Hinter den Kulissen der Völkerschauen

Hermann Schulz erzählt in „Therese. Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte“ vom Kolonialismus und einem Leben als Afrikanerin in Deutschland um 1900

Von Julia AugartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Augart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Therese. Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte erzählt die Geschichte von Therese William, die im Jahr 1900 in Elberfeld, dem heutigen Wuppertal, geboren wird. Ihre Eltern sind aus Togo und treten bereits seit Jahren in Deutschland bei Völkerschauen auf. Gleich nach ihrer Geburt nehmen das kinderlose Ehepaar Helene und Fritz Hufnagel Therese zunächst als Pflegekind auf und sorgen für sie wie für ihr eigenes Kind. Sie kümmern sich weiter um Therese, als sich einige Jahre später deren Rückkehr mit ihren Eltern nach Togo zerschlägt und sie im Krankenhaus in Rotterdam zurückgelassen wird. Therese wächst bei den Hufnagels behütet und beschützt auf, entwickelt sich zu einem selbstbewussten, intelligenten und wissbegierigen Mädchen. Jedoch müssen sich Therese und die Hufnagels immer wieder mit ihrem Status als schwarzem Kind und Exotin auseinandersetzen, positionieren und arrangieren. Therese besucht das Gymnasium, beginnt dann aber eine Ausbildung zur Krankenschwester in Kaiserswerth, bevor sie nach Hamburg übersiedelt, wo sie neben ihrer Arbeit im Kinderheim auch Medizin studiert. Mit dem Aufkommen der Nationalsozialisten und Hitlers Machtergreifung beschließt Therese Deutschland zu verlassen und geht nach Togo, dem Land ihrer Eltern, das sie nur aus Erzählungen oder von Bildern kennt.

Hermann Schulz begegnete Therese William 1977 in Lomé, der Hauptstadt von Togo, als er auf der Suche nach afrikanischen Schriftstellern ist. Per Zufall kommen die beiden im Supermarkt ins Gespräch und über die Stadt Wuppertal, Therese Williams Geburtsort und Hermann Schulz‘ Wohnort, entsteht eine Verbindung. Therese William erzählt ihm ihre Geschichte und auf seinen Wunsch hin nimmt sie diese für ihn auf Kassetten auf. Doch erst jetzt, über 40 Jahre später, hat sich Schulz entschlossen, Therese Williams Biografie zu erzählen und zugänglich zu machen. Für seinen Roman hat er die Biografie, so Schulz in seinem Nachwort, mit Informationen aus anderen Quellen sowie Darstellungen, wie es gewesen sein könnte, ergänzt, da viele Teile der Erzählung von Therese William unvollständig waren. Warum er jedoch die Lebensgeschichte der echten Therese, die als Regina William in Wuppertal geboren wurde, später aber in Warnemüde aufwuchs und Deutschland bereits vor 1933 verließ, auch in Bezug auf verbriefte Tatsachen ändert, lässt er offen.      

Hermann Schulz erzählt Thereses Geschichte sehr behutsam und einfühlsam, in Thereses Kindheit wird dies meist durch eine Außensicht aus der Perspektive der Eltern dargestellt. Erst die ältere Therese erlaubt Einblicke in ihre eigenen Gedanken und Gefühle. Am Anfang des Romans sind die Kapitel oft kurz und bleiben bisweilen auf der Oberfläche. Sukzessive, als Therese erwachsen und eigenständig wird, werden die Kapitel länger und die Darstellungen ausführlicher, wenngleich auch hier einige Episoden gerne etwas genauer und intensiver sein oder tiefer gehen könnten. Vermutlich ist dieser Umstand aber den Informationen und Erzählungen Thereses geschuldet, auf die Schulz zurückgreift und denen er gerecht werden möchte.

Mit seinem Roman liefert Hermann Schulz eine Geschichte über ein eher unbekanntes Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte, indem er hinter die Kulissen der Völkerschauen und auf die Kinder blickt, die von ihren Eltern getrennt wurden und in Pflegefamilien oder in Waisenhäusern aufwuchsen. Thereses Geschichte stellt in dem männlichen weißen kolonialen Diskurs eine schwarze weibliche Stimme dar und erweitert so den kleinen Kreis von Perspektiven um die Sicht der Kolonialisierten. Der Roman zeigt aber auch Thereses Vater Nayo Bruce als „Oberhaupt der Togo-Truppe“, der mit seiner Gruppe durch ganz Europa und schließlich nach Russland geht, selbstbewusst auftritt und mit den Veranstaltern sowie den Pflegeeltern souverän verhandelt, seine Ziele verfolgt und seinen Kindern gute Möglichkeiten schaffen möchte. Schulz‘ Roman zeigt auch, wie Therese als schwarzes Mädchen von ihrer Umgebung wahrgenommen und behandelt wird, sich ihr Leben zwischen Rassismus und Vorurteilen wie auch Exotismus einerseits und unvoreingenommener Liebe und Wertschätzung andererseits bewegt. Ferner bildet ihre Geschichte auch die Entwicklung Deutschlands vom Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg bis zu Hitlers Machtergreifung ab, insbesondere wie sich der Umgang mit und damit das Leben schwarzer Menschen in Deutschland ändert.  

Die Leseempfehlung ist ab 13 Jahren und der Roman bietet sich an, im Schulunterricht behandelt zu werden, um mehr über die Kolonialzeit und dem Umgang mit afrikanischen Kolonien und deren Menschen zu lernen oder auch einzuordnen. Episoden der Bücherverbrennung in Hamburg zeigen einen weiteren geschichtlichen Aspekt auf. In der Darstellung von Flucht und dem Umgang mit Menschen anderer Herkunft finden sich sehr viele aktuelle Bezüge. Das ermöglicht sicherlich interessante Impulse für eine Diskussion und Auseinandersetzung mit den Themen Rassismus, Diskriminierung und Integration oder Zugehörigkeit. Auch wenn Schulz in seiner fiktiven Erzählung in Bezug auf die tatsächliche Biografie von Therese William einiges abändert, so bleibt doch zu hoffen, dass mit dem Roman Therese. Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte dieses Kapitel der Kolonialzeit bekannter und mehr über die Geschichte und Biografien schwarzer Menschen in Deutschland erfahrbar wird.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Hermann Schulz: Therese. Das Mädchen, das mit Krokodilen spielte. Roman.
dtv Verlag, München 2021.
304 Seiten, 17 EUR.
ISBN-13: 9783423640862

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch