschaften. Bankhead etwa sei als Kind eine „emotionale Windmühle“ gewesen, „die stets unter vollen Segeln stand“, habe aus nichtigem Anlass zu weinen angefangen, und sei „rabiat“ geworden, wenn sie wütend war. Kurz: Sie sei ein „Problemkind“ mit ausgeprägtem „Geltungsdrang“ gewesen. Später habe sie sich dann „zu einer Schönheit zurechtgehungert“.

Über Cunard wiederum ist zu lesen, sie sei eine „kompromisslose Schönheit“ von „markante[r] Erscheinung“, aber auch „verblüffend gebildet“ und damit eine „der klügsten und gestyltesten Vertreterinnen des neuen Flapper-Jahrzehnts“ gewesen. Sie habe sogar so sehr auf ihre Außenwirkung geachtet, dass es „kaum ein Foto von ihr [gibt], auf dem sie ihr Image nicht völlig unter Kontrolle hatte“.

De Lempicka sei von „zornerfüllte[m] Perfektionismus“ besessen, jedoch „wenig empathiefähig“ gewesen und habe in jungen Jahren nur „halbgare Vorstellungen vom eigenen Leben“ gehabt. Nach dem Tod der Frau des Barons Raoul Kuffner 1934 habe sie „keine Zeit verloren“, „sich ihn und sein Vermögen zu angeln“.

Josephine Baker sei mit ihrem „Image als dunkel glänzende, exotische Schönheit […] als kulturelles Phänomen bejubelt“ worden, sodass es nicht lange gedauert habe, bis „ihre Starallüren geradezu groteske Züge an[nahmen]“. Schon vor ihrer Pubertät hat sie sich der Autorin zufolge „erschreckend erwachsen für ihr Alter [benommen] – stöberte in Mülltonnen nach Essen, stibitze Geld und schwänzte die Schule –, aber mit der Pubertät fing Josephine an, [sic] zu rebellieren“. Über Bakers jahrzehntelanges antirassistisches Engagement urteilt Mackrell mit den Worten: „Dass es Josephine mitunter schwerfiel, die Welt um sich herum korrekt zu deuten, hatte auch damit zu tun, dass ihr Leben als gefeierter Star einer Art Märchenlogik gehorchte“.

Zelda Fitzgerald schließlich sei „hübsch, verwöhnt, stinkfaul“ gewesen und habe es sich im Übrigen bei der Geburt ihrer Tochter „nicht nehmen [lassen], im Kreissaal eine kleine Show abzuziehen“, nachdem ihr Mann während ihrer Schwangerschaft schäbig genug gewesen war, „Witze über ihre Figur zu reißen“. Tamara de Lempicka wurde von ihrem eifersüchtigen ersten Ehemann Tadeusz Julian Junosza Lempicki sogar öfter verprügelt. Doch nicht seine Gewalttätigkeit ihr gegenüber „gefährdete die Beziehung“, sondern „ihre Karriere“, urteilt Mackrell. Zumal Tamara de Lempicka sich auch noch „zunehmend wie der Herr im Haus [verhalten]“ habe. Doch immerhin habe die Malerin trotz ihrer „rücksichtslose[n] Fokussierung“ auf ihre Kunst versucht, „ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter weiterhin nachzukommen“, wie die Autorin ganz ohne distanzierende Anführungszeichen schreibt. Immerhin gehörte zu den ‚Pflichten’ einer Ehefrau, sich von dem angetrauten Mann vergewaltigen zu lassen, wann immer ihm danach war.

Nicht nur die Ehen der sechs Flapper und ihre Zwistigkeiten nehmen in dem vorliegenden Band breiten Raum ein, sondern auch die Partys, auf denen sich die Frauen austobten, und die Ausschweifungen, die sie sich erlaubten. Die Autorin schreckt dabei auch nicht davor zurück, Gerüchte und Klatsch zu kolportieren. So etwa, wenn sie über Zelda Fitzgerald schreibt: „Es hieß, sie sei einmal voll bekleidet in den Brunnen am Union Square gesprungen und würde ihre Gäste am liebsten nackt in der Badewanne empfangen.“

Mehr als alles andere scheint Mackrell sich jedoch für das Sexualleben und die sexuellen Gepflogenheiten (nicht nur) ihrer Protagonistinnen zu interessieren. So dröselt sie beispielsweise das Beziehungsgeflecht einer „internationale[n] Lesbenclique“ auf. Der Sexualität ihrer Protagonistinnen widmet sich die Autorin jedoch mit besonderer Vorliebe. So erklärt sie etwa, welche der Frauen einen besonders großen „Männerverschleiß“ hatte, spekuliert darüber, wer „das eine oder andere Mal miteinander [schlief]“ und welche der Frauen „unfreiwillig erste sexuelle Erfahrungen gemacht zu haben [scheinen]“. Auch kolportiert Mackrell unter Berufung auf eine „ungenannte Quelle“, wessen „Spezialität“ „Sex zu dritt“ gewesen sei und für wen „sexuelle Begegnungen […] umso befreiender wirkten“, „[j]e schmutziger und gefährlicher“ sie waren. Des Weiteren will sie wissen, wer „sich mit verbissener Vergnügungssucht in jedes sexuelle Abenteuer [stürzte]“ und hinter wessen „geschäftsmäßige[r] Abwicklung ihrer Liebesaffären [sich] ein kompliziertes Verhältnis zum Sex [verbarg]“.

Auch zögert die Autorin nicht, tatsächliche oder angebliche intime Details zum Besten zu geben. So schreibt sie über eine der sechs Protagonistinnen, sie sei „nicht so leicht zum Orgasmus [gekommen], um überhaupt sexuell erregt zu werden, musste sie ein gewisses Maß an Schmerz empfinden“, was Mackrell wiederum mit der „Vorliebe“ der betreffenden Frau „für anale Penetration“ in Verbindung bringt. Dabei geht sie soweit, dass die Lektüre manchmal an pornographisch angehauchte Schlüssellochliteratur erinnert.

Auch in anderer Hinsicht sind manche von Mackrells Darstellungen und Formulierungen nicht unproblematisch. So schreibt sie etwa, eine junge Frau habe sich „ihre Jungfräulichkeit […] nehmen lassen“. Dass sie im Vorwort erklärt, sie habe „im Sinne des Zeitgeistes und der Epochentreue“ den „Sprachgebrauch der 1920er Jahre […] teilweise bei[.]behalten“, obwohl er „weit entfernt von der politischen Korrektheit unsere Tage“ sei, macht es nicht besser, zumal sie die sechs Frauen, ihre Charaktere und Eigenheiten sowie überhaupt ihr Leben und Wirken oft mit einem pejorativen Zungenschlag beschreibt. Und woher will sie wissen, dass Cunard „von Natur aus aufbrausend und streitlustig“ [Herv. R.L.] war? Auch bemüht die Autorin ein ums andere Mal das selbst in der Ethologie längst obsolete Konzept des Instinkts. Nicht nur, dass Männern „Beschützerinstinkte“ zugesprochen werden und „Eifersucht“ die „Instinkte“ von Frauen „schärft“; de Lempicka traf laut Mackrell sogar „[d]ank ihres Instinkts für das Modische […] den kommerziellen Zeitgeschmack“ . Mehr noch, „[i]hr Instinkt sagte ihr, dass es besser wäre, sich außerhalb der überfüllten Pariser Kunstszene umzusehen“. Die Beispiele ließen sich leicht erweitern.

Zuletzt sei noch eine Formalie moniert: Der Personenindex ist lückenhaft. So werden zwar zwei beiläufige Erwähnungen der Schriftstellerin und Salonière Natalie Clifford Barney verzeichnet, nicht aber eine längere Passage, in der sich die Autorin über vier Seiten hinweg über „Natalies Sexualität“ ausbreitet.

Die „Forderungen“ und „Kämpfe“ der sechs vorgestellten Frauen sind „auch heute noch aktuell und setzen einen Standard, an dem sich unsere eigenen Errungenschaften messen lassen“, so lautet zumindest Mackrells Fazit. Das mag so sein oder auch nicht. Ihr Buch jedenfalls vermag das nicht zu zeigen. Denn dazu werden die Frauen allzu negativ dargestellt.

Titelbild

Judith Mackrell: Die Flapper. Rebellinnen der wilden Zwanziger.
Aus dem Englischen von Susanne Hornfleck und Viola Siegemund.
Insel Verlag, Berlin 2022.
700 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783458642909

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