Vor dem Frost

Flix schickt „Das Humboldttier“ Marsupilami ins Deutschland der frühen 1930er Jahre, kurz vor dem Putsch der Nationalsozialisten.

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Marsupilami kennen hundsgemeine Comic-Lesende in der Regel. Ein anarchisches gelbes, mit schwarzen Punkten und einem ewig langen Greifschwanz versehenes Wundertier, das in die abenteuerlichen Detektivgeschichten Spirous und Fantasio stets hilfreich und ein wenig Chaos stiftend eingegriffen hat. Erfunden hat das Marsupilami der Frankobelgier André Franquin nach dem Krieg, nichts ahnend, dass das Fabelwesen sich irgendwann selbständig machen würde. Franquin widmete sich später vor allem dem sagenhaften Tölpel Gaston und überließ Spirou, Fantasio und eben das Marsupilami anderen Zeichnern. Jetzt durfte sich der in Berlin lebende Comiczeichner Flix, mit bürgerlichem Namen Felix Görmann, am Marsupilami versuchen, und – nicht ganz unerwartet – ist daraus eine unerhörte Hommage ans Marsupilami und ein wenig schmeichelhaftes Porträt seiner Landsleute kurz vor Hitler geworden. Das Humboldttier ist zudem bereits die zweite Arbeit Flix‘, die sich in die Zeitgeschichte wagt, nachdem er 2018 Spirou ins Deutschland der Wendejahre geschickt hatte. Auch damals hat der Carlsen-Verlag Flix fulminante Geschichte verlegt, so auch jetzt. Und warum sich die Lektüre lohnt, zeigen schon die ersten Seiten.

Denn Flix löst das Problem, wie er sein Fabelwesen ins Berlin der dreißiger Jahre bekommt, auf eine ungemein, man mag sagen, postkoloniale Weise. Der Band beginnt mit einer Episode der Entdeckungs- und man muss wohl sagen Plünderungsreisen Alexander von Humboldts in Südamerika. Die Geschichte startet im Jahre 1801 mit der Entdeckung einer Mumie, die Humboldt ohne weiteres in eine seiner Kisten verpackt, auch wenn sein kaum weniger berühmter Gefährte Bonpland wohl ganz richtig bemerkt, dass es sich dabei um profane Grabräuberei handelt, die eben nicht dadurch aufgewogen wird, dass die Objekte der Wissenschaft zur Verfügung gestellt und in einem Museum ausgestellt werden. Humboldt schert das kein bisschen. Stattdessen erregt noch ein gelber Wunderaffe seine Aufmerksamkeit, der unverhofft auftaucht, ihm nebenbei mehrfach das Leben rettet und am Ende doch mitsamt seiner Brut (drei birnenförmige Eier) in einer der Kisten landet, die Humboldt von seinen Reisen mit nach Hause bringt.

Szenenwechsel ins Berlin des Jahres 1931: Humboldt ist lange tot, seine Kisten stehen in Berlin im Naturkundemuseum und harren immer noch der Auswertung, unter ihnen eben jene, in dem das Marsupilami seinen 130 Jahre langen Schlaf schläft, im übrigen – ganz Wundertier –  ohne ein bisschen an Eleganz, Elastizität oder Gewicht zu verlieren. Plausibel muss die Geschichte nicht sein, wenigstens nicht völlig. Sie muss nur funktionieren, und das sie das tut, hängt wohl mit so etwas wie Geschichtsklitterungstoleranz von Leserinnen und Lesern zusammen. Man nimmt solche Petitessen einfach hin, weil es doch so schön ist.

Damit sie während ihrer Arbeitsschicht nicht alleine zuhause ist, vertraut eine junge Frau ihre kleine Tochter einem Nachbarn an, der – wie es der erzählerische Zufall will – als kleiner Gehilfe im Museum gerade an den Humboldtschen Kisten arbeitet. Das unerhört belesene und kundige Kind sorgt im Museum für viel Unordnung und stöbert dann das Marsupilami auf, das – als gerade entdeckte Sensation – schnell das Weite suchen muss und schließlich Unterschlupf bei seiner kleinen Entdeckerin findet. Mimi heißt die Kleine, die dann gemeinsam mit dem Marsupilami auf Tour geht, zum einen auf der Flucht vor den sensationsgeilen Museumsleuten – auch der nette Herr Otto entpuppt sich als kaum weniger unangenehm als alle anderen Erwachsenen, denen die beiden begegnen. Das Marsupilami fangen, ausstopfen und ausstellen – das würde Karrieren machen. Nicht aber mit Mimi und dem gelben Wundertier, das zwar nur „Huba Huba“ plus Varianten sagen kann, aber einen wesentlich intelligenteren Eindruck macht als die meisten menschlichen Akteure, die in dieser Geschichte auftreten und das aufsteigende deutsche Volk repräsentieren, an dessen Wesen etc. Die Verfolgungsjagden führen die beiden an eine Reihe von Berliner Schauplätzen, die Flix auf wunderbare Weise zu präsentieren versteht. Der Blick von der Goldelse über Berlin? Wunderbar. Mimi im Museum, die Gänge durch die Berliner Straßen, Marsupilami in Aktion – man weiß, was man an Flix hat und bekommt, der in dieser Geschichte aus dem Vollen der modernen Comicstilelemente und -perspektiven schöpft und zugleich beißend politisch wird. Eine Bildergeschichte in einen funktionierenden Fluss zu bringen, ist großes Handwerk mit viel Esprit. Und beides kann man Flix mit gutem Gewissen zusprechen.

Zum anderen aber – und darauf kommts an – ist das Marsupilami nicht nur auf der Flucht vor den anmaßenden Museumsleuten, sondern zugleich auf der Suche nach den drei birnenförmigen Eiern, die es mit seiner Kiste nach Berlin gebracht hat und die bei den Wirren am Beginn seiner kurzen Berliner Zeit verloren gegangen sind. Es dauert, bis Mimi versteht, was das Marsupilami umtreibt, dann aber hilft es ihm umso eifriger, was wenigstens für das Marsupilami zu einem Happy End und einem Flug nach Südamerika führt, wo es dann irgendwann seine Laufbahn um Spirou und Fantasio beginnen kann.

Sicher, das ist keine avantgardistische Geschichte, eine – im Rahmen des Comic – halbwegs realistisch gezeichnete und mit einem konventionellen Plot erzählte Handlung um ein kleines Mädchen, das nicht allein sein will, eine heftige Marsupilami-Episode erlebt, die wohl ihre Distanz zum autoritären Umfeld weiter verstärkt hat, in dem sie lebt und in dem die Blockwarte schon unter demokratischen Verhältnissen fleißig ihren künftigen Job einüben. Das ist nicht das Berlin der wilden Zwanziger, sondern das des vorfaschistischen Deutschland, das geordnete Verhältnisse will, selbst in einer solchen Asphaltmetropole wie Berlin. Die Deutschen, die hier auftreten, sind naheliegend peinlich überzeichnete Figuren. Das muss wohl auch deshalb so sein, um dem wilden Marsupilami als Kulisse dienen zu können. Je ungestümer es sich gebärdet, desto biederer und bornierter, zugleich inhumaner und selbstbezüglicher muss die Folie sein, auf der es sich bewegt. Und dafür kann man dankbar sein.

Titelbild

Flix: Das Humboldttier. Ein Masupilami-Abenteuer.
Carlsen Verlag, Hamburg 2022 .
69 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783551781680

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