Vier Schriftsteller auf wilder Tour

Mit „SoKo Börsenfieber“ setzt Gerhard Henschel nach „SoKo Heidefieber“ und „SoKo Fußballfieber“ die Reihe seiner „Überregionalkrimis“ fort – und vertraut erneut auf den Einsatz guter Freunde

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frank Schulz in SoKo Heidefieber und Thomas Gsella in SoKo Fußballfieber – wenn er gestandene Schriftsteller (und persönliche Freunde) als Romanfiguren auftreten lässt, haben die bei Gerhard Henschel meistens eine Menge auszuhalten. Das macht vor gebrochenen Beinen und Verstümmelungen aller Art nicht Halt. Denn sowohl Gsella als auch Schulz sind, wie Henschel in einem Interview bekannt hat, „gestandene Mannsbilder und halten deutlich mehr aus als die Jugend von heute“. Und das müssen sie auch wieder im dritten Band von Henschels Überregionalkrimi-Reihe, in dem zu ihrer Verstärkung auch noch Autor und Journalist Rayk Wieland, mit dem Henschel jahrelang den Hamburger „Toten Salon“ moderierte, und TAZ-Redakteur Michael Ringel auftreten – unterm Strich vier Musketiere der ganz speziellen, nämlich schwarzhumorigen Art.

Im Mittelpunkt steht diesmal der Wahnsinn einer globalen Finanzwelt, die die Krise von 2008 ein gutes Dutzend Jahre später vergessen zu haben scheint und so weitermacht, als wäre damals nichts geschehen. Doch plötzlich fallen europaweit Banker Mordanschlägen zum Opfer. Als einer dieser smarten Geldvermehrer, Erik Ellermann von der „Oberurseler Privatbank Credit Finanzmultiplus“,  aus dem Elbeseitenkanal bei Bad Bevensen gefischt wird, müssen die gerade frisch beförderten Hauptkommissare Gerold Gerold und Ute Fischer aus Uelzen, die sich während des vorausgegangenen SoKo-Abenteuers nicht nur dienstlich, sondern auch menschlich näherkamen, ihre neugeborenen Drillinge fürs Erste Utes ostfriesischen Eltern überlassen, weil die Arbeit ruft.

Fortan wirkt „die Fischerin“, wie sie von ihrem Angetrauten gern genannt wird, vorerst als regionale Ordnungshüterin im Kampf gegen die Klein- und Scheinkriminalität in der Lüneburger Heide weiter, während er als Mitglied der Berner „Sonderkommission Börsenfieber“ seinen kriminalistischen Spürsinn in den Dienst der überregionalen Verbrechensbekämpfung stellt. Letzteres ist auch bitter nötig, denn wenn in Halbeuropa Banker gemeuchelt werden, kann man das nicht mehr als normal bezeichnen. Also muss die „Commission spéciale de police sur la fièvre boursière“ ihre geballte Kompetenz einsetzen, um dem weltweiten Spuk ein Ende zu bereiten.

Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Sonderkommissionen ist mit dieser nach einem Bombenanschlag auf Seite 87 dann leider schon wieder Schluss. Denn bis auf Gerold Gerold überlebt keines der anderen Kommissionsmitglieder den perfiden Terrorakt. Und der frischgebackene Drillingsvater kommt auch nur deshalb mit dem Leben davon, weil er während der hinterhältigen Attacke auf das Berner Bundesamt für Polizei auf Sizilien weilt und sich gerade anschickt, auf der Flucht vor der Rache einer Mafia-Gang die Straße von Messina zu durchschwimmen.

Auch in seine SoKo Börsenfieber hat Gerhard Henschel wieder nicht nur Unmengen von mehr oder minder guten Gags, Literaturzitate (von Goethe bis Gsella) und kurios Fremdsprachliches (aus dem Italienischen, Spanischen sowie Plattdeutschen) gepackt, sondern auch die eine oder andere nicht immer politisch ganz korrekte, dafür aber umso witzigere Spitze platziert – etwa gegen den Überhand nehmenden Genderwahn, das deutsche Bahnchaos, loses Kreuzfahrthallodri, wie es sein Kollege Frank Schulz bereits großformatig in seinem Roman Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen (2015) beschrieben hat, oder die Bürokratie in hiesigen Behördenstuben.

Weil freilich ein grundierender Gedanke – wie die satirische Auseinandersetzung mit dem Subsubgenre des Regionalkrimis in SoKo Heidefieber oder der Parforceritt gegen FIFA-Sumpf und korrupte Sportfunktionäre in SoKo Fußballfieber – diesmal fehlt bzw. nur in den ersten Kapiteln des Romans angedeutet wird, müssen Henschels Kollegen Schulz und Gsella einmal mehr als Schmerzensmänner herhalten, bei deren Qualen bis zur finalen Kreuzigung auf dem Gipfel des Popocatépetl Henschel wirklich kaum etwas auslässt. Allein viel ist nicht immer mehr und die Gefahr, dass man sich schon hundert Seiten vor dem Ende des Romans schlapp respektive totgelacht hat, nicht von der Hand zu weisen. Oder wie es der diesmal von den Romanfiguren nicht zitierte Christoph Martin Wieland einst ausdrückte: „Ein guter Weg ist einen Umweg werth, und minder ist oft mehr, wie Lessings Prinz uns lehrt.“

Titelbild

Gerhard Henschel: SoKo Börsenfieber. Ein Überregionalkrimi.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2022.
288 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455014662

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