Charmant-skurriler Humor mit Widerhaken

Zu Rainer Strobelts drittem Strittig-Bändchen

Von Jens LiebichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Liebich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Strittig die dritte – ein Titel wie eine Regieanweisung; der Auftakt für etwas Neues. Im Regiestuhl sitzt und schreibt wie bei Strittig (2016) und Strittig wieder (2018) zum dritten Mal Rainer Strobelt. Die Produktion wechselt zwar vom Peter Segler Verlag in die eigenen Hände, doch außen sorgt abermals eine Illustration der polnischen Schriftstellerin und Künstlerin Tamara Bołdak-Janowska für das unverkennbar typische Gesicht der Reihe – mit dem dritten Band kann man nun von einer Reihe sprechen –, innen steht derselbe Protagonist, Strittig, für Zusammenhalt und Kontinuität ein. Wirklich derselbe? Klingt einem bei einer solchen Formulierung nicht sogleich das enttäuscht-entsetzte „Oh!“ des erbleichten Herrn Keuner in den Ohren, mit dem selbiger auf die Begrüßung eines lange nicht Gesehenen reagierte, der ihm vermeintlich ein Kompliment zu machen gedachte, als er sagte: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ Veränderungen darf und muss man auch Kunstfiguren zugestehen, vornehmlich Sprachkunstfiguren wie Strittig, die sich im sprachspielerischen Ernst mal um sich selbst, mal um scheinbare und tatsächliche Widersprüche der Alltagssprache drehen.

Strittig findet nichts dabei zu suchen.

Veränderungen gab es bereits vom ersten zum zweiten Büchlein, und so ist die Konstante – wenn man denn eine suchen möchte – vielleicht nicht nur Strittig, sondern eben die Suche selbst. Sie war von Anfang an zentraler Bestandteil der Lektüre, denn nicht jeder Strittling – wie Strobelt seine Prosaminiaturen seit dem ersten Band nennt – lässt die Regeln sogleich erkennen, denen sein Spiel folgt. Oft muss man ganz nahe an die Sprache heranrücken und die Perspektive wechseln, um den Widerstreit zwischen Semantik und Grammatik, zwischen übertragenem und wörtlichen Sinn, zwischen Schrift- und Klangbild zu erkennen. Im zweiten Teil wurde jenes Spiel mit der Sprache zunehmend um zeitkritische Strittlinge erweitert, die Verquickung der literarischen Welt mit der unsrigen wurde enger und augenscheinlicher.

Strittig wandert aus. Und
warum? Es wird ihm zu dumm.
Und wohin? – Dahin, wo man’s
erst etwas später merkt.

Zu Hause ist Strittig noch immer in der Sprache, doch die angefangene Entwicklung, welche der Autor seiner Kunstfigur im ersten und zweiten Teil vor allem in den dort noch vorhandenen Zäsuren zwischen den Strittlingen zugestanden hat (Strittig hatte eine Familie, erhielt Zeit- und Lokalkolorit), wird nicht fortgesetzt. Dies mag man bedauern, da die Zwischenspiele – beim letzten Mal ein Fußballspiel – gerade durch ihr Aufbrechen formaler und inhaltlicher Muster einen Lektüregewinn darstellten. Andrerseits kann man sie als Einführungen der Strittig-Figur betrachten, die nun ihre Aufgabe erfüllt haben, so dass nun wieder alle Aufmerksamkeit den Strittlingen zukommt. Und deren Zahl ist erheblich gewachsen: Von 65 bzw. 68 in den ersten zwei Büchlein auf nunmehr 273.

Strittig hört das Wort
Vergangenheit: vier Silben!
Zukunft: zwei Silben.
Gegenwart, drei. Passt. O,
Deutsch-, wahrlich
Zimmermannsland.

Angesichts einer solchen Steigerung stellt sich unweigerlich die Frage, wie präzise die offenkundig schneller arbeitende Zimmermannshand noch den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen hat. Unter dem eingangs erwähnten Stichwort der Veränderung lassen sich Strittlinge finden, die wohl weder im ersten noch im zweiten Teil einen der streng limitierten Plätze erhalten hätten, da sie stärker als zuvor einer unmittelbaren Situationskomik zugeordnet werden können. Diese erscheinen mitunter recht einfach gestrickt, wenngleich sie häufig um Redewendungen, Sprichwörter oder Wortspiele aufgebaut sind. Somit erhöht sich mit der Anzahl auch die Vielfalt im Anspruch der Strittlinge, unter denen sich nun so manche finden, deren Spiel kein verstecktes oder vieldeutiges mehr ist, sondern die beim ersten Lesen die Leserschaft erheitert schmunzeln oder gleichgültig mit den Achseln zucken lassen. Die zuvor erwähnte Suche nach dem Faden, an dem sich Sinn und Form aufdröseln lassen, wird seltener.

Strittig kämmt sich mit einem
zahnarmen Gebilde.
Verwahrlosung hat bei mir
keine Chance, murmelt er in
seinen Bart, über den er grad
stolpert.

Rainer Strobelts drittes Strittig-Bändchen zeigt deutlich den Mut zur Veränderung, was anerkennenswert ist, doch zugleich Bewährtes aufgibt. Nicht jede Miniaturprosa kann jedem Leser oder jeder Leserin gefallen, einige werden unverstanden bleiben, andere im Potential nicht erkannt werden – all das gehört dazu, der Name ist Programm: Strittig. Und damit erfüllt dieser Teil vielleicht noch mehr als die ersten zwei eine ganz zentrale Aufgabe von Literatur: Man muss sich an ihr reiben können, sie darf nicht glatt durch Hand und Geist gleiten, sie braucht Widerhaken, die hängen bleiben. In der Vielfalt der Strobeltschen Miniaturen wird jeder fündig werden, der sich vom charmant-skurrilen Humor durch Sprache, Zeit und Raum geleiten lassen möchte.

Titelbild

Rainer Strobelt: Strittig die dritte. Frische Kurzprosa vom kolossalen Minimalisten.
epubli Verlag, Berlin 2022.
112 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783756501588

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch