Zigaretten, Schlager und James Dean

Philipp Pabst untersucht „die Bedeutung des Populären“ in der deutschen Literatur der 1950er Jahre

Von Jörg SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ein Schlager von Rang ist mehr 1950 als 500 Seiten Kulturkrise“, heißt es in Gottfried Benns Gedicht Kleiner Kulturspiegel von 1951. Wer sich mit Kulturgeschichte befasst, sollte sich also nicht so sehr auf dickbändig-tiefschürfende Diagnosen berufen, sondern vielmehr die Bedeutung des Populären erfassen. Tatsächlich hat die Beschäftigung mit Populärkultur, Konsum- und Markenästhetik in den letzten Jahren zu wichtigen neuen Impulsen insbesondere innerhalb der Literaturwissenschaft geführt. Der Untersuchungsbereich hat sich dabei ständig erweitert: Standen zunächst die Popliteraten der 1990er Jahre als „neue Archivisten“ – so der Titel des 2002 veröffentlichten Buchs von Moritz Baßler – im Fokus, so wird die Frage nach der Semiotik des Populären inzwischen generell an die Moderne und Postmoderne herangetragen. Björn Weyands 2013 publizierte Untersuchung Poetik der Marke. Konsumkultur und literarische Verfahren 1900–2000 ist dafür ein ausgezeichnetes Beispiel.

Auch Philipp Pabst, der nun eine kulturpoetische Analyse des Populären für die deutsche Nachkriegsliteratur präsentiert, betont, dass diese Herangehensweise sich insbesondere für jene ‚erste‘ deutsche Popliteratur der späten 1960er Jahre eignet, also etwa für die Texte Rolf Dieter Brinkmanns, die als Montagen populärkulturellen Materials konzipiert sind. Die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg assoziiert man dagegen zumeist mit einem gewissen der zeitgeschichtlich-existentiellen Extremsituation geschuldeten nüchtern-bedeutsamen Pathos. Umso origineller ist es, das Populäre in der Literatur der frühen Bundesrepublik, und noch dazu bei drei hinsichtlich Generation und Schreibweise so unterschiedlichen Autoren wie Gottfried Benn, Heinrich Böll und Alfred Andersch – mit kurzen Seitenblicken auf Arno Schmidt und Ingeborg Bachmann –, zu untersuchen.

Analysiert wird damit nicht ein breites Feld des Populärkulturellen in der Literatur, wozu die ergänzende Beschäftigung etwa mit Wolfgang Koeppen, aber auch mit den Schweizer Autoren Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch lohnenswert gewesen wäre. Vielmehr geht es hier um präzise exemplarische Studien zu einzelnen Werken der 1950er Jahre. Sie demonstrieren, wie sich „Bedeutung“ im Zusammenspiel mit dem Populären generiert. Pabst geht dabei vom Muster des „Bedeutungsschweren“ aus und bestimmt den Bezug zum Populären entsprechend als Kontrast- und Abgrenzungsverhältnis. Dieses lässt sich im Fall der drei Autoren aber jeweils sehr unterschiedlich charakterisieren.

So findet etwa in Heinrich Bölls Erzählung Der Zug war pünktlich (1949) eine Aushandlung von Bedeutung zwischen klassischer Musik und Schlager statt. Der populäre Musiktitel Ich tanze mit dir in den Himmel hinein aus dem Film Sieben Ohrfeigen (1937) erfährt dabei zunächst eine Aufwertung, indem er, von der Prostituierten und Pianistin Olina in der Extremsituation der Todesnähe im Krieg gespielt, zu einer klassischen „Sonate, die im Dämmer hängt“, umgedeutet wird. Zum epiphanischen Erlebnis kommt es in Bölls melodramatischem und somit selbst an der Grenze zum populären Kitsch stehendem Text dann aber doch erst, als Olina ein Stück von Johann Sebastian Bach spielt.

Ganz anders funktioniert der Umgang mit dem Populären in den späten parlando-Gedichten Gottfried Benns. Auch bei ihm lässt sich eine kontrastierende Wirkung der Überhöhung feststellen – allerdings ohne dass dadurch der populäre Intertext desavouiert würde. Dass etwa im Gedicht Hör zu der „letzte Abend“ ganz alltäglich in der Kneipe verbracht wird, führt gerade mittels der Montage-Technik, die Markennamen wie „Juno“-Zigaretten oder „Würzburger Hofbräu“ integriert, zur souveränen Evokation einer melancholisch-resignativen Atmosphäre. Die kulturpoetisch-intertextuelle Spurensuche erweist sich hier als besonders ergiebig, wenn Pabst den konkreten Artikel aus Reader’s Digest ermittelt, auf den sich das Gedicht Restaurant bezieht. Sie kann aber auch auf Irrwege ohne interpretatorischen Mehrwert führen, wenn etwa belanglose Details zur Marke „Juno“ aneinandergereiht oder beliebige „Spiegel“-Artikel herangezogen werden. Neben der Tatsache, dass die Untersuchung sprachlich nicht durchgehend gründlich lektoriert wurde, bleibt das einer der wenigen Kritikpunkte.

Die dritte Fallstudie hebt sich ab, indem sie sich einem eher unbekannten Text widmet, in dem eine frühe Ikone der Populärkultur prominent den Mittelpunkt bildet, Alfred Anderschs Funkmontage Der Tod des James Dean (1959). Erneut kommt es hier zur eingehenden konkreten Beschäftigung mit dem fragmentierten und neu kombinierten textuellen und musikalischen Material, wodurch Strategien der Mythisierung als weitere Spielart von „Bedeutsamkeit“ rekonstruiert werden. In der Summe ergibt sich durch Pabsts Untersuchung kein ganz neues Bild der Epoche, wohl aber ein genauerer Blick auf einzelne Texte und Werkkomplexe. Die präzisen Einzelstudien belegen das innovative und produktive Potential der kulturpoetischen Methode für die heutige Literaturgeschichtsschreibung.

Titelbild

Philipp Pabst: Die Bedeutung des Populären. Kulturpoetische Studien zu Benn, Böll und Andersch, 1949-1959.
De Gruyter, Berlin 2022.
VI, 344 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110739602

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