Windeln wechseln als Lebensaufgabe?

Linn Strømsborgs Roman „Nie, Nie, Nie“ räumt mit Klischees über kinderlose Frauen auf und vermittelt, dass es nicht unbedingt eigenen Nachwuchs braucht, um ein glückliches Leben zu führen

Von Linda KiehneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Linda Kiehne

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nie, Nie, Nie – eindeutiger könnte das titelgebende Statement der Ich-Erzählerin in Bezug auf ihren nicht vorhandenen Kinderwunsch kaum sein. Jedoch reicht nicht einmal ein dreifaches „nie“ in unserer Gesellschaft aus, um als Frau mit dieser Einstellung respektiert und verstanden zu werden. Es folgen Nachfragen und Vorwürfe, weshalb viele Frauen glauben, sich immer wieder für ihre Entscheidung rechtfertigen zu müssen.

So geht es auch der namenlosen Ich-Erzählerin in Linn Strømsborgs Roman. Mit 35 Jahren bleibt ihr der Kinderwunsch, der im Laufe der Zeit bei sämtlichen Freund*innen und Bekannten aufkommt, noch immer fern. Auf humorvolle Weise erzählt Strømsborg von den Gedanken einer Frau, die sich gegen das Kinderkriegen entscheidet. Sie schildert die damit verbundenen Ängste und Zweifel sowie Konfrontationen mit skeptischen Fragen und Belehrungen im Alltag. Diese reichen von typischen Aussagen wie „Das kannst du doch noch gar nicht wissen“ bis hin zu Anmaßungen wie „Ohne Kinder wird man so furchtbar egozentrisch, man hält sich für den wichtigsten Menschen auf Erden.“ Strømsborgs Werk bildet hervorragend eine Gesellschaft ab, die auch heute noch das Austragen eines Kindes als wichtigste Lebensaufgabe der Frau definiert.

Freunde, Bekannte und entfernte Familienmitglieder – sie alle behelligen die Erzählerin mit den immer wieder gleichen Fragen. Auch die eigene Mutter, die schon seit Jahrzehnten Babykleidung für Enkelkinder strickt, die ihr wohl für immer verwehrt bleiben werden, ist in dieser Hinsicht keine große Hilfe. Für schlaflose Nächte sorgt aber vor allem ihr Partner Philip, der nach acht Jahren glücklicher Beziehung glaubt, nun doch Kinder zu wollen. Währenddessen stellt sich die beste Freundin Anniken den Herausforderungen einer frischgebackenen Mutter. „Ich bin Mutter, und es fühlt sich an, als wäre ich nichts anderes mehr, als würde ich nicht mehr für mich, sondern nur noch für Ella atmen“, sagt sie. Zugleich sei ihre Tochter aber auch das Schönste, das ihr je passiert sei.

Nach und nach werden sämtliche Personen im Umfeld der Erzählerin Eltern. „Das Tollste am Leben mit Kindern ist, dass du sie zu Mini-Versionen von dir selbst machen kannst“, sagt ein Arbeitskollege. Das Gespräch endet nicht – wie könnte es auch anders sein – ohne dass der Ratschlag fällt: „Du solltest auch ein Kind kriegen.“ So sieht es auch ein ehemaliger Schulfreund. Und da man mehr als ein Kind bekommen sollte, sei es höchste Zeit, dass sie anfange.

Anmerkungen wie diese bleiben von der Erzählerin oft unkommentiert. Selten gibt sie diesen Gesprächspartnern Widerworte. Ihren Gedanken lässt sie stattdessen in inneren Monologen freien Lauf, in denen die Erzählerin über Elternschaft oder den Sinn des Lebens philosophiert und vor allem ihren Argumenten gegen das Muttersein Ausdruck verleiht. Dabei entspricht sie aber keinesfalls dem Klischee der verbitterten einsamen Frau, die Kinder nicht ausstehen kann. Den Nachwuchs ihrer Freunde beschreibt die Erzählerin stets liebevoll und wenn Anniken der Baby-Trubel daheim zu viel wird, ist sie sofort unterstützend zur Stelle. Die junge Mutter muss ihre beste Freundin nach einem Monat Funkstille nur kurz anrufen, damit diese sofort aus dem Bett springt, in die Pedale tritt und wenig später in ihre Wohnung stürmt. Ihren Mitmenschen sowie deren Kindern wünscht sie immer das Beste – trotz der mal mehr und mal weniger unverschämten Kommentare zu ihrer Kinderlosigkeit. Die Erzählerin erscheint dadurch charakterlich fast zu perfekt. Der Roman beinhaltet nicht ein einziges Streitgespräch, sondern zeigt immer volles Verständnis für alles und jeden. Eine Erzählerin mit stärker ausgearbeiteten charakterlichen Schwächen und mehr Mut zu zwischenmenschlichen Konfrontationen hätte dem Roman sicherlich nicht geschadet.

Doch obwohl es immer dieses eine Thema ist, um das sich das Werk dreht, langweilt Strømsborg auf keiner der 255 Seiten. Während die Autorin die erste Hälfte des Buches kontinuierlich in der Ich-Perspektive verfasst hat, überrascht sie im Verlauf des Romans in kurzen Passagen mit personalem Erzählen. Somit lässt sie die Lesenden mal an Annikens oder Philips Gedankenwelt teilhaben, bevor sie das Wort wieder an die Ich-Erzählerin übergibt. Dieser Perspektivwechsel bereichert den Roman, da er sich so auch mit dem Blickwinkel junger Eltern befasst und dem Buch damit eine neue Facette verleiht.

Der norwegischen Autorin Linn Strømsborg, die 2009 mit Roskilde ihr Debüt gab, gelingt mit ihrem vierten Werk Nie, Nie, Nie ein bewegender und humorvoller Roman, der sich, ohne zu verurteilen, mit zentralen Lebensfragen und -modellen auseinandersetzt. In ruhigen Tönen übt Strømsborg damit Kritik an einer Gesellschaft, die noch immer Schwierigkeiten hat, scheinbar unkonventionelle Lebensweisen zu akzeptieren, und regt sicherlich einige Lesende zum Umdenken an.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2022 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2022 erscheinen.

Titelbild

Linn Strømsborg: Nie, nie, nie.
Aus dem Norwegischen von Stefan Pluschkat.
DuMont Buchverlag, Köln 2021.
256 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783832181338

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