Angst in den Knochen

Stefan Sienerth über rumäniendeutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen in den Fängen der Securitate

Von Franz Sz. HorváthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Sz. Horváth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte Juli 2009 erregte ein Artikel Herta Müllers mit der Überschrift „Die Securitate ist noch im Dienst“ Aufmerksamkeit, berichtete darin doch die 1953 im rumänischen Banat geborene Schriftstellerin nicht nur über das Fortleben geheimdienstlicher Strukturen in ihrem Geburtsland. Sie dokumentierte vielmehr auch die Drangsalierungen und Verfolgungen, welchen sie vor ihrer 1987 erfolgten Ausreise in die Bundesrepublik durch den rumänischen Geheimdienst ausgesetzt war. Müllers Artikel fügte sich damit in eine Reihe von Beiträgen ein, die zwanzig Jahre nach dem Ende der Ceauşescu-Diktatur begannen, die Erlebnisse, das Verhalten und die Rollen rumäniendeutscher Intellektueller und SchriftstellerInnen im sozialistischen Rumänien aufzuarbeiten. Im Gegensatz zu diesen Aufsätzen erschien Müllers Artikel allerdings an prominenter Stelle, im Hamburger Wochenblatt „Die Zeit“, während wissenschaftliche Forschungen naturgemäß in entlegenen Zeitschriften und Sammelbänden publiziert werden. Müller setzte die Aufarbeitung ihrer Securitate-Akten genauso wie etliche ihrer SchriftstellerkollegInnen in Buchform fort (Cristina und ihre Attrappe, Göttingen 2009). Der nun erschienene Sammelband des Germanisten Stefan Sienerth versammelt eine Vielzahl seiner seit 2009 an unterschiedlichen Orten erschienenen Aufsätze. Sie beleuchten unter dem vielsagenden und treffenden Titel Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt die Schicksale vieler rumäniendeutscher Schriftsteller, Historiker und Geisteswissenschaftler. Sienerth, Jahrgang 1948, war vor seiner 2013 erfolgten Pensionierung Direktor des Münchener „Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Südosteuropa“ (IKGS) und trug seit 2006 entscheidend zur Erforschung der Verfolgung rumäniendeutscher SchriftstellerInnen durch die Securitate bei, indem er einschlägige Konferenzen organisierte, Aufsätze publizierte und Publikationen herausgab. Mit diesem Sammelband möchte er nun den einschlägigen Forschungen, die er am Erlahmen sieht, neuen Schwung geben.

Die meisten der siebzehn Beiträge sind drei Blöcken zugeordnet: Zuerst stehen der nachmalige Büchner-Preisträger Oskar Pastior (19272006) und seine FreundInnen im Mittelpunkt, anschließend werden Einzelschicksale im Umfeld eines 1959 stattgefundenen Schriftstellerprozesses skizziert und im dritten Teil werden methodische Probleme erörtert. Im vierten Teil geht Sienerth auf die Anfänge der Securitate-Forschungen durch das IKGS und die 2009 gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Zusammenarbeit des jungen Oskar Pastior mit der Securitate ein.

Pastior und Müller sind die einem breiten Lesepublikum wohl bekanntesten der im Buch erwähnten Personen und sie stellen auch den Anfangs- und den Endpunkt der untersuchten Lebensläufe dar. Am Fall Pastiors lässt sich der Haupttitel veranschaulichen, wurde er doch (nachdem die Securitate auf ihn aufmerksam wurde) zuerst bespitzelt und bedrängt, schließlich kurzzeitig verhaftet und zur Mitarbeit gedrängt, so dass sich der junge Dichter zumindest nominell ins Unrecht verstrickte. Zum Verhängnis wurden ihm u.a. seine Gedichte, die er über seine Zwangsarbeit in der Sowjetunion schrieb, wohin er 1945, kaum siebzehnjährig, verschleppt wurde. Auch wenn er die Gedichte wohlweislich bei einer Freundin aufbewahrte, kam der Geheimdienst ihnen auf die Schliche und konnte ihn damit unter Druck setzen. Der Fall Pastior zeigt pars pro toto die ganze Bandbreite und Komplexität eines Lebens in einer Diktatur auf: Seine Freundin, befragt nach Pastior und den Gedichten, widerstand dem Druck, unterschrieb keine Verpflichtungserklärung und wurde keine inoffizielle Mitarbeiterin. Dafür musste sie für mehrere Jahre in Haft und ihr dort geborenes Kind wurde ihr weggenommen. Pastior selbst wurde von einem seiner Universitätsdozenten, dem Germanisten Heinz Stănescu (19211994), der seine Opfer laut Sienerth „mit Leidenschaft, Zielstrebigkeit und oft mit Gehässigkeit und Zynismus“ aushorchte, befragte und bespitzelte, an den Geheimdienst verraten. Nachdem 1959 die rumänischen Behörden fünf bekannte rumäniendeutsche Schriftsteller zu insgesamt 95 Jahren Haft verurteilte, stand Pastior natürlich gehörig unter Druck. Sienerth vermag es, die Brutalität, die Zügellosigkeit, die Drohungen und Versprechungen der Securitate den Akten zu entnehmen und so Pastiors Verhalten, sich zur Lieferung von Berichten über ihm bekannte Personen zu verpflichten, zu erklären. Zwischen 1961 und 1968, als er das Land verließ, soll Pastior inoffizieller Mitarbeiter gewesen sein. Sienerth betont jedoch, dass bislang keine Berichte Pastiors aufgetaucht seien, die jemandem geschadet hätten.

Individuelle Schwäche, Angst, Furcht, Verrat und Solidarität, Erpressung und ideologische Nonkonformität, aber auch ideologische Gegensätze: Das sind nur einige der Begriffe, die dem Leser stets durch den Kopf gehen, wenn er sich nach dem ersten großen thematischen Block über Pastior den anderen Blöcken und Kapiteln zuwendet. Wenn Eginald Schlattner (geboren 1933) nach monatelangen Verhören, psychischem Druck und zumindest teilweiser psychischer und physischer Folter dem Insistieren der Offiziere nachgab und anfing, seine Freunde und Bekannte zu belasten: Wer vermag darüber die Lanze zu brechen? Schlattner wurde damit immerhin zum Kronzeugen der Anklage und somit Mitverursacher jenes Urteils zu 95 Jahren, das 1959 die sächsische Gemeinschaft erschaudern ließ, obwohl es offiziell und in den Medien gar nicht verkündet wurde. Dass er an ihnen Verrat begangen hatte, verziehen ihm mehrere seiner Opfer, nicht aber, dass Schlattner sie in seinem 2000 erschienenen Roman Rote Handschuhe karikierte und Zerrbilder ihrer Persönlichkeiten entwarf.

Es würde zu weit führen, die vielen Beispiele nachzuerzählen, die Sienerth im vorliegenden Band stets gekonnt zu spannenden Narrativen verbindet. Denn die vielen lokal- oder regionalhistorisch bedeutsamen Namen (Georg Hoprich, Erwin Wittstock, Harald Krasser, Paul Schuster, Moses Rosenkranz, Hermine Pilder-Klein, Wolf von Aichelburg) sind hierzulande zumeist doch nur Spezialisten geläufig. Ihre Geschichten sind überwiegend Geschichten von Resistenz und Leid, aber manchmal verschwimmen die eindeutigen Konturen, wenn etwa der üble und eifrige Historikerspitzel Carl Göllner (19111995), der jahrzehntelang selbst rumäniendeutsche Intellektuelle ausspioniert hatte, selbst ins Visier des Geheimdienstes geriet. Bundesrepublikanische Bedeutung bekommt Göllners Fall unter Berücksichtigung dessen, dass er genauso wie der erwähnte Stănescu seinen Lebensabend in Deutschland verbrachte, ohne wegen seiner Spitzeltätigkeit eine Behelligung befürchten zu müssen.

Der Germanist Stefan Sienerth erweist sich mit diesem Sammelband zweifellos als einer der besten Kenner der Verfolgung rumäniendeutscher Schriftsteller durch die Securitate. Seine Aktenauswertungen ähneln häufig jener berühmten „dichten Beschreibung“ der EthnologInnen, wodurch der Eindruck unmittelbarer Teilhabe am Geschehen entsteht, so dass Spannung erzeugt wird. Sienerth lässt die LeserInnen an den Überlegungen der Geheimdienstoffiziere teilhaben, dem Entwerfen von Plänen und Strategien, um verdächtigten Personen Fallen zu stellen, um nachzuweisen, dass sie sich regimefeindlicher Gedanken, Schriften und Pläne schuldig gemacht haben. Er verweist hierbei auf jene Schwachpunkte, die der Geheimdienst bei den Verdächtigten oft genau erkannte und ausspielte: Dinge, die man zur Erpressung nutzen konnte (Homosexualität), nationalsozialistische Vergangenheit, bürgerlich/national-konservative Einstellungen bzw. Netzwerke, die den neuen Arbeiterschriftstellern reserviert bis ablehnend gegenüberstanden, regionale Rivalitäten und Gegensätze (Hermannstadt – Kronstadt), Generationenkonflikte usw. Der Autor unterstreicht auch das interessante Phänomen, wie viel die moderne rumäniendeutsche Literatur den zumeist aus der Bukowina stammenden jüdischen Schriftstellern (Moses Rosenkranz, Alfred Margul-Sperber) verdanke. Obwohl sie von den meisten rumäniendeutschen SchriftstellerInnen in den 1930er und 1940er Jahren keine Sympathie und Solidarität erfuhren, öffneten sie den geistigen Horizont vor allem der jungen Generation für die neuen Strömungen der literarischen Moderne.

Methodische Schwierigkeiten und Probleme im Umgang mit den Akten des rumänischen Geheindienstes stehen im Fokus des dritten Teiles. Allerdings finden sich auch bereits in den Aufsätzen davor Hinweise auf methodisch heikle Aspekte, so dass dieser Teil nicht mit vielen neuen Erkenntnissen aufwartet. Der Autor verweist hier darauf, dass eine Verfolgung durch die Securitate in den 1950er Jahren eine wesentlich andere Bedeutung hatte (und der Geheimdienst schneller, härter zugriff) als in den 1970er oder 1980er Jahren. Ein Verweis auf die Auswertung ihrer eigenen Akte durch Herta Müller soll verdeutlichen, dass der Überlieferungszustand der Akten häufig Fragen bezüglich ihrer Vollständigkeit aufwirft. Die Aktenführung war teils sehr nachlässig, Aktenstücke fehlen, sprachliche Kodifizierung erschwert ihr Verständnis, unterschiedliche Textsorten werden miteinander vermischt usw. Schließlich geht Sienerth auch darauf ein, dass in den Augen des rumänischen Geheimdienstes alle Personen, die sich für die Bewahrung und den Fortbestand siebenbürgisch-sächsischer Traditionen einsetzten, Nationalisten und Faschisten waren. Verstreut in den einzelnen Aufsätzen bemerkt Sienerth zudem, wie unglaubwürdig die Verhörprotokolle naturgemäß sind, denn sie geben weder Auskunft über gemachte Pausen, noch (selbstredend) über die gegenüber den Verhörten ausgestoßenen Drohungen. Wenn Spitzelberichte von Intellektuellen wie dem Historiker Göllner oder dem Germanisten Stănescu verfasst wurden, stand zwar im Hintergrund ihrer Abfassung oft ein persönliches Motiv (Neid, Gehässigkeit, Buhlen um die Gunst des Regimes zwecks Privilegien oder zwecks finanzieller Belohnung usw.), doch bieten sie oft auch zutreffende Analysen von literarischen Werken.

Der abschließende Teil des Bandes gibt zum einen allgemeine Überlegungen wieder, die der Autor 2009, am Beginn der Beschäftigung mit den Securitate-Akten als Direktor des IKGS anstellte, zum anderen werden zwei Interviews von ihm erneut veröffentlicht, die u.a. die Mitarbeit Pastiors mit dem Geheimdienst thematisieren.

Stefan Sienerths Aufsätze sind allen zu empfehlen, die sich konkret für rumänische und rumäniendeutsche Zeit- und Literaturgeschichte oder allgemein für das Funktionieren geheimdienstlicher Abläufe und den stalinistischen Terror, der den Alltag in den 1950er Jahren im Ostblock bestimmte, interessieren. Sienerth gelingt es, aufgrund seiner stupenden Kenntnisse, den Akten faszinierende Geschichten zu entlocken, die es den LeserInnen beinahe unmöglich machen, das Buch aus der Hand zu legen. Er verbindet nämlich die in den Akten vorkommenden unterschiedlichen Personen und Schicksale miteinander, so dass ein Netz von Biographien konstruiert wird, das den Vers des ungarischen Dichters Gyula Illyés in dessen Gedicht „Ein Satz über die Tyrannei“ bestätigt, wo es über die Diktatur heißt: „denn wo sie ist/ist jeder ein Kettenglied.“ Inhaltlich unterlaufen dem Autor nur wenige Fehler: So hatte der Diktator Ceauşescu 1971 keine „Junithesen“, sondern „Julithesen“ verkündet und die minderheitenpolitischen Erleichterungen von 1968 standen mit seinem Alleingang bei der Unterdrückung des „Prager Frühlings“ im Zusammenhang, nicht mit den Beziehungen zur BRD. Die Lebensdaten Edmund Pollacks (1927-2007) oder auch Ana Novacs (1929-2010) hätte man relativ einfach herausfinden können. Der Autor hat sich leider dafür entschieden, seine Aufsätze unverändert abzudrucken. Das hatte zur Konsequenz, dass sich viele Aussagen und sogar Zitate (einschließlich ihrer Einbettung) wiederholen (z.B. zu Pastior auf den Seiten 23, 133, 623 oder der Absatz auf den Seiten 141/142 kommt wortgleich auch auf 225/225 vor). Was in einem Aufsatz sinnvoll ist, der Verweis auf andere Aufsätze, die in einer anderen Publikation erschienen sind, ist ärgerlich, wenn der Leser den erwähnten Text kurz vorher im selben Band bereits gelesen hat. Der methodische dritte Teil wäre am Anfang des Bandes sinnvoller aufgehoben gewesen und der Autor hätte hier noch Grundlegendes über die Arbeit der Securitate klären sollen (Aufbau des Geheimdienstes, Vorgehen usw.). So staunt der Leser und versteht wenig, wenn es mitten in einem Aufsatz heißt, die Abteilung VIII des Geheimdienstes habe an die Abteilung III dieses oder jenes geschrieben: In welcher sachlichen oder hierarchischen Beziehung standen beide zueinander? Ebenfalls unabdingbar wäre eine kurze historische Einführung in die Minderheitenpolitik des rumänischen Staates gewesen, um so die vielen historischen Bezüge, auf die die SchriftstellerInnen in ihren erwähnten Werken Bezug nehmen, verständlich zu machen. Nebenbei bemerkt: Ein Seitenblick auf die Verfolgungsgeschichte der ungarischen Minderheit Rumäniens und ihrer Intellektuellen hätte erstaunliche Parallelen aufgewiesen (vgl. hierzu zuletzt den Roman Omertá von Andrea Tompa) und somit der besseren Einordnung der rumäniendeutschen Schicksale gedient.

Trotz dieser Einwände gilt: Es ist zu wünschen, dass Stefan Sienerth seine Aufsätze als Vorarbeiten begreift, die er sei es mit Untersuchungen zur „Aktionsgruppe Banat“ (Herta Müller, Richard Wagner usw.) erweitert oder gar zu einer allgemeinen, strukturierten und systematischen Verfolgungsgeschichte rumäniendeutscher AutorInnen ausbaut. Er selbst möchte der Erforschung dieser Geschichte neuen Schub geben – doch wer wäre zu dieser Arbeit berufener als er selbst?

Titelbild

Stefan Sienerth: Bespitzelt und bedrängt – verhaftet und verstrickt. Rumäniendeutsche Schriftsteller und Geisteswissenschaftler im Blickfeld der Securitate.
Frank & Timme Verlag, Berlin 2022.
714 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-13: 9783732908745

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