Spannung, Spannung, Action, Spannung?

Gewagt tobt sich Roland Freisitzer in seinem Debütroman „Frey“ genreüberschreitend aus. Dabei ergründet er Fragen nach Identität und Wahrheit

Von Melissa Maria KayaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melissa Maria Kaya

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liest man hier einen Krimi, einen Psychothriller oder einen Liebesroman? Dies und viele andere Rätsel stellt der Autor dem Leser. Roland Freisitzer ist ein Wiener Komponist und Dirigent, der sich mit Frey zum ersten Mal am literarischen Schreiben versucht. Zuvor war der studierte Musiker als Literaturkritiker tätig.

Daniel Frey, die Hauptfigur, hat eine fernsehsüchtige, trennungswillige Ehefrau, Sarah, die ihn mit einem Boxer betrügt. Auch Daniels Therapeut Dorn ist ihm keine Hilfe. Bei den Therapiesitzungen langweilen sich die beiden gegenseitig und Besserung scheint nicht in Sicht. Eine drastische Veränderung muss her. Midlife-crisis 101, beschließt er kurzerhand, nach Tokyo zu fliegen. Praktischerweise lernt er im Flugzeug den Buchhändler Bernhaugen kennen, der mit seiner Frau Naoko in Nagasaki lebt und ihn zu sich einlädt. Doch als auf einmal das Flugzeug abstürzt, ändert sich alles. Daniel erleidet eine Gehirnerschütterung und vergisst, wer er ist. Im Krankenhaus wird er für Herrn Bernhaugen gehalten, sowohl vom Chefarzt als auch von Bernhaugens Frau Naoko.

Eine Absurdität jagt die nächste und kaum klärt sich das Bild von Daniels Identität, kommen neue Fragen auf. Hat Daniel etwa seine Frau umgebracht? Kann er seinen Freunden vertrauen? Mit fortschreitender Handlung begibt man sich auch als LeserIn auf die Suche nach der Wahrheit.

Frey ist eine bunte Wundertüte von Geschichte(n), denn der Protagonist erlebt alles – wirklich alles – was man als Protagonist eines Romans erleben könnte. Die zahlreichen Handlungszwirbler bedienen sich an jedem Actionfilmklischee, das sich denken lässt. Man findet sich zwischen Überdruss und Komik, zwischen schlechtem Geschmack und Spannung wieder. Wäre Frey ein Spielfilm, dürfte man während der Vorstellung nicht den Kinosaal verlassen, denn bei der Rückkehr hätte man vermutlich bereits zwei weltumspannende Intrigen, einen (mutmaßlichen) Charaktertod, und drei Actionszenen verpasst.

Ob man die krautige Handlung nun als gelungenen Genremix bezeichnen mag oder als literarisches Chaos, bleibt jedem selbst überlassen – unterhaltsam ist sie allenfalls. Dazu trägt auch der lockere Schreibstil des Autors bei.

An manch einer Stelle wirken Dialoge jedoch zwanghaft humoristisch und ein wenig aus der Zeit gefallen. Schade ist auch, dass nur wenige der Charaktere gut ausgearbeitet sind oder eine Entwicklung erfahren. Vor allem die Frauenfiguren sind dabei arg eindimensional. Wie Sarah zu ihrer Eiseskälte kommt, ist schwer nachvollziehbar und man fragt sich, wieso sie Daniel überhaupt geheiratet hat, denn Gemeinsamkeiten scheint es zwischen den beiden keine zu geben. Von Naoko erfährt man noch weniger. Man weiß nur, dass sie ihren eigenen Mann, mit dem sie bereits jahrzehntelang zusammenlebt, nicht erkennt und auch keine Sekunde lang zögert, Daniel als ihren Mann zu akzeptieren.

Ähnlich problematisch sind die zahlreichen Deus-ex-Machina-Figuren, die platter kaum sein könnten. Um die komplett überreizte Kapazität an Spannungsereignissen zu erreichen, stolpert man durchweg über neue, leere Charakterhüllen. Als Charaktere kann man sie nicht bezeichnen, denn neben ihrem Zweck erfährt man nichts über sie.

Die Mischung aus Krimi, Psychothriller und Liebesroman mag zwar nur an der Oberfläche eines ergründbaren Sinnes kratzen, aber sie bietet auch viel Unerwartetes. Zumindest ein Mittel gegen Langeweile ist der Roman damit allemal.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2022 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2022 erscheinen.

Titelbild

Roland Freisitzer: Frey. Roman.
Septime Verlag, Wien 2021.
288 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783991200055

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch