Unter lauter kleinen Biestern

Shirley Jackson beschreibt in „Krawall und Kekse“ einen Familienalltag in den fünfziger Jahren liebevoll als Szenen aus einem Horrorkabinett, nämlich verpackt in hübsches buntes Geschenkpapier und verschnürt mit absolut reißfester Ironie

Von Nora EckertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nora Eckert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Roman erschien 1953 unter dem Titel Life among the Savages und versammelte Texte, die Shirley Jackson um 1950 herum für verschiedene US-Frauen-Zeitschriften schrieb. Sie hatte dafür die Szenen aus einem Familienleben chronologisch angeordnet und wo nötig ergänzt, wie uns die Übersetzerin Nicole Seifert in ihrem Nachwort wissen lässt. Dabei ist das literarische Patchwork nicht restlos verschwunden, was die Erzählung hie und da ein wenig sprunghaft erscheinen lässt, aber am Ende nichts von ihrer Qualität nimmt. Denn Jackson besaß offenkundig ein großes erzählerisches Talent mit ausgesprochenem Sinn für Situationskomik, abgründigem Witz und einer Lakonie, die die Dramen eines Familienalltags als das Normalste von der Welt nahezubringen versucht. Die Autorin erzählt uns schmunzelnd und warmherzig von einem turbulenten und chaotischen Familienleben. Bei genauerem Hinsehen finden wir jedoch in all der häuslichen Gemütlichkeit lauter Horrorszenen versteckt.

Jackson (1916–1965) war bekannt als Horror-Spezialistin. Mit ihrer Vorliebe für unheimliche Stoffe, für Irrationales und Traumatisches war sie literarisch sehr erfolgreich. Das mag auf den ersten Blick nicht zu den Geschichten einer Hausfrau und Mutter passen und tut es doch – aber eben erst auf den zweiten oder dritten Blick. Es trifft zwar zu, was Seifert, die mit ihrer Übersetzung übrigens sehr genau den flüssigen Erzählton trifft, in ihrem Nachwort schreibt, Jackson gebe „eine nahbare, liebevolle Mutter, die in Gedanken manchmal woanders ist, die das Chaos akzeptiert, sich von ihm aber nicht unterkriegen lässt“, doch ist da nichts, was als Idylle Bestand hätte, was frau sich wirklich wünschen könnte.

Damals schienen jedoch die Geschichten tatsächlich ohne das Hintergründige „funktioniert“ zu haben. Was auch erklärt, dass beispielsweise die Frauenrechtlerin Betty Friedan, die 1966 mit Der Weiblichkeitswahn berühmt wurde, Kritik an Jackson übte, indem sie der Autorin unterstellte, sie würde Frauen auf ihre Rolle als Mutter und Hausfrau reduzieren und sie dadurch verraten. Aber eine wirklich „glückliche Hausfrau“ suchen wir bei Jackson vergeblich. Da finden wir eher subversive Aspekte, die Friedan wohl übersah wie auch das Lesepublikum damals. Denn wie Ruth Franklin in der New York Times 2015 in einem kleinen Jackson gewidmeten Essay schrieb, verspotte die Autorin ja gerade die eigene Unfähigkeit, Hausfrau zu sein und damit implizit die Erwartung, dass jede Frau in diese Rolle gehöre.

Ganz nebenbei erfahren wir bei Jackson, dass Ehemänner eine ziemlich unnütze, nervende Einrichtung sein können, wenn sie sich beispielsweise wie der in dem Buch ein Gewehr anschaffen, um Streifenhörnchen zu erlegen, die die Katze als Beute ins Haus bringt. Ein andermal ist es eine Fledermaus, aber weder sie noch das Streifenhörnchen werden erlegt, dafür aber die Wohnzimmerwand perforiert, während noch einiges zu Bruch geht. Was schlussfolgern lässt, Männer seien dumm, sobald sie ein Gewehr in die Hand nehmen, auch wenn sie sonst friedlich am Schreibtisch sitzen und „für einen Artikel über ausgestorbene Fische“ recherchieren. Und natürlich geht auch alles schief, als sich der Vater in die Streitereien des Sohnes einmischt. Reparieren muss den Schaden anschließend die Mutter, indem sie zum Telefon greift und sich bei der anderen Mutter entschuldigt. Derweil gehen Vater und Sohn im Schuppen eine Runde boxen, um Mutter nicht beim Telefonieren zu stören. Selbstredend muss die Ehefrau zur Bank, wenn es um die Aufstockung des Kredits geht. Als sie das protestierend ablehnt, antwortet ihr Mann besänftigend: „Natürlich nicht, Du kannst es ja morgen machen […].“

Zwei Kinder, nämlich „schreckliche kleine Biester“, die das Lügen für eine Phantasiebegabung halten, sind bereits hyperaktiv in den Geschichten präsent, als ein drittes Baby unterwegs ist. Alle würden immer sagen das Dritte sei das einfachste. Die Autorin weiß es allerdings anders:

Rührselige Menschen versichern einem immer, dass Frauen noch ein drittes Baby kriegen, weil sie Babys lieben, und zynische Leute scheinen immer zu behaupten, eine Frau mit zwei gesunden, lebhaften Kindern im Haus würde für zehn ruhige Tage im Krankenhaus alles tun; mein eigener Standpunkt befindet sich irgendwo dazwischen, aber ich gebe zu, dass ich zu letzterem tendiere.

Und als schließlich Nummer Vier die Familie komplettiert, kommentiert eines der Geschwister, es sei ganz schön klein:

‚Etwas Besseres habt ihr nicht gekriegt?‘ ‚Ich hab versucht ein anderes, größeres zu bekommen‘, sagte ich gereizt, ‚aber der Arzt hat gesagt, das sei das letzte.‘

Wo immer die Mutter mit den Kindern auftaucht, etwa während der Einkaufstour in der Stadt, es wird zum Stresstest, der neben Nerven vor allem taktisches Geschick und Dompteurs-Eigenschaften verlangt, um die kleinen Tyrannen dorthin zu lotsen, wo sie hinsollen – ob beim Schuhe kaufen oder anschließend im Restaurant, wo nur noch die Androhung roher Gewalt für einen Moment Disziplin herbeizaubert. Mit den Geschichten geht es immer so weiter, wobei sich Mitleid und Lachen ungefähr die Waage halten, aber am meisten gefiel mir zwischen den Slapsticks und den schier unmenschlichen Geduldsübungen all das heimlich platzierte Subversive – und da heißt es immer, die fünfziger Jahre seien so spießig gewesen. Auch den Zahn zieht uns Shirley Jackson.

Titelbild

Shirley Jackson: Krawall und Kekse.
Aus dem amerikanischen Englisch von Nicole Seifert.
Arche Verlag, Hamburg 2022.
256 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-13: 9783716028162

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