Mann mit Haltung
Wolfgang Bosbach hat erneut ein politisches Buch vorgelegt
Von Günther Rüther
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWolfgang Bosbach ist vielen als Politiker bekannt. Nicht selten trat er in den zurückliegenden Jahren in Talkshows, politischen Sendungen, Zeitungsinterviews oder mit kurzen Statements hervor. Nach seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag 2017 geschieht dies nun deutlicher seltener, aber es kommt immer noch vor. Bosbach hat sich meist als Mann der mittleren Tonlage, verbindlich, sachkompetent, abwägend, nie schrill oder gar beleidigend, aber stets mit einer klaren Aussage ohne das weit verbreitete Schielen nach der nächsten Schlagzeile präsentiert, wie es andere tun, die sich in der Politik tummeln. Er wird zu den Konservativen in der CDU gezählt. Diese politische Standortbestimmung trifft wohl zu, wenn man darunter einen Politiker versteht, der Altes mit Neuem zu verbinden sucht und nicht auf alten Positionen verharrt. Bosbach darf an frühere Aussagen erinnert werden, weil er stets versuchte, Kurs zu halten. Auch dann, wenn ein hohes Staatsamt winkte, verbog er sich nicht, um Karriere zu machen. Er zählt nicht zu den Zeitgeistrittern; er ist ein Mann mit Haltung, der es sich versagte, den Kurs der Kanzlerin über den grünen Klee zu loben, aber auch, ihn scharf zu tadeln. Eher schwieg er, wenn er eine Auffassung hatte, die nicht der politisch eingeforderten Meinung entsprach. Wenn er jedoch aus der Reserve trat, dann leise und mit durchdachten Argumenten. Dabei pflegte er zu bedenken, wie weit er als bekennendes CDU-Mitglied gehen kann.
Nun hat Wolfgang Bosbach erneut ein politisches Buch vorgelegt und es stellt sich die Frage, ob die geschilderten Eigenschaften gute Voraussetzungen für diese Veröffentlichung bieten. Eröffnen sie einen Blick hinter die Kulissen der Bonner und Berliner Republik? Was sagt er zu der langen Kanzlerschaft von Angela Merkel, zum Streit um die Kanzlerkandidatur zwischen Armin Laschet und Markus Söder oder zu dem jüngsten Wirrwarr um den Parteivorsitzenden in der CDU? Wie beurteilt er die umstrittene Wahl von Friedrich Merz? Wie begründet er, dass die CDU viele Jahre ein Grundsatzprogramm ankündigte, aber schließlich doch bis heute kein neues vorgelegt hat? Welche Lösungen bietet er an, um die CDU aus dem politischen Tal herauszuführen? Hat das alles nicht sehr viel mit der Titelfrage seines politischen Essays „Wer glaubt uns noch?“ zu tun?
Zugestanden, Bosbach stellt die Frage allgemeiner. Er richtet den Fokus nicht nur auf die Unionsparteien, sondern bezieht die anderen Parteien mit ein. Doch auch wenn dies berücksichtigt wird, erhält der Leser keinen vertieften Blick hinter die Kulissen der Macht, von einer Abrechnung mit diesem oder jenem gar nicht zu sprechen, noch erfährt er viel darüber, wie die Krise der einst großen Volksparteien überwunden werden kann. Fast gewinnt er den Eindruck, dass der Autor alles vermeiden möchte, was ihm als Nachtreter, Besserwisser, enttäuschtem Politiker oder auch nur als Plauderer angekreidet werden könnte. So wird sein Essay diejenigen enttäuschen, die erwartet hätten, einen vertieften Blick in das Zentrum der Macht oder auch nur darüber zu erhalten, wo die tieferen Ursachen für den Vertrauensverlust der Politik liegen und wie sie überwunden werden könnten. Stattdessen schildert Bosbach beispielhaft, wie das politische Führungspersonal durch Fehler leichtfertigt Vertrauen in der zurückliegenden Zeit verspielt hat. Dafür liefert er zahlreiche überzeugende Beispiele. Jedoch gleitet sein Blick dabei allzu oft auf den politischen Gegner, während Fehler der eigenen Parteifreunde mit Samthandschuhen angefasst, relativiert oder gar nicht angesprochen werden. Besonders augenfällig wird dies bei dem Versagen von Anne Spiegel und Ursula Heinen-Esser bei und nach der Flutkatastrophe im Sommer 2021. Aber auch Armin Laschets Kanzlerkandidatur zeugt von mehr Verständnis als Kritik, selbst wenn dem Autor zu Gute gehalten wird, dass er sich in der „Causa Armin Laschet“ für befangen erklärt. Wo die Ursachen des rapiden Vertrauensverlusts der Unionsparteien in der Ära Merkel liegen, die bis heute tief nachwirken, bleibt völlig außen vor. Stattdessen wird ihr Sieg bei der Bundestagswahl 2013 hervorgehoben, der jedoch in die Große Koalition führte und den bisherigen Koalitionspartner FDP unter die 5% Hürde drückte.
Jenseits dieser Unausgewogenheit enthält das Buch aber eine Fülle interessanter Analysen. Immer spannend wird es, wenn Bosbach als Jurist argumentiert. Etwa wenn er sich mit der Größe des Deutschen Bundestags beschäftigt und erklärt, worin die Schwierigkeiten liegen, ihn zu verkleinern. Oder wenn er auf den Schutz des ungeborenen Lebens oder den Bindungsverlust und Mitgliederschwund von SPD und Union zu sprechen kommt. Erhellend sind auch seine Ausführungen zum sozialen Jahr. Zu den bemerkenswerten Rückblicken zählt Thomas de Maizieres Auftritt vor dem Innenausschuss, als er noch Bundesminister des Innern war. Hier erzählt der Autor aus dem Nähkästchen und schildert überzeugend, wie notwendig und glaubwürdig eine offene Fehlerkultur in der Politik ist, die nicht erst dann einsetzt, wenn sie von der Öffentlichkeit erzwungen wird. Leider versäumt er es allerdings, darauf einzugehen, welche politischen Fehler er selbst begangen hat, wie er damit umgegangen ist und welche Anwürfe ihn persönlich schwer verletzt haben. Von derartigen Begebenheiten hätte der Leser gerne gehört. Denn auch das Politiker-Leben von Wolfgang Bosbach dürfte davon garniert gewesen sein. Offenkundig wirkt die Parteiräson auch heute, mehr als 5 Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag noch nach. Nun wollte Bosbach kein politisches Bekenntnisbuch schreiben, aber zeitweise liest es sich doch so. Ihn bekümmert, dass sich die Kluft zwischen den Wählern und den Gewählten im Laufe der Zeit immer weiter vertieft hat. Den Ursachen dafür will er auf den Grund gehen, um Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen. Diese negative Entwicklung schildert er anhand zahlreicher persönlicher Beobachtungen, Begegnungen und Erfahrungen. Zu einer vertieften Betrachtung gelangt er aber dabei nicht. Seine Fallstudien leuchten ein, aber sie stehen für sich und finden nicht zu einem überzeugenden Erklärungsmuster, weil sie allzu oft durch die parteipolitische Brille geschildert werden. Hätte zur Vertrauensbildung nicht auch eine ausgewogene politische Darstellung gezählt?
Zu den größten Überraschungen gehört der Einstieg in seine Studie. Bevor er sich mit seinem eigentlichen politischen Anliegen auseinandersetzt, beschäftigt er sich mit einem Thema, das weder zu seiner Person zu passen scheint, noch auf der Agenda der Tagespolitik ganz oben, noch mit der Zielsetzung seiner Studie unmittelbar in Zusammenhang steht: dem Gendern. „Doppelpunkt“ und „Genderstern“ lehnt der Autor ab. Es hätte auch überrascht, wenn es anders gewesen wäre. Doch aus dieser ablehnenden Haltung erwuchs ein Konflikt mit dem Econ Verlag, der ihn vertraglich zum Gendern zwingen wollte. Schließlich bestand der Kompromiss darin, dem Buch ein Kapitel voranzustellen, in dem der Autor seine ablehnende Haltung darlegt. So geschah es. Derartige ideologisch geprägte, dem Mainstream folgende Einflussnahmen eines Verlags auf Autoren sind abzulehnen, aber sie finden wohl häufiger statt als bekannt wird. Bosbach verdient Anerkennung, dass er sich diesem Trend gegen den Duden und den „Rat für deutsche Rechtschreibung“ zu entziehen wusste und Haltung wahrte. Beiläufig sei angemerkt, dass dieses einleitende Kapitel zu den stärksten des Buches zählt.
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