Wenn Zahlen die Welt erklären, wer erklärt dann die Zahlen?

Ein flott geschriebenes, aber leider ob unzureichender Literaturrecherche und fehlender Methodenkenntnis nicht vollends überzeugendes Buch zur kritischen Lektüre von Statistiken und Diagrammen legt Tin Fischer mit „Linke Daten, Rechte Daten“ vor

Von Martin JandaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Janda

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Statistiken lassen sich vereinfacht als Ergebnisse der Erfassung und Zuordnung von quantitativen Ausprägungen zu festgelegten qualitativen Kategorien bezeichnen, die einen komplexitätsreduzierten Blick auf eine schwer erfassbare Umwelt ermöglichen sollen. Zwar impliziert das Abzählen und die Verwendung mathematischer Formeln eine höchstmögliche Objektivität – und damit einhergehend eindeutige Faktizität –, doch darauf, dass dies nicht zwangsläufig der Fall sein muss, möchte Tin Fischer mit seinem Buch Linke Daten, Rechte Daten hinweisen.

Fischer studierte Nordamerikanische Geschichte, bezeichnet sich als Datenjournalist und interessiert sich für die Entstehungsbedingungen von Statistiken: Wie werden Daten erfasst, welche Kategorien finden Verwendung, welches Weltbild liegt diesen Kategorien zugrunde und daran anknüpfend: Welche Absicht verfolgen die Autoren einer Statistik – und wer soll schließlich mit den Statistiken bedient werden? In vier Kapiteln zu Gesundheit, Gewaltkriminalität, Finanzen und Ökologie greift sich Fischer jeweils ein thematisch passendes Diagramm oder eine Statistik größerer Popularität heraus, um an diesem oder 
dieser ideologische Probleme von Statistiken zu erörtern und eine neue Lektüreweise anzubieten.

Der Einstieg in sein Buch gelingt Fischer auf charmante Weise, indem er an die de Saint-Exupérys Der kleine Prinz einleitende Zeichnung erinnert: Für die einen ist die arg schlichte Zeichnung ein Hut, für die anderen ist es eine Schlange, die einen Elefanten verschlungen hat. Zum einen versinnbildlicht diese Reminiszenz nicht nur, dass ein und derselbe Anblick völlig unterschiedliche Interpretationen hervorrufen kann. Zum anderen ist dieser Einstieg clever, da er hieran den Kontrast zweier statistischer Diagramme erarbeitet, die eben eine gewisse visuelle Ähnlichkeit zu den beiden Tieren des kleinen Prinzen haben: das bekannte Elefantendiagramm von Branko Milanović und das weniger bekannte, an eine sich aufbäumende Kobra erinnernde Diagramm von Muheed Jamaldeen – beide Diagramme bilden die Einkommenssteigerung verschiedener globaler Einkommensgruppen zwischen 1988 und 2008 ab. Zwar beruhen sie auf denselben Daten, doch während sich aus Milanovićs lediglich ablesen lässt, in welchem prozentualen Verhältnis sich besonders die niedrigen und mittleren Einkommensgruppen verbessert haben, erhält man einen deutlicheren Einblick in diese Verbesserungen durch Jamaldeens absolute Zahlen. Die teils recht hohen prozentualen Steigerungen kaschieren nämlich, dass die absolute und für die meisten Personen vermutlich relevantere Steigerung doch eher als gering zu betrachten ist. Denn eine Person mit beispielsweise einem Einkommen von nur einem Euro wird selbst nach einer hundertprozentigen Steigerung auf zwei Euro weniger finanzielle Befriedigung empfinden als eine Person, deren ohnehin schon ordentliches Auskommen von 100.000 Euro um lediglich einen Prozent – also 1.000 Euro – gesteigert wird.

Geld markiert dann auch den Auftakt ins erste thematische Kapitel zu Gesundheitsstatistiken. Fischer bürstet die von Wirtschaftsliberalen gern als Beweis für einen möglichst unreglementierten Markt herangezogenen historisch fast parallel ansteigenden Kurven von Wirtschaftswachstum und Lebenswertwartung gehörig gegen den Strich. Denn Wirtschaftswachstum habe nicht den bedeutsamen Effekt auf die Lebenserwartung, wie es die Kurven andeuteten: Vielmehr seien es politische Maßnahmen für die öffentliche Hygiene – ein für den freien Markt nicht besonders attraktives Feld –, die die Gesundheit verbesserten und damit das Leben besonders in den entstehenden industrialisierten Ballungsgebieten verlängerten. Hier erweist sich Fischer in der korrekten Einordnung von zeitlichen Datenverläufen in den historischen Kontext als geeigneter Analyst von vermeintlich Kausalitäten indizierenden chronologischen Korrelationen. Dass Fischers eigene Kausalerklärung ebenfalls auf chronologischer Korrelation basiert, aber theoretisch schlüssiger abgeleitet ist, und dass ein nicht nur für die Unternehmenseigner höheren Wohlstand implizierendes Wirtschaftwachstum auch einen gewissen Anteil an der gesteigerten gemittelten Lebenserwartung haben dürfte, ist ein weiteres Stück im Bild dieser komplexen Zusammenhänge, da wirtschaftlicher Wohlstand unter anderem auch die Möglichkeit zu gesünderer Ernährung eröffnet.

Neben kritikwürdigen Interpretationen konstruierter Kausalzusammenhänge arbeitet Fischer aber auch die Probleme fehlender Präzision in der Datenerhebung hervor, wenn praktische Kategorien unberücksichtigt bleiben. So wurde lange Zeit in der Automobilindustrie die Kategorie Frau mit ihrer im statistischen Mittel niedrigeren Körperhöhe und weniger ausgeprägten Nackenmuskulatur in Form eines eigenen Crashtest-Dummies nicht berücksichtigt, was konsequenterweise zu Gefahren bei Verkehrsunfällen führt, denen sich der statistisch gemittelte Mann nicht ausgesetzt sieht. Auch die offensichtlich bewusste Instrumentalisierung fehlerhafter statistischer Annahmen in Bezug auf das Rauchen – die Tabakindustrie ließ gehörig mit vermeintlich wissenschaftlich validen Daten für das Rauchen werben – finden ebenso Platz in Fischers Buch wie die manipulative Umetikettierung von Marihuana in medizinisches Marihuana, wenn in Meinungsumfragen auf eine erhöhte Akzeptanz in der Bevölkerung bezüglich der Legalisierung von Marihuana gedrungen werden möchte.

Obwohl Fischer diverse Problematiken von Diagrammen und Statistiken zu beleuchten weiß, hinterlässt sein Buch nichtsdestotrotz ein gewisses Geschmäckle. Denn Fischer weist einen eklatanten Mangel auf: ein echtes Verständnis für Statistik als Lehre von Massenerhebungen und den damit verbundenen schlussfolgernden mathematischen Prozessen. Dies deutet sich bereits an, wenn er zwar Darrell Huff mit seinem „Correlation does not imply causation“ zitiert, um dann aber über das berühmte Beispiel der Scheinkorrelation von Geburtenrate und Nistplätzen von Störchen dies zu schreiben:

Die Kausalität könnte auch von einem dritten Faktor ausgehen. Dann wäre also nur eine Scheinkorrelation gegeben (die aber eigentlich Scheinkausalität heißen müsste).

Diese sehr kurze Passage ist in doppelter Hinsicht sehr ärgerlich: Zum einen ist sie fachlich falsch, denn Korrelationen implizieren niemals Kausalität. Folglich kann auch eine Scheinkorrelation niemals eine Scheinkausalität implizieren. Korrelationen weisen als statistische Zusammenhangswerte bestenfalls auf die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zweier Variablen hin. Die Kausalität einer Korrelation lässt sich nur hypothetisieren, nicht jedoch mathematisch ableiten. Um die kausale Verbindung zweier Variablen und deren kausale Richtung nachzuweisen, wäre eine experimentelle Manipulation vonnöten, um den Einfluss einer Variablen auf die andere zu ermitteln.

Zum anderen deutet eben erwähnte Text-Passage auf eine bedenkliche Art der Recherche hin. Denn im Wikipedia-Artikel „Korrelation“ (Stand: 6.9.2022) findet sich eine Passage – auch hier wird das Geburten-Storchnistplätze-Beispiel erörtert –, die textlich sehr große Ähnlichkeit aufweist (man vergleiche besonders die Klammersetzung am Ende beider Passagen):

In den ersten beiden Beispielen hängen die jeweiligen Messgrößen über eine dritte Größe ursächlich zusammen. […] Korrelationen dieser Art werden etwas mißverständlich [sic!] Scheinkorrelationen genannt (eigentlich handelt es sich um Schein-Kausalitäten).

Weshalb hier ganz offensichtlich statt eines Statistik-Lehrbuchs ausgerechnet ein Wikipedia-Artikel als (zudem unbenannte) Quelle herhalten muss, ist fragwürdig. Fundiertere (und vor allem korrekte) Kenntnisse wären bei ähnlich kurzer Recherche-Zeit im Spektrum-Lexikon für Psychologie – ebenfalls online verfügbar – zu finden gewesen.

Richtig haarsträubend wird es jedoch, wenn sich Fischer in die statistischen Untiefen der Intelligenzforschung, einem beliebten Feld der Psychologie, wagt: Unbeholfen, ja hilflos müht er sich an einem Streudiagramm aus Jay Zagorskys Studie (Intelligence) zum statistischen Zusammenhang von Intelligenzquotient (IQ) und Gehalt ab, um abschließend festzuhalten: Die Datenpunkte seien so sehr über das Koordinatensystem verstreut, dass „die Tendenz [dass die Höhe des IQ mit der Höhe des Gehalts steigt; M.J.] fast jede Aussagekraft verliert“. Offensichtlich versteht Fischer nicht nur nicht, wie eine Korrelation berechnet wird, sondern auch nicht, was sie bedeutet. Dass selbst bei einer hohen positiven, nicht vollständigen Korrelation von IQ und Gehalt auch Personen mit weniger hohem IQ ein ordentliches so wie Personen mit hohem IQ ein niedriges Gehalt aufweisen können, scheint Fischer nicht verständlich zu sein.

Da sich Fischer aber offensichtlich bewusst ist, sich hier auf für ihn glattem Eis zu bewegen, wird darüber hinaus die Intelligenzforschung als solches in ein fragwürdiges Licht gestellt. So erweisen sich die eingestreuten Fetzen eines Interviews mit Elsbeth Stern – ihres Zeichens Psychologieprofessorin und Intelligenzforscherin –, das er anscheinend für dieses Buch geführt 
hat, eher als Nachweis für eine nicht besonders selbstbewusst hinter ihrem eigenen Forschungsgegenstand stehende Person. Zudem werden Sterns Aussagen noch durch fragwürdige Assoziationen negativ gerahmt werden. Denn zwar bezeichnet Fischer Sterns Definition von ob ihrer Intelligenz beruflich erfolgreicher Personen richtigerweise als vage – ‚tolpatschig‘ träfe es tatsächlich sogar besser. Doch Sterns definitorisches Kriterium der Kreativität und die laut ihr in Intelligenztests gut abschneidenden Berufsgruppen von Buchhaltern und Rechnungsprüfern in der Assoziation der Kreativen Buchführung als 
Synonym für Betrug zusammenzugießen (S. 160), mag von Fischer humoristisch intendiert gewesen sein, lässt sich aber ebenso als eine im Dienste der Nobilitierung verbrecherischen Handelns stehende Intelligenzforschung lesen.Dass eine solche Lesart Ressentiments gegen die Intelligenzforschung fördert, sollte Fischer klar sein.

Um die vermeintliche Zweifelhaftigkeit der Intelligenzforschung zu untermauern, werden Angela Saini und Taleb Nassim herangezogen. Erstere wird als Kronzeugin gegen die Erblichkeit von Intelligenz herangezogen: So sei nach Saini die Erblichkeit von Intelligenz „eines der kontroversesten Themen der Humanbiologie“, da unter statistischer Kontrolle sozioökonomischer Faktoren der genetische Einfluss auf die Intelligenz praktisch ausradiert würde, Intelligenz also nahezu ausschließlich auf Umweltfaktoren zurückzuführen sei. Da Saini selbst keine Humanbiologin oder Intelligenzforscherin ist, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Aussagen von Interviewpartnern in ihrem Buch Superior handelt, die bedauerlicherweise intransparent in Fischers Zitation namentlich nicht wiedergegeben werden.

Als zweiter Experte gegen die Intelligenzforschung wird Taleb Nassim herangezogen, der mit seinen durchaus an Überheblichkeit und Polemik gegen Kollegen wetternden Ausschweifungen – eindrucksvoll nachzulesen in seinem Essay IQ is largely a pseudoscientific swindle – bezüglich der statistischen Unzulänglichkeiten in der Intelligenzforschung nicht gerade ein Paradebeispiel wissenschaftlicher Distanziertheit darstellt. Dass die in besagtem Essay aufgestellten steilen statistischen Thesen von Jonatan Pallesen in seinem trotz dessen Argumentationsstärke erschreckend einfallslos betitelten Paper Taleb is wrong about IQ (2019) deutlich nüchterner behandelt und sachlich widerlegt wurden, scheint Fischer während seiner Recherche entweder nicht entdeckt oder sich nicht dafür interessiert zu haben.

Fischer fährt also einiges an Geschütz auf, um die Intelligenzforschung als mindestens fragwürdige Disziplin dastehen zu lassen. Ohne Zweifel gibt es durchaus kritische Punkte an der Beforschung menschlicher Intelligenz: Beispielsweise, dass es sich bei Intelligenztests um Leistungstests handelt – es geht folglich nicht einfach darum, lediglich eine Aufgabe zu lösen, sondern sie in einer bestimmten Zeit zu lösen. Intelligenz ist damit korreliert mit Verarbeitungsgeschwindigkeit. Auch sind die meisten Tests freilich auf eine westlich industrialisierte Welt ausgerichtet: Ob abstraktes und logisch-mathematisches Denken jedoch in Kulturen, die weniger auf derartige mentale Kapriolen fixiert sind, praktisch sind oder gar als intelligent anzusehen sein mögen, lässt sich streiten.Auf diese potenziell strittigen Punkte geht Fischer leider jedoch gar nicht ein. Stattdessen lässt er die biologisch und psychologisch gesicherten Erkenntnisse zur Erblichkeit von Intelligenz und dem IQ als guten Prädiktor für den als Höhe des Gehalts operationalisierten Berufserfolg im Rauschen seiner Gegenargumentation aus ausschließlich anderen Forschungsdisziplinen untergehen.

Warum ist es Fischer also wichtig, die Intelligenzforschung so überkritisch zu beleuchten? Weil er darauf hinarbeitet, die Verteilung von Intelligenz in den Bevölkerungen verschiedener Länder und die daraus von gewissen Personengruppen gezogenen biologistischen Schlüsse zu Recht in Frage zu stellen. Hierfür hätte es jedoch schlicht gereicht, auf die Methode des Hochrechnens nationaler IQ anhand vermutlich nicht ausreichender Daten hinzuweisen. Mit dieser simplen Antwort ließe sich nun selbstkritisch fragen: Warum ist dem Autor dieser Rezension so sehr daran gelegen und beleuchtet dieses nicht bedeutsamere Kapitel des Buchs so überkritisch?

Um diese Frage zu beantworten, soll kurz der Kontrast des IQ-Kapitels mit dem Kapitel zum Klimawandel hergestellt werden. Während Fischer, wie bereits gezeigt, einiges an Kritik an der Intelligenzforschung ins Felde führt, wird mit Kritik an der Forschung am menschgemachten Klimawandel sehr nachlässig umgegangen. Beim IQ hat Fischer ein Problem mit den methodischen Grundlagen und den Berechnungen – die Modellierungen der Temperaturentwicklung sind für Fischer aber völlig unhinterfragt als valide anzunehmen, Kritik an den Methoden der Klimaforscher, die den menschgemachten Klimawandel bestätigen, werden nahezu undiskutiert weggewischt. Diesem Diktum der unbestreitbaren Wahrheit folgend geht Fischer sogar so weit, dass er dem entsprechenden Kapitel voranstellt, dass der menschgemachte Klimawandel nicht ernsthaft angezweifelt werden könne. Tatsächlich wäre aber in der kritischen Würdigung, in der Fischer zuvor die Intelligenzforschung behandelt hat, der Klimawandel durchaus anzuzweifeln. Denn der kontinuierliche Anstieg der gemittelten Temperatur in den letzten 150 Jahren sollte nach Fischers Logik nicht zwangsläufig eine Extrapolation geschweige denn eine Kausalität gestatten. Denn dass Temperaturanstieg und Anstieg der CO2-Konzentration auch nur korrelativ auf die durch den Menschen Gemachtheit hindeutet, übersieht er geflissentlich. Auch wenn es momentan zwar die plausibelste Erklärung ist, zumal die Treibhausgase freisetzenden Eigenschaften von CO2 auf die den Planeten erwärmende Dynamik hinweisen, so handelt es sich hierbei eben um keinen experimentellen Beweis. Damit sei gesagt, dass Fischer eben kein ambivalentes Verhältnis zu den mathematischen Methoden hat, sondern sich offensichtlich in der kritischen Würdigung unterschiedlicher Forschungsdisziplinen an verschiedenen Standards orientiert.

Fischer demonstriert also mit seinem eigenen Buch das, was er bei den vorgestellten Diagrammen und Statistiken im Verdacht hat: einen blinden Fleck beziehunsgweise eine Voreingenommenheit in der Welterfassung, die auf eine ideologische Prägung hinzudeuten scheinen. Wenn Fischer also eingangs seines Buchs die Absichten der Autoren offenlegen will, um damit den Zweck deren Statistiken und das mit ihnen vermeintlich angepeilte Publikum identifizieren möchte, deutet das auf die Vermutung einer bewussten Konstruktion einer ‚verdateten‘ Erzählung und damit einer mehr oder weniger verdeckten Manipulation hin. Und so impliziert auch der Untertitel des Buchs – Warum wir nur das sehen, was wir sehen wollen – neben dem psychologischen einen ideologischen Aspekt in den Statistiken und Diagrammen. Dass aber diese blinden Flecken und Voreingenommenheiten nicht zwangsläufig in eine bewusste Manipulation münden müssen, wurde bereits oben ausgiebig dargelegt – oder deutlicher ausgedrückt: Manchmal ist es nicht eine Frage des Wollens, was man sieht, sondern des Könnens. Und eben dieses fehlende Können ist es, was dieses Buch bedauerlicherweise in seinem Erkenntnisgewinn mindert: Fischer muss sich schließlich ob seiner fehlenden Kompetenz in der Datenanalyse stets auf Sekundärliteratur verlassen, deren Methodik er nicht vollends zu erfassen weiß. So verwundert es nicht, dass er sich nahezu gar nicht mit den unbearbeiteten Daten befasst. Eines der wenigen Male ist es dann auch ausgerechnet anhand der Zahlen zu Mord zu erkennen, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) präsentiert werden: Frauen werden in Deutschland noch immer häufiger ermordet als Männer. Was Fischer aber zu erwähnen vergisst: Männer werden häufiger versucht zu ermorden. Man könnte also zynisch sagen: Während Männer (443mal gegen 225mal bei Frauen) häufiger Ziel eines Mordversuchs sind, sind Frauen (142mal gegen 115mal bei Männer) häufiger Opfer eines erfolgreichen Mordversuchs. Wie sich nun aus dieser fehlenden Kompetenz die Bezeichnung ‚Datenjournalist‘ ableiten lassen soll, bleibt nicht nur unbeantwortet, sondern lässt zusätzlich befürchten, dass der Daten-Begriff als Worthülse eines potenziellen Betätigungsfelds stärker in den Sprachgebrauch einfließt und in Zukunft weniger Leute ‚irgendwas mit Medien‘, dafür aber mehr Leute ‚irgendwas mit Daten‘ machen werden.

Weshalb Fischer für den Titel seines Buchs ausgerechnet die Zuweisungen ‚links‘ und ‚rechts‘ verwendet, lässt sich nur aus aufmerksamkeitsökonomischen Kalkül erklären: Ein Buchtitel Tendenziöse Kategorien, statistische Fehlinterpretationen und historische Zahlenspiele: Eine methodenkritische Untersuchung populärer Statistiken und Diagramme öffentlicher Diskurses klingt weitaus dröger und sperriger als die in jüngster Zeit wieder an Popularität gewonnen habende Feindkonstruktion unter den überkommenen und vereinfachenden politischen Begriffen ‚links‘ und ‚rechts‘. Diese Popularität der beiden Begriffe erklärt schließlich auch, weshalb es Fischer nicht ansatzweise für nötig hält, diese einer politischen Gesinnung sprachlich habhaft zu werdenden Begriffe zu definieren oder zu erläutern: Offensichtlich geht er von einem Publikum aus, dass mindestens ein intuitives Verständnis dieser Selbst- und Fremdbezeichnungen hat. Da sich aber – zumindest moderate – Rechte ob der Assoziation mit Neo-Nazis wohl eher selten selbst als rechts bezeichnen dürften, ist davon auszugehen, dass sich dieses Buch an ein mittiges, grünes und linkes Publikum wendet. Dieser Eindruck wird zudem durch eingestreute persönliche Aussagen Fischers – er sei passionierter Fahrradfahrer und führe dem Klima zuliebe längerer Strecken mit dem Zug – als auch durch den Gebrauch eines spezifischen Vokabulars untermauert: Begriffe wie Patriarchat, Kolonialismus und Femizid dürften sich in einer rechten Publikation nicht ohne ironisierende Anführungszeichen finden lassen. Fischer scheint sich also vor allen Dingen an ein in seinen Augen nicht-rechtes Publikum zu wenden. Die Intention, einen kritischen Blick auf Statistiken und Diagramme zu entwickeln, ist dabei durchaus gutzuheißen. Sollte jedoch Fischer darüber hinaus auch beabsichtigt haben, mit den gelieferten Beispielen seinem Publikum ausreichend Material für Gegenargumente im digitalen und im Gespräch vis-à-vis zu liefern, ist zu befürchten, dass dies ob der nicht besonders tiefgehenden Recherche und der fehlenden datenanalytischen Kenntnisse lediglich für Diskussionspartner ausreichend ist, die sich selbst nur oberflächlich mit den behandelten Themen und deren Daten auseinandergesetzt haben.

Titelbild

Tin Fischer: Linke Daten, Rechte Daten. Warum wir nur das sehen, was wir sehen wollen.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2022.
140 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783455009644

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