Detektivische Suche nach dem verschollenen Klimt

In „Waldinneres“ von Mónica Subietas gibt es viel Aufsehen um ein wiederentdecktes Bild, das ein dunkles Kapitel der Vergangenheit öffnet und in der Gegenwart zu Missetaten führt

Von Anna HennesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Hennes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viel Dramatik, Spannung und ein verworrenes Beziehungsgeflecht, das bis in die NS-Zeit reicht. Im Mittelpunkt des Romans von Mónica Subietas steht ein Bild, das auch dem Text seinen Namen gab: Waldinneres von Gustav Klimt. Der:die aufmerksame Leser:in wird allerdings schnell merken, dass jenes Bild seinem Besitzer kein Glück bringt, denn es steht in Zusammenhang mit Suizid, Flucht, Verlust und am Ende sogar Mord.

Es erinnert sehr an die Thematik, die Oscar Wilde in seinem Meisterwerk The Picture of Dorian Gray schafft, ein Kunstwerk, das seinem Besitzer zum schicksalshaften Verhängnis wird – ihn und sein Umfeld ins Unglück stürzt. Da hört aber auch schon die Verbindung zu Wilde auf.

Unlogisch erscheint, dass der Jude Jakob Sander seine Frau samt Kind im Stich ließ, statt sie im Jahr 1942 auf der Flucht vor den Nazis zu begleiten. Er hat das Vorhaben, erst noch seine Kunstsammlung in Sicherheit zu bringen. Mit nimmt er nur ein Bild: „Wo auch immer er hinging, Waldinneres würde ihn begleiten.“

Kritikwürdig ist, dass die Fluchtthematik und der geschichtliche Rahmen des Nationalsozialismus so wirkt, als seien es nur Stilmittel der Dramatik, um Spannung aufzubauen, die aber ansonsten oberflächlich gehalten sind. Es wird danach im Verlauf des Romans nicht mehr viel auf die Zeit und Hintergründe eingegangen, die NS-Thematik wirkt wie ein Rahmen, der die Handlung des Romans umspannt und ihr Form gibt, mit der eigentlichen Geschichte aber nur sehr oberflächlich etwas zu tun hat. Was der Kunstsammler Jacob Sandler auf seiner Flucht erlebt und warum diese vier Jahre dauert, bleibt bis zum Schluss unklar.

Leider ist dieses Vorgehen immer wieder bei zeitgenössischen Werken festzustellen, große Themen dienen als Leitfäden der Handlung, die Geschichte geht aber nicht in die Tiefe der Themen und diese werden im Verlauf der Werke nicht weiter ausgeführt.

Dem:der Leser:in wird damit suggeriert, sich mit weltgeschichtlich Relevantem oder anspruchsvollen Themen auseinanderzusetzen, wobei der eigentliche Inhalt meist recht profan bleibt. Diese Art der Geschichten bleiben für das Publikum Wohlfühlliteratur, ohne sich zu sehr mit unangenehmen Themen auseinandersetzen zu müssen. Der Roman ist mit diversen Schicksalsschlägen der Figuren versehen, die meisten davon liegen in der Vergangenheit, weshalb ihnen nicht viel Erzählzeit zufällt. Sie scheinen nur der Sympathielenkung zu dienen und wirken konstruiert, vor allem, weil jede Figur eine leidvolle Erfahrung aufweist. Die Autorin macht es sich zu leicht: Die Figur muss dadurch nicht kunstvoll beschrieben und aufgebaut werden, sondern sie erhält einfach das jeweilige Schicksal, welches sie als Figur charakterisiert.

Mónica Subietas Debütroman ist trotz der vielen Zeitsprünge und Figurenneueinführungen sowie Perspektivwechseln teilweise recht vorhersehbar. So taucht in der Gegenwart 2010 ein Schließfach in Zürich auf, das ein Tor in die Vergangenheit symbolisiert – es wird von einem flüchtigen Juden und seiner Kunstsammlung erzählt und dem Bild Waldinneres.

Die:der aufmerksame Leser:in wird sich hier wahrscheinlich schon denken, dass der sich vor 70 Jahren auf der Flucht befindende Mann und sein Bild etwas mit dem Inhalt des Schließfachs zu tun haben. Dennoch, der Spannungsaufbau ist gelungen, die wechselnden Perspektiven und zeitlichen Sprünge machen neugierig, wie alles miteinander zusammenhängt, die sehr kurzen Kapitel steigern den Lesefluss.

Die eigentliche Handlung des Romans beginnt in der erzählten Gegenwart, 2010, mit der Spurensuche nach dem geheimnisvollen Besitzer des Bildes, denn Protagonist Gottfried, der Besitzer des Schließfaches, ist es nicht. Seine Aufgabe ist es, den Besitzer ausfindig zu machen. Gottfried wird als wortkarger Mann inszeniert, der gezeichnet und gebeutelt ist vom Leben. Der Vater beging Suizid, die Mutter verstarb plötzlich an seinem 20. Geburtstag und seine einstige Familie, Sohn Antonio und Frau Gloria, mit denen er als Weltenbummler in der dominikanischen Republik lebte, wurden von einem Lastwagen erfasst und getötet. Diese Figur ist mit nicht wenig Bedeutung ausgestattet, insofern sie als Pechvogel das Unglück förmlich anzuziehen scheint, dem einen oder der anderen könnte das womöglich zu pathetisch erscheinen. Es wirkt so, als solle die Figur mit allen Mitteln interessant gemacht werden. Zu guter Letzt kehrt er nach einigen weiteren Jahren des Vagabundenlebens zurück in seine Heimat, die Schweiz, und eröffnet dort ein szenisches Café, das Kafi Glück, als Hommage an seine verstorbene Familie.

Das Kafi Glück wird zum Haupthandlungsort, da die Hauptfigur Gottfried die meiste Zeit seines Alltags dort verbringt und die restlichen Figuren aus der erzählten Gegenwart ebenfalls auf verschiedene Art und Weise mit dem Kafi Glück verbunden sind. Außerdem hängt Gottfried das Bild aus dem Schließfach, Waldinneres, dessen Besitzer er eigentlich ausfindig machen soll, im Kafi Glück auf. Das Schweizer Schließfach, in dem das Bild viele Jahre lag, gehörte seinem verstorben Vater, der es ihm vermachte, Gottfried konnte von der Bank als rechtmäßiger Erbe erst 2010 ermittelt werden. Es entsteht ein Tumult, jemand erkennt es wieder, außerdem ist es noch als Raubkunst gelistet. Gottfried überlässt mit diesem Akt das Schicksal des Bildes sich selbst, denn er selbst verliert sich nicht in Aktionismus, um den wirklichen Besitzer zu finden. Er scheint ja auch ein wenig kommunikativer Mensch zu sein. Es stellt sich die Frage, wer ein offensichtlich wertvolles Originalkunstwerk in einem Café aufhängt. In den meisten Cafés werden weitaus weniger wertvolle Gegenstände von der Kundschaft mitgehen gelassen. Solche logischen Fehler treten ein um das andere Mal auf, was wirklich schade ist. Dass es tatsächlich keine gute Idee war, das Kunstwerk aufzuhängen, wird auch aus der Geschichte sichtbar, Gottfried wird kurze Zeit später bedroht. Warum er bedroht wird, erscheint ebenfalls zunächst nicht ganz logisch und das bleibt es auch, denn warum der eigentliche Besitzer nicht direkt mit Gottfried in Kontakt tritt, ist bis zum Ende rätselhaft, da sich beide kennen. Eine mysteriöse Drohung ist natürlich bezogen auf die Klimax spannender als ein gelungener kommunikativer Akt zwischen zwei erwachsenen Männern.

Wer jetzt noch herausfinden möchte, wer der gegenwärtige Besitzer des Bildes ist und ob das Bild zu ihm zurückfindet, welche Dramen sich daraus ergeben, dem oder der rate ich, den Roman zu Ende zu lesen, denn spannend, unterhaltend und kurzweilig ist er freilich.

Titelbild

Mónica Subietas: Waldinneres. Roman.
Aus dem Spanischen von Lisa Grüneisen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2022.
256 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103970838

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